Eine Welt, in der die Menschen von intelligenten Molchen verdrängt werden. Das ist die Albtraum-Vision von Karel Čapek im Roman „Der Krieg mit den Molchen“ aus dem Jahr 1935. Damals galt das Werk als eine Allegorie auf den erstarkenden Faschismus. Doch wie aktuell ist die Dystopie heute? Die Antwort darauf finden Sie in einer weiteren Folge unserer Sendereihe zu den tschechischen Büchern, die sie unbedingt gelesen haben müssen.
Spiegelbild der eigenen dunklen Seite
Bei den Molchen handelt es sich jedoch bei weitem nicht um eine Bedrohung, die von außen kommt. Laut Samek setzt Čapek den Menschen seiner Zeit einen Spiegel vor. Denn die Amphibien sind ihren vermeintlichen Herren ähnlicher, als man es sich eingestehen mag:
„Die Molche sind fleischgewordene menschliche Möglichkeiten Sie stellen also einige typische menschliche Eigenschaften dar. Čapek macht diese zur Karikatur, indem er zeigt, was passiert, wenn diese Eigenarten Überhand gewinnen. Da geht es hauptsächlich um das Verhalten zueinander in der Gesellschaft und das soziale Zusammenleben. Der ‚Krieg mit den Molchen‘ ist eine Parodie, die uns den Spiegel vorhält.“
Karel Čapek entwickelt in seinem Roman Gedanken weiter, die er sich schon vorher über seine Zeit und die damalige Gesellschaft gemacht hat. Immerhin gilt der Schriftsteller als einer der schärfsten Beobachter der Lage im Europa zwischen den beiden Weltkriegen. Im „Krieg mit den Molchen“ greift Čapek vor allem kritische Überlegungen zum Fortgang der Zivilisation auf. Dazu Tomáš Samek:„Das trifft es ganz gut: Die Molche sind ein Sinnbild für menschliche Eigenschaften, die ad absurdum geführt werden. Karel Čapek hat als Journalist in der Zwischenkriegszeit einen Aufsatz mit dem Titel ‚Der Geist der Erkenntnis und der Geist der Beherrschung‘ veröffentlicht. Als Mensch mit einem umfangreichen Überblick in den Bereichen Politik, Zeitgeschehen, Literatur und Naturwissenschaften, hat er die Erkenntnis darin in zwei entgegengesetzte Modi unterteilt. Der eine umfasst die Geistes- und Gesellschaftswissenschaften, gleichzeitig aber auch die naturwissenschaftlichen Fächer. Čapek sagt, dass dort die Erkenntnis an sich im Vordergrund steht. Im zweiten Modus findet sich die Technik wieder, bei der vor allem wichtig ist, etwas zu steuern und zu beherrschen. Dabei dominiert laut Čapek der instrumentale Aspekt der Menschheit. Und er sieht in der Technik eine Gefahr, da sie sich in ihrem beherrschenden Geist gegen ihren Schöpfer wenden kann.“
Literarische Collage für alle
Tomáš Samek warnt jedoch davor, den „Krieg mit den Molchen“ nur als literarische Illustration von Čapeks Philosophie zu sehen. Tatsächlich ist die Dystopie ein Meisterwerk literarischer Dynamik. Denn der Autor hat das Buch als Collage unterschiedlichster Stile zusammengestellt, vom Reisebricht oder Zeitungsartikel, über das wissenschaftliche Traktat und das politische Manifest, bis hin zum Märchen. Karel Čapek hat dabei vor allem ein Ziel: seine Gedanken möglichst verständlich zu präsentieren:„Karel Čapek bemühte sich darum, so zu schreiben, dass ihn auch die breite Masse verstehen würde. Ein schönes Beispiel dafür ist sein Buch ‚Marsyas‘, in dem man auch die Analyse eines Dienstmädchen-Romans findet. Čapek sagte, dass man über eine solche Literatur nicht die Nase rümpfen sollte. Gute Literatur sei jene, die von Mensch zu Mensch geht, dabei schon den Buchumschlag verliert, und die Dienstmädchen oder sonstige sozial schwächere Bürger die Nächte hindurchlesen. Das alles absorbiert die seelische Aktivität eines Menschen. Čapek meint dazu: ‚Allgemein sowie unendlich und heilig vulgär zu sein: das ist unerreichbare Vollkommenheit, an der wir verzweifeln könnten‘. Mit vulgär meint Čapek natürlich aus dem Volke kommend.“
Tomáš Samek gibt jedoch zu, dass diese Einfachheit für den „Krieg mit den Molchen“ nur eingeschränkt gilt. Denn Čapek verwendet dort viele wissenschaftliche Fachbegriffe und Wendungen aus fremden Sprachen und Kulturen. Doch gerade das ist gleichzeitig ein weiterer Vorzug des Romans:„Karel Čapek hatte schier unbegreifliche Kenntnisse über alle möglichen Länder der Welt und sämtliche wissenschaftliche Disziplinen. Man erkennt erst mit viel Abstand und nach einer längeren Zeit im Ausland, wie viele Details vom Leben in fernen Ländern und wie viel des dortigen Lokalkolorits das Buch enthält. Čapek macht Witze, die tatsächlich nach englischem Humor klingen. Er schreibt über deutsche Realien, bei denen klar wird, dass er einen ganz intimen Einblick in das Land hatte. Er sagt ja auch am Anfang, dass er sich beim ‚Krieg mit den Molchen‘ vom Faschismus und Nationalsozialismus hat inspirieren lassen. Da sind so Feinheiten, die man nur schwer bemerkt. Wenn Čapek beispielsweise Deutsch schreibt, unter anderem in einer feierlichen Ode an die Molche, dann parodiert er die Nazi-Hymnen jener Tage. Er verwendet dabei sogar dieselbe Rhythmik, die in diesen Liedern enthalten ist. Čapeks umfangreiches Wissen über die ganze Welt ist unglaublich. Wenn er beschreibt, wie sich ein Boot vor Indonesien in den Wellen wiegt, ist das sehr authentisch, auch wenn er selbst nie in Indonesien war. Ich weiß sicher, dass Čapek nie im Leben die Vereinigten Staaten besucht hat. Dennoch gibt es in dem Buch viele Passagen, in denen er die Amerikaner beschreibt. Und auch die sind absolut lebensecht dargestellt. Das zeugt wirklich von enormer kultureller Empathie.“
Heute noch aktuell?
Bei aller Mannigfaltigkeit der Gedanken hat der „Krieg mit den Molchen“ dennoch ein ganz zentrales Anliegen. Es ist die Warnung vor dem aufstrebenden Faschismus und Nationalsozialismus in Europa. Doch wird dieser nicht nur als Vorlage genommen, Čapek entwirft daraus vielmehr eine allgemeine Bedrohung:„Natürlich ist es ein Buch seiner Zeit, denn es reagiert auf die damaligen Entwicklungen. Die Botschaft lebt aber bis heute weiter. Denn es entwirft ein dystopisches Modell, das davor warnt, was der Menschheit geschehen könnte, wenn sie sich auf eine bestimmte Art verhält. Genau solche Verhaltensweisen bestehen weiterhin. Gerade das wollte Čapek ja, ein Konzept entwerfen, dass auch auf andere Länder und Zeiten anwendbar ist. Das eben nicht nur für das Europa im Angesicht des Faschismus gilt.“
ZUM THEMA
Bei manchen Warnungen war Čapek seiner Zeit sogar weit voraus. Das macht den „Krieg mit den Molchen“ unglaublich modern:
„Der ‚Krieg mit den Molchen‘ ist einer der ersten Romane, die sich mit der Globalisierung auseinandersetzen. Ich würde sagen, dass er die Globalisierungsprozesse jener Jahre sehr genau darstellt. Der Roman ist sogar so genau, dass er darin bis heute aktuell ist.“
Und gerade deshalb ist der „Krieg mit den Molchen“ auch heute noch Pflichtlektüre:
„Eine Botschaft von ‚Krieg mit den Molchen‘ ist, dass wir uns eines bewusst machen sollten: Die Menschheit endet wahrscheinlich so wie im Buch, wenn sie dem sozialen Egoismus Vorrang gibt vor den universellen Werten. Wenn ein Wir der Partikularinteressen einzelner Gruppen gegenüber dem Wir der Menschlichkeit überwiegt. Auch heute noch ist die Menschheit von gewissen Phänomenen bedroht – beginnend bei der möglichen ökologischen Katastrophe und endend mit den aktuellen Befürchtungen rund um die Entwicklung der Welt.“
In diesem Sinne appelliert Čapek im „Krieg mit den Molchen“ an die Tschechen, sich in ihrer Gemütlichkeit im kleinen böhmischen Kessel nicht zu sicher zu fühlen. Im Buch wollen sie die Gefahr der Molche nicht wahrhaben, da ihr Land ja nicht am Meer liegt. Bis auf einmal ein schwarzer Kopf mit zwei Froschaugen in der Moldau auftaucht…