Die große Angst der Tschechen vor der Migration
Fast drei Viertel der Tschechen sind der Meinung, dass Migration ein Problem ist. Dabei stoßen vor allem Menschen aus überwiegend islamischen Ländern hierzulande auf Ablehnung. Das zeigt eine neue Studie des Prager Instituts für Politik und Gesellschaft. Doch NGOs warnen, die Umfrage allzu ernst zu nehmen.
„Die Lage auf dem Wohnungsmarkt liegt mit 70 Prozent auf dem ersten Platz. Danach folgt gleich die Migration mit 69 Prozent, wobei 48 Prozent der Befragten sagen, dass die Einwanderung ein sehr ernstzunehmendes Problem sei. Danach folgen schließlich Sorgen um das Klima, die Gesundheitsversorgung, die demografische Entwicklung und den Lebensstandard.“
Erwartungsgemäß lässt sich die tschechische Bevölkerung in dieser Frage klar in Gruppen einteilen, die der Migration mal mehr und mal weniger ablehnend gegenüberstehen. Eine Kategorie ist das Alter:
„Die Befürchtungen vor der Migration werden mit dem Alter größer. Dabei haben wir bei der Studie nur Menschen im Alter von 18 bis 65 Jahren berücksichtigt, Ältere wurden also nicht befragt. In der Altersgruppe 51 bis 65 Jahre nehmen ganze 60 Prozent der Befragten die Migration als sehr ernstes Problem wahr. In der Altersgruppe 18 bis 30 Jahre sind es nur 33 Prozent, also nur gut die Hälfte.“Eine weitere Kategorie ist wiederum der Bildungsstand, dabei ist die negative Haltung zur Einwanderung bei Menschen ohne Hochschulabschluss um ein Vielfaches höher als bei Akademikern. Überraschend dürften andere demografische Faktoren sein, wie Region und Geschlecht. So stehen die Mährer deutlich skeptischer der Einwanderung gegenüber als die Böhmen. Zudem sehen in Tschechien die Frauen in der Migration öfter ein Problem als die Männer.
Herkunft ist entscheidend
Deutlich wird außerdem, dass Tschechen die Migranten je nach Herkunft differenzieren:„Erwartungsgemäß sind die arabischen Staaten ganz vorne, also Syrien, Irak, Libyen und Nordafrika. Wobei die afrikanischen Staaten etwas besser wegkommen als die in Nahost. Außerdem wird die Migration aus Albanien von 77 Prozent der Befragten als Problem empfunden.“
Doch der Islam ist nicht das einzige Kriterium für eine Ablehnung durch die Tschechen. Auch einige „christliche“ Länder in Europa schneiden relativ schlecht ab bei der Umfrage:
„Die Einwanderung von Rumänen wird von 63 Prozent der Tschechen abgelehnt. Damit wird die Migration aus einem EU-Land negativer aufgenommen, als beispielsweise die aus der Ukraine, die bei 47 Prozent liegt. Dabei wird meist gerade über die Ukrainer behauptet, dass sie Arbeitsplätze stehlen würden und ein Sicherheitsrisiko seien.“
Gerade die Ukrainer haben sich laut der Umfrage massiv verbessert im Vergleich zur Vergangenheit:„Eine Frage an die Befragten war, ob sie die Migration aus der Ukraine früher als Problem empfunden haben und sie heute eher positiv sehen. Ganze 28 Prozent gaben dabei an, dass sie ihre Meinung in den letzten Jahren geändert hätten.“
Mit wem die Tschechen übrigens kaum Probleme haben, das sind Polen, Spanier und Vietnamesen.
Politik und Medien als Wurzeln des Problems
Tschechien hat sich in den vergangenen Jahren tatsächlich zu einem Einwanderungsland entwickelt. Das liegt unter anderem an der guten Wirtschaftslage. Aus Mangel an Arbeitskräften hat die Regierung sogar Programme gestartet, um Arbeiter aus der Ukraine, Serbien oder von den Philippinen anzuwerben. Dennoch ist das Land ethnisch sehr homogen, wenn man von der relativ großen vietnamesischen Community absieht. Woher kommt aber dann die große Angst vor der Migration? Der Ano-Politiker Jaroslav Bžoch ist der Chef des Unterausschusses für Migration im Abgeordnetenhaus:„Wir beschäftigen uns ja gar nicht mit der Migration selbst. Es geht immer nur darum, dass bestimmte politische Parteien fortlaufend Angst schüren mit dem Thema. Genau so sind die Zahlen zu lesen, vor allem bei der Altersgruppe 51 bis 65 Jahre. Diese Menschen haben wahrscheinlich noch nie einen Migranten getroffen, aber ununterbrochen erzählt ihnen jemand etwas über die Einwanderer. Meiner Meinung nach ist das das größte Problem.“
Das Problem dabei: eine Ablehnung der Migration ist fast schon parteiübergreifender Konsens. Auch Premier Andrej Babiš (Partei Ano) eckt in der EU regelmäßig an mit der Ablehnung von Flüchtlingen. Laut Jaroslav Bžoch darf man die Haltung seiner Partei aber nicht verallgemeinern:„Die harte Haltung der Partei Ano gegenüber den Migranten war eine einstweilige Reaktion auf den Umverteilungsmechanismus in der EU, also die sogenannten Quoten. Tschechien hatte sich damals freiwillig dazu verpflichtet, rund 1500 Migranten aufzunehmen. Ein Teil davon sollte aus Syrien kommen, ein weiterer aus Lagern in Griechenland, Italien und Jordanien. Trotz unseres Engagements hat die EU uns aber angeordnet, über Quoten noch mehr Menschen aufzunehmen. Und da sagen wir weiterhin Nein.“
Ein anderes Problem sind für Bžoch die Medien. Vor allem seit den großen Flüchtlingsströmen im Jahr 2015 ist die Einwanderung aus arabischen Ländern hierzulande Dauerthema. Und gerade im Zeitalter von Social Media können Meldungen und insbesondere Falschmeldungen zu einem Selbstläufer werden:„In den sozialen Netzwerken kreisen immer dieselben Dinge und vertiefen bestimmte Meinungen. Wenn man gewisse Fakten nicht überprüft, dann glaubt man diese Sachen am Ende auch. Das betrifft vor allem Senioren, die sich leicht von Schlagzeilen beeindrucken lassen. Das Ergebnis sieht man dann bei Umfragen wie dieser.“
Dies kann auch Andrea Krchová unterstreichen. Sie leitet ein Konsortium von Bürgerinitiativen und NGOs, die sich mit Migrationsthemen beschäftigen. Dabei geht es in ihren Augen aber nicht nur um sogenannte Desinformations-Plattformen:
„Für mich ist das auf jeden Fall auch ein Problem der seriösen Medien. Es geht dabei darum, wie Informationen präsentiert werden. Wenn beispielsweise ein Tscheche jemanden überfährt, dann sagt man nicht konkret, dass es ein Tscheche war. Wenn aber ein Ausländer der Täter war, wird das immer extra betont. Die Information, dass sich beispielsweise drei Ukrainer geprügelt haben, ist vor allem in kleinen Ortschaften gleich ein großes Thema. Auch wenn Wirtshausschlägereien eigentlich überall etwas ganz Gewöhnliches sind.“
Unklarer Modus und zu wenig Differenzierung
Allerdings gibt es auch Vorbehalte gegenüber der Erhebung des Instituts für Politik und Gesellschaft. Laut Andrea Krchová ist der Modus fehlerhaft. Vor allem kritisiert sie, dass die Befragten nicht wirklich repräsentativ ausgewählt wurden:„Die Art, wie die Daten erhoben wurden, und die Fragestellung sind meiner Meinung nach mangelhaft. Aus diesem Grund halte ich die Umfrage insgesamt für irrelevant.“
Noch mehr stört die Aktivistin aber, dass der Begriff Migration in der Studie zu sehr vereinfacht ist. So wurde beispielsweise nicht zwischen Flüchtlingen und Arbeitsmigranten unterschieden. Andrea Krchová verweist dabei auf eine weitere Studie, die unlängst erschienen ist:
„Es handelt sich um eine Studie der Hilfsorganisation Člověk v tísni. Diese hat festgestellt, dass die Medien in Tschechien beim Thema Migration fast ausschließlich über die Einwanderung von Menschen übers Mittelmeer berichten. Über die Migration in unser Land wird hingegen nicht gesprochen, denn sie geschieht ohne Konflikte. Dabei kommen zu uns vor allem Arbeitsmigranten.“Dialog und Integration als Ausweg
Nichtsdestotrotz sind die Zahlen alarmierend. Und auch der politische Diskurs hierzulande deutet darauf hin, dass Migration nicht als Normalität empfunden wird. Jaroslav Bžoch will deshalb auf gegenseitiges Verständnis setzen:
„Es muss ein Dialog geführt werden, an dem sich die Politik, die Medien und die NGOs beteiligen. Da muss es eine Zusammenarbeit geben, denn gerade das ist in der Frage entscheidend.“Natürlich müsse man auch gegen Fake News und Ähnliches kämpfen, meint Bžoch. Doch dies sei oft nicht genug. Andrea Krchova fordert hingegen eine Grundsatzdebatte – und mehr Anstrengungen bei der Integration:
„Man muss die Migration klar beim Namen nennen. Nach Tschechien kommen vor allem wirtschaftliche Migranten, sie werden oft aber herabgestuft zu bloßen Arbeitskräften. Das reicht jedoch nicht, denn die Gemeinden haben deswegen kein Konzept zur Integration dieser Einwanderer. Wir müssen die Migranten und ihre Familien endlich als Menschen wahrnehmen und nicht lediglich als Arbeitskräfte, die dem wirtschaftlichen Wachstum und den Unternehmen dienen sollen.“