Dialekte und Hightech – Studiengang „Bayern“ in Pilsen
Seit wenigen Monaten gibt es ihn, und er hat schon weltweit Aufmerksamkeit bekommen: der neue Studiengang „Bayern“ an der Westböhmischen Universität in Plzeň / Pilsen. Ist es der Gipfel des bayerischen Nationalstolzes? Oder wirtschaftsorientiertes Denken in der Grenzregion?
Es ist noch nicht viel, was Sandra Hosnedlová auf Bairisch sagen kann. Nur Floskeln. Aber sie ist auch erst seit ein paar Wochen immatrikuliert im Studiengang „Bayern“ an der Westböhmischen Universität in Pilsen. Hier ist man nur eine gute Stunde entfernt von der Grenze zur Oberpfalz. Auch deswegen gehören zu den Pflichtveranstaltungen ebenso die einzelnen bayerischen Dialekte – von Fränkisch, Schwäbisch und Oberpfälzisch bis hin zu Oberbairisch.
Nicht nur eine Sprache lernen, sondern auch noch eine Vielzahl an Dialekten? Eine echte Quälerei für die Studierenden, könnte man meinen. Sandra macht das nichts aus:
„Ich begleite Besuchergruppen in einer Brauerei. Darunter sind viele Menschen aus Bayern. Und dass wir hier die Varietäten der Standardsprache lernen und sie hier auch hören, das hilft mir mit dem Verständnis. Ich glaube, es ist wichtig, dass man nicht nur die Standardsprache kennt, sondern auch die Dialekte.“
Oberbairisch und Fränkisch pauken
Obwohl Bayern nah ist, tun sich tschechische Germanistikstudenten schwer mit der dortigen Mundart. Dabei suchen gerade die grenznahen Regionen händeringend nach qualifizierten Fachkräften für die Wirtschaft. Für die deutsch-tschechischen Wirtschaftsbeziehungen sind also hochqualifizierte Absolventen wichtig, die bei Bairisch nicht gleich die Flucht antreten und zugleich Tschechisch beherrschen. Hier setzt der neue Masterstudiengang an, wie Mitinitiator und Dozent Boris Blahak erläutert:„Tschechien und Bayern sind wirtschaftlich eng miteinander verflochten, sie stellen also für den jeweils anderen den Top-Partner dar. Auf der anderen Seite nehmen die Deutschkenntnisse in Tschechien ab, vor allem in den Schulen. In der Erwachsenenbildung wird wiederum massiv Deutsch gelernt. Im Berufsleben merkt man dann wohl, dass man Deutsch braucht. Die bayerische Wirtschaft sucht händeringend gut ausgebildete Fachkräfte mit Deutschkenntnissen, aber auch regionalspezifischen Kenntnissen.“Tiefgehende Regionalkenntnisse in einem globalen Wirtschaftssystem? Zumindest im deutsch-tschechischen Grenzgebiet scheint das eine Marktlücke zu sein.
„Wir haben Seminare dezidiert zur Landesgeschichte, zur Politologie, zur Kulturwissenschaft, zur Archäologie sogar zu Jura und zu Wirtschaftswissenschaften mit bayerischem Schwerpunkt oder bayerisch-tschechisch kontrastivem Schwerpunkt. Und diese Kurse werden von den Kollegen der anderen Lehrstühle angeboten. Jetzt sind wir hier in Pilsen in der Situation, dass die Kulturwissenschaftler und Politologen sehr gut Deutsch sprechen, sodass 75 Prozent der Module auf Deutsch stattfinden können. Der Rest findet auf Tschechisch statt“, so Blahak.
Es ist genau diese interdisziplinäre Auslegung des Studiengangs, die Sandra Hosnedlová reizt – und das Faktenwissen jenseits jeglicher Klischees:„Wenn man hier in Tschechien jemanden fragt, sagen alle: Fußball, Lederhosen und Bierfeste. Das war´s dann auch. Aber die Menschen hierzulande wissen nicht, dass Bayern stark ist in Hochtechnologie. Ich wusste nicht, dass Bayern auch Unterfranken, Mittelfranken und weitere Regionen hat. Und für die Altbayern sind die Franken keine richtige Bayern. Das war interessant für mich. Hier in Tschechien gibt es zwar auch Mähren und Böhmen. Aber wenn man nach Brünn fährt, sagt niemand: Ich bin kein richtiger Tscheche“, meint die Studentin.
Kann solch ein spezifischer Studiengang funktionieren? Für Boris Blahak, der ursprünglich aus Regensburg stammt, definitiv:
„Dass man sich mal nur auf den Nachbarn fokussiert und ihn als eigenen Player wahrnimmt, zeigt, wie weltoffen die Studierenden sind und eben nicht nur Berlin und Prag im Kopf haben. Sondern sie schauen: Wer sind unsere nächsten Player, die ihren eigenen Kopf haben. Es gibt informelle Signale einer bayerischen Außenpolitik. Ich denke da an die Bayerische Repräsentanz in Prag, es gibt die bayerisch-tschechische Hochschulagentur, die extra eingerichtet wurde. Es gibt ein bayerisches Büro in der tschechischen Handelskammer. Das ist ein ganz anderer Horizont, der hier gezeigt wird.“Arbeiten im Grenzgebiet
Ab dem zweiten Semester muss sich jeder Studierende zwischen den Schwerpunkten „Wirtschaft und Politik“ oder „Kultur und Geschichte“ entscheiden. Außerdem wird ein Praktikum in Bayern verlangt. Das soll optimal auf die Berufswelt im Nachbarland vorbereiten. Sandra Hosnedlová möchte aber in Tschechien bleiben und hier zur Verbreitung der Deutschkenntnisse beitragen:„In der tschechischen Sprache gibt es sieben Fälle, in der deutschen nur vier. Wenn man das vergleicht, ist die deutsche Sprache eigentlich gar nicht so schwer. Ich glaube, dass ich potentiell Schüler und Studenten in der Sprache unterrichten könnte.“
Wer das Fach „Bayern“ in Pilsen studieren will, muss aber schon C1-Kenntnisse mitbringen, also sehr flüssig Deutsch sprechen. Ohne diese Grundlage können junge Menschen keine Dialekte untersuchen. Dabei war Hosnedlovas eigenes Verhältnis zur Sprache der Nachbarn lange schwer.
„Ich spreche Englisch und Tschechisch, und ich dachte: Das ist genug, da brauche ich nichts anderes. Mein Vater arbeitet aber für eine österreichische Firma. Und ich erinnere mich daran, wie er immer gesagt hat: Vor 15 Jahren mussten die Leute bei uns in der Firma nur ein bisschen Deutsch können. Heute ist die Situation ganz anders“, so die junge Frau.Für Studiengangsleiter Blahak ist es als Hochschullehrender und Doktor der Philosophie hingegen spannend, diesen neuen Studiengang zu erschaffen. Denn die Unterrichtsmaterialien gibt es teilweise noch nicht, der erste Jahrgang soll dabei helfen, sie für die Nachfolger herzustellen. Ein Lehrbuch zum Thema „Ostbayerische Erinnerungsorte“ ist geplant. Und Blahak kennt sogar ein Geheimnis über die Pilsner, das sie nur zu ungern preisgeben:
„Wenn man es historisch nimmt, dann endet der bayerische Kulturraum mehr oder weniger in Pilsen. Das bayerische Sprachgebiet ging bis kurz vor die Stadt. In der Stadt sprach man auch eine bayerische Varietät, obwohl die Deutschen hier eine Minderheit waren. Aber auch das berühmte Pilsner Urquell wurde von einem Vilshofener, von Josef Groll, hierher gebracht. Das haben die Menschen in der Stadt mittlerweile akzeptiert. Auch ansonsten ist die Gegend hier in vielerlei Hinsicht mit dem bayerischen Sprachraum verzahnt.“
Kritik an dem Studiengang in Form von Bayern-Bashing, also Hetze gegen die bayerische Dominanz in Deutschland und gegen die Eigenheiten in dieser Region, kann Blahak nicht verstehen. Trotzdem plant er, künftig die Bandbreite des Studiums zu betonen. Geplant ist ein weiterer Standort unter dem internationalen Titel „Bavarian Studies“.„Es ist natürlich ganz klar, dass man nicht nur das Deutsche und Bayerische auf der tschechischen Seite fördern sollte, sondern umgekehrt Tschechischkenntnisse zumindest in Ostbayern forcieren sollte. Außerdem würden wir uns wünschen, dass in Regensburg ein gleichlautender Masterstudiengang wie in Pilsen entsteht. Wobei die Zielgruppe der Studierenden in Regensburg wohl nicht deutsche Muttersprachler wären, obwohl natürlich auch interessierte Nordlichter den Studiengang absolvieren könnten. Aber eigentlich geht es mehr um die 6000 ausländischen Studierenden“, sagt der Hochschuldozent.
Der neue Studiengang in Pilsen soll junge Menschen fördern und ihren Horizont erweitern. Er bietet eine Chance auf eine Zukunft im Nachbarland – mit einmaligem Expertenwissen. Dass es dabei um das Bundesland Bayern geht, hat lediglich historische und geographische Gründe.