„Trockener Februar“: Tschechien übt Abstinenz
Einen Monat lang ohne Alkohol – das fordert die NGO Liga otevřených mužů (Liga der offenen Männer). Vor acht Jahren hat sie deshalb die Initiative „Suchej unor“ ins Leben gerufen, also einen trockenen Februar. Mittlerweile üben sich immer mehr Menschen in Tschechien eine gewisse Zeit lang Abstinenz. Strahinja Bucan weiß mehr.
Bier ist in Tschechien ein Nationalheiligtum, und auch zum Wein oder Schnaps greifen die Tschechen gern. Wie viel Alkohol hierzulande konsumiert wird, weiß Miroslav Barták. Er ist Suchtforscher an der Prager Karlsuniversität:
„Die Weltgesundheitsorganisation spricht von 14,4 Litern reinen Alkohols, die bei uns pro Kopf und Jahr getrunken werden. Berücksichtigt werden dabei Personen ab 15 Jahren. Man muss aber unterschieden zwischen einem registrierten und einem nicht registrierten Konsum. Bei letzterem haben die Behörden keinen Überblick darüber, da der Alkohol in diesen Fällen illegal auf dem Schwarzmarkt beschafft wurde. Bei der Zahl der WHO spielt außerdem das Geschlecht eine Rolle, denn Männer trinken deutlich mehr als Frauen.“Laut Miroslav Barták sind die Zahlen aber nicht ganz genau, obwohl man immer sehr sorgfältig ist bei der Zusammenstellung der Testgruppen. In Tschechien wird nämlich auch von Touristen viel Alkohol getrunken, außerdem gönnen sich die Tschechen ebenso im Ausland gerne ein Gläschen. Dennoch ist das Land regelmäßig in den Top 5 der trinkfreudigen Nationen. Drei Viertel der Menschen hierzulande geben an, Alkohol zu trinken. Dabei zeigen Schätzungen, dass eine Million Erwachsene hierzulande ein problematisches Trinkverhalten haben. Wie kommt es aber, dass die Zahlen so hoch sind?
„Insgesamt liegt es daran, dass überhaupt Alkohol getrunken wird. Bei uns ist aber speziell, dass der Alkohol überall zu bekommen ist, nicht viel kostet und sich die Gesellschaft ihm gegenüber sehr offen zeigt. Obwohl richtiger Alkoholismus bei den Tschechen eher verrufen ist, steht man dem Trinken an sich sehr tolerant gegenüber.“
Was allerdings ein normales Trinkverhalten ist, ab wann man zum Problemfall wird und wo der Alkoholismus anfängt – darüber scheiden sich die Geister. Miroslav Barták tut sich ebenfalls schwer, einen „gesunden“ Alkoholkonsum zu definieren, wie es ja die WHO langfristig versucht. Der Suchtforscher rät aber, nicht mehr als zwei Standarddrinks pro Tag zu genießen – also etwa zwei Halbe Bier, zwei Viertel Wein oder zwei Stamperl Schnaps. Außerdem sollte man laut Barták mindestens zwei Tage in der Woche abstinieren. Der Experte warnt jedoch, dass es nie so etwas wie risikofreies Trinken geben kann. Wobei der Mediziner die Latte für ein problematisches Konsumverhalten relativ hoch legt:„Risikotrinken ist ein Alkoholkonsum, der bereits gesundheitliche Probleme bereitet. Das schließt körperliche und psychische Beschwerden mit ein. Bedenklich wird es vor allem dann, wenn jemand trotz dieser Beschwerden nicht aufhört zu trinken.“
Die Suchtforscher von der Karlsuniversität haben auf ihrer Webseite deshalb eine Tabelle veröffentlicht, die den Weg zum Alkoholismus verdeutlichen soll.
Abstinenz auf Probe
Seit schon acht Jahren gibt es in Tschechien immer im Februar eine Initiative gegen den übermäßigen Alkoholkonsum. Sie heißt „Suchej Unor“, also „Trockener Februar“, und wird von der Liga otevřených mužů (Liga der offenen Männer) organisiert. Die NGO will die Tschechen dazu motivieren, einen Monat lang die Finger zu lassen von der Flasche. Für Miroslav Barták hat die Aktion auf jeden Fall Sinn:„Das Uniklinikum für Suchterkrankungen in Prag ist ja schon lange Partner der Initiative. Und wir sind der Liga der offenen Männer sehr dankbar, dass sie dieses Thema mit ihrer Aktion thematisiert. Denn der Alkohol ist nach wie vor sehr präsent in der tschechischen Gesellschaft.“
Miroslav Barták ruft jeden deshalb auf, an dem Aktionsmonat teilzunehmen. Denn in seinen Augen verrät dies, wie jemand wirklich zum Alkohol steht:
„Der Monat zeigt, wie sehr man den Alkohol braucht und was der einmonatige Entzug eigentlich mit einem macht. Das hat schon ein bisschen etwas von Erziehung. Auf jeden Fall ist es aber eine Herausforderung, und manche nehmen sie gerne an, andere wiederum weniger. Noch beteiligt sich ja nicht das ganze Volk an dem Aktionsmonat, und genaue Zahlen für dieses Jahr haben wir natürlich noch nicht. Es dürften aber wieder mehrere Tausend bis Zehntausend Probeabstinenzler sein. Das Bewusstsein für das Problem wächst jedoch kontinuierlich.“
Wie sich das äußert, das kann Miroslav Barták anhand seiner eigenen Arbeit verdeutlichen:„Tatsächlich kommen im März dann viele zu uns mit der Einsicht, dass sie ein Problem haben. Denn erst der Versuch der Abstinenz beim ‚Trockenen Februar‘ hat ihnen die Augen dafür geöffnet. Diese Menschen machen mir eigentlich keine Sorgen. Viel mehr Kopfzerbrechen bereitet mir, dass wir das ganze Jahr über genug Kundschaft haben. Vor allem aber, dass diejenigen, die eigentlich zu uns kommen sollten, oft keine professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.“
Und davon gibt es laut Barták immer noch sehr viele. Wie erkennt man denn überhaupt, dass es höchste Zeit ist für den Besuch einer Suchtklinik? Der Experte nennt deutliche Anzeichen, an denen man Alkoholismus erkennt:
„Eine genaue Diagnose kann natürlich nur ein Arzt stellen. Dieser muss dabei bestimmte Signale beobachten können: Es muss ein starkes Verlangen nach Alkohol geben, ein Verlust der Kontrolle des Konsums, eine Steigerung der Toleranz-Menge, ferner eine Vernachlässigung von Pflichten und anderen Vorlieben sowie ein Weitertrinken trotz erster körperlicher und psychischer Beschwerden. Wenn mindestens drei dieser Faktoren im Laufe eines Jahres erfüllt sind, dann spricht man von einer richtigen Trinksucht.“
Es wird schon viel getan
Der Suchtforscher Miroslav Barták will aber nicht schwarzmalen. Denn er meint, einen positiven Trend hierzulande beobachten zu können. Und das nicht zuletzt durch den „Trockenen Februar“:
„Viele Menschen bekennen sich mittlerweile zu einer gesunden Lebensweise. So verzichten sie nicht nur im Februar auf Bier, Wein oder Spirituosen, sondern sie machen auch darüber hinaus weiter mit der Abstinenz. Oder sie versuchen dann, in anderen Monaten nicht zu trinken. Das ist durchaus üblich.“Von einer alkoholfreien Gesellschaft ist Tschechien aber noch weit entfernt. Doch holt man auch hierzulande auf zu Ländern, in denen der Verzicht viel weiter verbreitet ist. Miroslav Barták legt seine Hoffnungen vor allem in die kommenden Generationen:
„Getrunken wird auch weiterhin, und der Konsum ist bei uns weit verbreitet. Nicht-Trinken ist also noch keine richtige Mode. Nichtsdestotrotz ist die Abstinenz für immer mehr Menschen Teil eines zeitgemäßen Lebensstils. Dass zeigen auch aktuelle Zahlen, wonach der Alkoholkonsum bei jungen Menschen stetig sinkt.“
Diese Einstellung der Jugendlichen ist in den Augen Bartáks aber nicht vom Himmel gefallen. Gerade in Tschechien macht der Staat viel für den Kampf gegen den Suff – auch wenn man sich mit wirklich schmerzhaften Steuererhöhungen schwer tut. Nichtsdestotrotz hat beispielsweise das Gesundheitsministerium eine Kampagne gestartet mit dem Titel „Nicht-Trinken ist normal!“ Dazu gibt es viele Infos und Werbespots. Der Suchtexperte Miroslav Barták hält das für den richtigen Weg, wobei sich noch mehr machen ließe:
„Laut der Weltgesundheitsorganisation gibt es Instrumente, die besonders wirksam sind. Das sind eben solche Werbespots und Preiserhöhungen. Des Weiteren ist die Null-Promille-Grenze für Autofahrer sehr effektiv. Da ist Tschechien aber insgesamt Vorreiter, weil es das absolute Alkoholverbot im Straßenverkehr hierzulande schon seit den 1960er Jahren gibt. Außerdem muss die Werbung für Alkohol deutlich eingeschränkt werden.“