Adelige bitten zu Tisch: Tafelkultur und ihr Erbe in Tschechiens Schlössern
Wenn man ein Schloss besucht, wird man bei der Besichtigung in der Regel auch in einen Speisesaal geführt, in dem eine schön gedeckte Tafel zu sehen ist.
Ein prachtvolles Porzellanservice, Bestecke aus Silber, Gläser, Servietten, Vasen mit Blumen und weitere Dekorationen veranschaulichen die Welt der adeligen Tafelkultur. In den Ausstellungen auf vielen Schlössern in Tschechien hat Libuše Ruizová eine solche Prunktafel kreiert. Die Historikerin und Ethnographin war in dieser Woche zu Gast in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks:
„In Burgen und Schlössern werden Gemälde, Skulpturen und weitere Gegenstände aus historischer und kunsthistorischer Sicht gezeigt. Da ich nicht nur Historikerin, sondern auch Ethnographin bin, habe ich begonnen, zudem Sachen zu zeigen, die jedem Menschen eigen sind. Über die Erforschung des Alltags sind wir zur Küche und zum Essen gekommen, also zum gewöhnlichen Betrieb in einem Schloss. Und von dort führte nur ein kleiner Schritt zur Tafelkultur.“
Prunktafel versetzt in Erstaunen
Ruizová ist Mitarbeiterin des Staatlichen Denkmalschutzamtes (NPÚ). Sie betreut dort die Sammlungen mit dem wertvollsten Tafelgeschirr des Adels hierzulande und hat auch schon mehrere Bücher über die Tafelkultur verfasst.
„Die Tafelkultur hat sich seit uralten Zeiten entwickelt. Zunächst aßen die Menschen auf dem Boden und mit ihren Händen. Später setzte man sich an den Tisch. Der Träger dieser Tafelkultur war der Adel. Dies gilt übrigens allgemein für zivilisatorische Errungenschaften, so etwa für die Hygiene und ihre Regeln. Die Anfänge der Tafelkultur liegen in den alten Reichen des Nahen Ostens und im antiken Griechenland.“
Festlich gedeckte Tafeln gehörten zum Selbstverständnis des Adels und dienten auch repräsentativen Zwecken. In den Beständen von Burgen und Schlössern findet man daher noch heute kunstvoll gefertigtes Geschirr und Besteck aus Porzellan, Silber und Glas:
„Auf Schloss Kynžvart wird zum Beispiel ein tolles Porzellanservice aus der französischen Manufaktur Sèvres aus dem Jahr 1808 aufbewahrt. Es umfasst sehr wertvolle Stücke. Eine einzigartige Tafelglas-Garnitur findet man etwa auf Schloss Konopiště. Oder aber etwa in Náměšť nad Oslavou gibt es umfangreiche Sets von Tafelsilber. Das ist einzigartig. Denn nach all den Kriegen in der Geschichte und vor allem nach den 1950er Jahren, als die Schlösser verstaatlicht wurden, beschlagnahmte die tschechoslowakische Nationalbank die ganzen Sachen aus Edelmetall. Ob sie dann eingeschmolzen wurden, weiß ich nicht, jedenfalls sind nur wenige Stücke in den Schlössern zurückgeblieben.“
Ehrenbankett auf Schloss Kynžvart
Im Festsaal des bereits genannten Schlosses Kynžvart / Königswart in Westböhmen wird etwa eine Banketttafel für 24 Personen gezeigt, die an einen hochrangigen Besuch erinnert. Das Schloss diente dem österreichischen Staatskanzler Klemens Wenzel Metternich als Sommersitz. Am 10. September 1835 fand dort ein Ehrenbankett für Seine Majestät Kaiser Ferdinand V. statt. 16 Gänge wurden serviert, darunter Trüffel in Champagner, Wildbret, Wachtel, Kraniche und vieles mehr.
„In Kynžvart werden sehr prunkvolle Tafelaufsätze aus vergoldeter Bronze aufbewahrt. Es handelt sich um Spiegeluntersätze, die je nach der Größe des Tisches zusammengestellt werden. Jeder Untersatz hat einen vergoldeten, kunstvoll bearbeiteten, durchbrochenen Rand. Zusammengefügt bilden sie das Zentrum des Tisches. Einzigartig an den Sammlungen in Kynžvart ist jedoch, dass es dort gleich mehrere solche Untersätze gibt. Das ist weltweit einzigartig.“
Bei der Gestaltung einer Festtafel müsse man in Betracht ziehen, welche Zeit sie repräsentieren solle, betont Ruizová. Denn im 19. Jahrhundert, also in der Zeit von Klemens Metternich, setzte sich in Europa eine neue Art des Servierens durch. Bis dahin war die sogenannte Bedienung nach französischer Art üblich:
„Als Service à la française wurde die Bedienung bezeichnet, die am Hof des französischen Königs Ludwigs XIV. ihren Ursprung hatte. Dabei standen alle Gänge und die unterschiedlichen Gerichte schön serviert und gleichzeitig auf dem Tisch. Jeder Gast wählte selbst aus, was er nimmt, beziehungsweise mit Hilfe eines Bediensteten. Denn jedem Gast standen zwei Bedienstete am Tisch zur Hand. Das waren also riesige Tafeln mit einer riesigen Menge an Gängen.“
Service à la française – Service à la russe
Nach den Napoleonischen Kriegen verarmte Europa jedoch. Da das Service à la française sehr aufwendig war, setzte sich eine neue Speisenfolge durch. Sie wurde Service à la russe genannt, also Bedienung nach russischer Art. Ludmila Ruizová:
„In Paris veranstaltete der dortige russische Botschafter Kurakin seine Bankette auf andere Art. Der Tisch war bei diesem Festmahl schön dekoriert, es standen aber noch nicht von Anfang an die Gerichte darauf. Jedem Gast wurde eine Portion serviert, und zwar auf der Basis einer zuvor erstellten Menüfolge. Die Gerichte wurden nacheinander in silbernen Schalen zum Tisch gebracht, und die Bediensteten reichten jedem Gast die gleiche Portion auf seinen Teller.“
Dieses Prinzip der Speisenfolge, bei der bei mehrgängigen Menüs die Gerichte mit Beilagen nacheinander serviert werden, besteht bis in die heutige Zeit:
„Wie ich schon gesagt habe, war der Adel der Träger der Kultur. Und das gilt auch für die Tafelkultur. Nach der Französischen Revolution, während der die Aristokratie praktisch liquidiert wurde, suchten viele Köche und Kellner nach Arbeit. Sie eröffneten Restaurants und Hotels. Über diese gelangte die Tafelkultur auch in die bürgerliche Welt. Und von dort führt der Weg bis zu uns.“
Serviettenfaltkunst
Die Historikerin und Ethnographin Libuše Ruizová hat nicht nur das Konzept für die Festtafeln in vielen Schlössern hierzulande entworfen. Sie beteiligt sich auch selbst an der Gestaltung der Tische. Dabei spielen unter anderem Textilien eine wichtige Rolle, die zu schier unglaublichen Gebilden gefaltet werden:
„Das Falten von Stoffen ist ebenfalls eine sehr alte Angelegenheit. Belege dafür gibt es schon im Altertum, wir kennen etwa antike Statuen mit gefalteten Gewändern. Seit dem späten Mittelalter beziehungsweise seit der Renaissance begann man, auch Tischtextilien und Servietten kunstvoll zu falten. Es wurden sogar Schautische kreiert, auf denen etwa Bauten und Tiere aus Textilien gefaltet wurden. Es handelte sich also um eine sehr alte Kunst, mit der sich ganze Familien von Bediensteten beschäftigt haben.“
Das komplizierteste Werk, das sie selbst einmal gefaltet habe, sei eine Schlange aus Stoff für eine Tafel auf Schloss Sychrov gewesen, erinnert sich Ruizová:
„Ich habe anderthalb oder zwei Monate daran gearbeitet. Die Schlange war rund sechs Meter lang, ihr Körper war in gewisse Schuppen gefaltet, und auch der Kopf war sehr anspruchsvoll.“
Libuše Ruizová kann auch etwa die sogenannte Kaiserserviette kreieren, die am Habsburger Hof ab Mitte des 17. Jahrhunderts die Tafeln schmückte. Aus einem etwa einen Quadratmeter großen Stück Stoff wird dabei ein Gebilde geschaffen, in dem zwei Stück frisches Gebäck Platz haben und das an eine liegende Lilie erinnert. Über den Faltvorgang gibt es allerdings keinerlei schriftliche Aufzeichnungen:
„Im Falle der sogenannten Kaiserserviette hatte ich nur Bilder der fertigen Form zur Verfügung. Es hat etwa ein Jahr lang gedauert, bis ich mir auf Grund der Fotos aus verschiedenen Blickwinkeln den Faltvorgang erschlossen habe.“
Für die Bediensteten, die einst auf den Schlössern die Servietten falteten, sei dies allerdings nicht so schwierig gewesen, betont Ruizová:
„Denn die Serviettenfaltkunst wurde von Generation zu Generation weitergereicht. Viele Vorgehen wurden geheim gehalten, und das war eben auch bei der Kaiserserviette der Fall. Für die Bediensteten war es eine ehrenvolle Aufgabe, die Servietten prunkvoll vorzubereiten und zu falten. Es war die Kunst des Augenblicks. Dasselbe gilt auch für Dekorationen aus Gerichten, also für das Schauessen.“
Schauessen
Als Schauessen oder Schaugericht wird eine Speise bezeichnet, die nicht zum Verzehr zubereitet wird, sondern als Schaustück und Attraktion für die festliche Tafel diente:
„Meist wurden Spezialtafeln so ausgestattet. Sie sollten die Gäste in Erstaunen versetzen. Verschiedene Speisen wurden verwendet, häufig Obst und Gemüse. Besonders beliebt waren aber Zucker und Zuckerdekorationen.“
Die Tradition dieser Tafeln mit Zuckerdekorationen stammte aus dem Orient.
„In der arabischen Welt wurden für die Tische der Herrscher Skulpturen aus Zucker hergestellt, nicht nur Figuren, sondern auch Bauten und Landschaften mit Tieren. Nach Europa gelangte der Zucker auf zwei Wegen: einerseits durch arabische Streifzüge im Mittelmeerraum und andererseits über die Kreuzfahrten, an denen europäische Adelige und Herrscher teilnahmen und dadurch auch die Zuckerpracht in Nahost kennenlernten. Seit dem Mittelalter gab es diese Schautische dann auch in Europa, zunächst in Italien.“
Zuckerskulpturen
Der Zucker habe dabei als Ware den Stellenwert von Gold besessen oder sei sogar noch teurer gewesen, unterstreicht die Historikerin:
„Die Zuckerskulpturen waren oft auch mit Gold geschmückt. Sie dienten als Mittel zur Repräsentation der Elite. Wenn man eine so prunkvolle Tafel herstellen ließ, diente der Zucker, der ungeheuer teuer war, dazu, jemandes Macht und Stellung zu verdeutlichen sowie die Gäste in Erstaunen zu versetzen. Zunächst wurden auf diese Weise nicht einmal die Tische der Adeligen dekoriert, sondern nur die Tafeln von Königen und der hohen Aristokraten.“
Und auch ein solches Zuckerwerk kann man auf einem Schloss in Tschechien bewundern. Libuše Ruizová und ihre Kollegen präsentieren es in Krásný Dvůr / Schönhof in Nordwestböhmen:
„Im Garten des Schlosses steht ein neugotischer Tempel, der uns als Inspiration für unseren Zuckerbau diente. Uns standen die Baupläne des Tempels zur Verfügung, die für uns, die wir keine Techniker oder Architekten sind, aber sehr kompliziert waren. Wir haben das Projekt vereinfacht. Ursprünglich wurden die Bauten nur aus Zucker hergestellt. Mir war aber klar, dass sich das Ausstellungsstück auch irgendwo anders hintragen lassen muss. Bestünde es nur aus Zucker, wäre dies sehr schwierig. Daher habe ich ein Skelett aus Polystyrol gefertigt und dieses mit der Zuckermasse überzogen. Aber der Zuckertempel sieht prächtig aus.“