Das virtuelle Gesicht des Freiherrn von der Trenck
Franz Freiherr von der Trenck war wohl der berühmteste Häftling in der Brünner Festung Špilberk / Spielberg. Seine Mumie ist nun mehr als zwei Jahre lang eingehend untersucht worden. Daher kann dem Adligen mittlerweile ein konkretes Gesicht gegeben werden. Aber das Team von Wissenschaftlern mehrerer Disziplinen hat auch viele weitere Erkenntnisse gewonnen. All das ist in einer Ausstellung auf dem Brünner Spielberg zu sehen. Im Folgenden mehr über das neue Leben des Freiherrn von der Trenck.
Einen Einblick in die bis Ende Dezember laufende Ausstellung und damit auch in das inzwischen beendete Forschungsprojekt vermittelt Petra Urbanová. Sie ist Leiterin des anthropologischen Instituts an der Masaryk-Universität:
„Den ersten Raum haben wir in Zusammenarbeit mit Architekten als eine Art anthropologisches Quasi-Labor gestaltet. Dieses soll vermitteln, wie Trencks Mumie untersucht wurde. Dazu dient ein Digitalmodell der Mumie. Bei diesem kann man auch das Skelett sehen, auf dem die Einzelheiten unserer Forschungsarbeit durch ein Video-Mapping veranschaulicht werden. Als erstes erscheint das Bild eines fotogrammetrisch erstellten dreidimensionalen Modells der Mumie. So sieht sie in der Tat aus im gläsernen Sarg in der Kapuzinergruft. Es folgt das Bild ihrer Untersuchung mittels Computertomographie, die dank der Zusammenarbeit mehrerer Institutionen genehmigt und im Brünner Universitätsklinikum vorgenommen wurde.“
Computertomographie der Mumie
Die radiologische Untersuchung ermöglichte den Einblick in die inneren Strukturen der gut erhaltenen Mumie. Es entstand unter anderem eine Serie von rund 40 000 Bildern, mit deren Hilfe das Anthropologenteam einen größeren Teil der Mumie rekonstruieren konnte. Und was war dann der erste Schritt der Anthropologen?„Als Erstes wollten wir uns das Skelett anschauen. Dabei haben wir festgestellt, dass der Mumie außer einem Finger auch einige Körperteile fehlen. Zum Beispiel ein paar Fingerknochen und drei Hals- sowie ein Brustwirbel. Wir haben zudem herausgefunden, dass der Kopf, der nicht mehr auf dem Rumpf sitzt, nicht gewaltsam abgehackt wurde. Das besagte eine der Legenden über Trenck. Höchstwahrscheinlich ist der Kopf infolge des natürlichen Zerfalls, oder besser: der natürlichen Degradierung der Knochenmasse im Halsbereich abgefallen. Bevor Trencks Mumie in einem gläsernen Sarg im Kapuzinerkloster bestattet wurde, lagen seine Gebeine eine lange Zeit zusammen mit denen anderer Kapuziner auf dem Boden der Gruft, wobei der Kopf auf einem Ziegelstein ruhte. Im Übrigen wurde sein seit Jahren vermisster Daumen der linken Hand Anfang 2017 durch Zufall im Brünner Stadtmuseum gefunden. Bei unserer Arbeit am Computer konnten wir die fehlenden Teile des Skeletts virtuell wieder hinzufügen.“
Einen kleinen invasiven Eingriff habe man sich aber erlaubt, so Petrová. So sei eine DNA-Probe entnommen worden. Die Untersuchung von Trencks Skelett lieferte interessante Erkenntnisse:„Auffällig ist vor allem seine Größe. Trenck hatte das Maß von 1,87 Metern. Zu seinen Lebzeiten, also um die Mitte des 18. Jahrhunderts, waren die Männer deutlich kleiner, im Durchschnitt waren dies nur 1,69 Meter. Interessant sind die Proportionen seines Körpers. Sein Kopf scheint zum Beispiel im Verhältnis zu seinem restlichen Körper relativ klein gewesen zu sein. Er machte nur ein Zehntel der Körpergröße aus. Im Idealfall hätten es ein Siebtel oder ein Achtel sein müssen. In absoluten Zahlen ist der Kopf jedoch überdurchschnittlich groß. Trenck hatte sehr lange Beine und lange Hände, doch seine Schuhgröße war nur 40. Des Weiteren war sein Brustkorb kegelförmig, das Zwerchfell breitflächig und die Lungen groß. Das war im gewissen Sinne ein Vorteil in seinem abenteuerlichen Leben.“
Nach Ansicht der Anthropologin muss Trenck „überdimensional große“ Handschuhe gebraucht haben:
„Er hatte extrem lange Finger. Wir bezeichnen sie als spinnenartig. Die Knochen seiner Finger waren jedoch lang und zugleich kräftig. Sehr groß und robust war etwa auch jeweils der kleine Finger an beiden Händen. Das war für ihn ein Vorteil, so konnte er zum Beispiel den Griff seines Schwertes fester umschließen. Ich würde sagen, dass Trenck für uns Wissenschaftler schon allein wegen seiner besonderen Proportionen eine faszinierende Figur ist.“Am Rückgrat haben die Experten deutliche Spuren von degenerativen Veränderungen ausgemacht. Deswegen dürfte der Freiherr wohl mit Rückenschmerzen gekämpft haben:
„Seine Wirbelsäule hatte nicht die optimale Doppel-S-Form. Zumindest gegen Ende seines Lebens hat er unter einem Flachrücken gelitten. Beim Scannen des Rückgrats waren auch sogenannte Schmorl-Knötchen zu erkennen. Das ist Bandscheibengewebe, das in die Wirbelkörper eingedrungen und später verkalkt ist. Was Trenck am Lebensende höchstwahrscheinlich besonders schwer zu schaffen gemacht hat, war ein Schienbeintrümmerbruch, den er in der Schlacht beim mittelböhmischen Kolín erlitten hatte. Diese Verletzung fesselte ihn zweifelsohne mindestens für ein halbes Jahr ans Bett. Sie führte zur Verkürzung und Deformation des Schienbeins und letztlich auch zu einer Fußfehlstellung nach innen. An der Bruchstelle entstand ein chronischer Abszess mit Eiter. Trenk hatte bis zum Ende seines Lebens dann große Probleme beim Gehen.“
Hinkender Krieger
Die Anthropologen haben ihre Befunde auf Wunsch des Brünner Stadtmuseums mit historiographischen Informationen verglichen. So entstand ein konkreteres Bild von Trencks Verletzungen und auch den Folgen seines Umgangs mit Schusswaffen. In seinem Gesicht wurden unter der Haut im erhaltenen Weichgewebe auch Spuren von schwarzem Schießpulver gefunden.Außerdem hatte der Unterkiefer eine leichte Asymmetrie. Laut der Anthropologin deutet dies auf wiederholte Kieferhöhlenentzündungen und Zysten in der rechten Gesichtshälfte hin. Trenck musste also überwiegend auf der linken Seite kauen, weswegen dort die Zähne stärker abgeschliffen waren. Eine dicke Zahnsteinschicht auf allen Zähnen zeugt wiederum von mangelnder Pflege des Mundes.
All die Erkenntnisse und Daten haben dem Expertenteam ermöglicht, ein komplexes Bild des Franz von der Trenck zu erstellen. Petra Urbanová:
„Dies war der Höhepunkt unseres Projektes, und er ist einmalig. Es handelt sich nicht nur um eine Rekonstruktion des Gesichts sondern des gesamten Körpers. Dafür hatten wir allerdings keinerlei Anleitung, wir mussten uns selbst etwas einfallen lassen. Nach der Ganzkörperrekonstruktion war unser Ziel, Trenck in einer 3D-Animation in Bewegung zu bringen. Dabei halfen 3D-Druck und weitere Technologien. Die Animation veranschaulicht sowohl die Körpergestalt, als auch einige Eigenheiten. So ist in unserem Video zum Beispiel zu sehen, dass der Freiherr Probleme beim Gehen hatte. Des Weiteren haben wir bei einer UV-Untersuchung herausgefunden, dass Trenck vor seinem Tod einen Stoppel- sowie einen Schnauzbart trug und keine Glatze hatte. Stattdessen waren seine Haare an den Schläfen zu Zöpfchen gebunden. Dies deutet auf sein Engagement bei den Truppen der Panduren hin. Und außerdem lassen wir unseren animierten Trenck noch Geige spielen, worüber wir aus den Quellen erfahren haben.“
Die Ausstellung „Baron Trenck: ein neues Gesicht der Legende“ im gotischen Saal der Brünner Festung Spielberg läuft noch bis 31. Dezember. Sie ist täglich außer montags geöffnet, und zwar von 9 bis 17 Uhr.
Der virtuelle Trenck geht laut der Anthropologin weit über die Möglichkeiten des Uni-Labors hinaus. Für die spezifische Aufgabe wurden Animationsexperten herangezogen, die ansonsten an Computerspielen arbeiten. Sie nutzten das sogenannte Motion-Capture-Verfahren, das zum Beispiel dem US-amerikanischen Film „Avatar“ zum Erfolg verholfen hat. Nun sei auch eine Art „Brünner Hollywood-Film“ entstanden, sagt Petra Urbanová mit einem Lächeln.