Havel, Victory-Zeichen und Stacheldraht-Schmuck

Foto: Markéta Kachlíková

Was bedeutet Freiheit für die Jugend von heute? Diese Frage wird bei einer Ausstellung in der Galerie der Tschechischen Zentren in Prag beantwortet.

Foto: Markéta Kachlíková

Halsschmuck aus Stacheldraht  (Foto: Markéta Kachlíková)
Plakate und Installationen mit allen möglichen Variationen zum Thema Václav Havel, Motive jenes Herzchens, das Havel seiner Unterschrift gerne beifügte und mannigfaltige Verarbeitungen der Victory-Zeichen-Geste. Dazu kommen Halsschmuck aus Stacheldraht oder Broschen aus Schlüsseln, einem der Hauptsymbole der Samtenen Revolution vor 30 Jahren. Dies alles ist derzeit in der Ausstellung mit dem schlichten Namen „Freiheit“ in der Galerie der Tschechischen Zentren in Prag zu sehen.

Was bedeutet für Sie die Freiheit? Diese Frage wurde Studierenden von zwei Kunstschulen gestellt. Was assoziieren die jungen Künstler mit dem Begriff Samtene Revolution, und mit welchen Werten sind die Ereignisse vom Herbst 1989 für sie verbunden? Auch diese Fragen standen im Hintergrund des Auftrags. Angesprochen wurden Studenten aus dem Grafik-Atelier der Fakultät für Design und Kunst der Westböhmischen Universität in Plzeň / Pilsen sowie des Ateliers K.O.V. der Hochschule für Kunstgewerbe in Prag. Die Schmuckkünstlerin Eva Eisler leitet das Atelier K.O.V., die Abkürzung steht für Konzept – Objekt – Bedeutung. Sie hat mit ihren Studenten zunächst über Freiheit debattiert und ihnen geraten, ihre Eltern und Großeltern zu befragen:

Foto: Markéta Kachlíková
„Die jungen Menschen heute nehmen überhaupt nicht wahr, was Freiheit ist, weil sie in Freiheit leben und diese als selbstverständlich betrachten. Bei den Debatten sind sie nach und nach haben zur Erkenntnis gelangt, dass die Freiheit kein unveränderlicher Zustand ist. Sie ist wie die Liebe: Man muss sie verteidigen und seine eigene Unsicherheit bekämpfen, denn die Angst ist ein Feind der Freiheit.“

Dita Buchtová studiert im ersten Jahr an der Prager Kunstschule. Ihr habe zunächst die Entscheidung schwer gefallen, ob sie sich auf ihre innere Freiheit oder die äußere Freiheit, also die Politik und die Verhältnisse hierzulande, konzentrieren solle:

„Letztlich habe ich beides verbunden. Ich habe einen Schmuck aus Stacheldraht geschaffen. Damit wollte ich ausdrücken, dass hier vor 30 Jahren Unfreiheit geherrscht hat. Mein Vater hatte gute Noten in der Schule, wurde aber nicht zum Abitur gelassen. Denn eine der Bedingungen dafür war, der kommunistischen Partei beizutreten. Meine Mutter durfte nicht an der Pädagogischen Hochschule studieren, weil ihr Vater Katholik und Mitglied der christdemokratischen Volkspartei war. In unserer Familie gab es noch mehrere solche Fälle. Der Stacheldraht steht für die Unfreiheit: Man durfte seine Meinung nicht äußern, durfte nicht nach seinem Wunsch studieren, durfte nicht reisen. Es ist ein geschlossener Kreis, das soll die Grenze darstellen. Der Draht ist absichtlich verrostet, damit man sehen kann, dass sich das Symbol auf die Realität vor 30 Jahren bezieht.“

Foto: Markéta Kachlíková
Dita Buchtová hat einen Halsschmuck aus Stacheldraht geschaffen. Dieser könne als Objekt ausgestellt werden, lasse sich aber auch wirklich tragen, sagt sie. Man müsse daran erinnern, dass es hier einst Unfreiheit gegeben habe. Nur dann wisse man es zu schätzen, dass man heute frei leben könne, betont die Kunststudentin.

Tomáš Holub studiert im Grafik-Atelier der Universität in Pilsen. Er hat das zentrale Plakat für die Ausstellung entworfen. Auf dem Poster dominieren das tschechische und das englische Wort für die Freiheit in Rot und Schwarz.

„Mein Auftrag lautete, die Ausstellung ‚Freiheit: Ein Blick der jungen Generation‘ in zwei Sprachen zu präsentieren. Grundlage für mich war die Idee, dass meine Freiheit dort endet, wo die Freiheit eines anderen Menschen beginnt. Deswegen greifen die Wörter svoboda und freedom ineinander über und bringen sich gegenseitig ins Gleichgewicht.“

Foto: Markéta Kachlíková
Matěj Matouš von der Fakultät für Kunst an der Pilsner Uni hat für das Konzept und die Organisation der Ausstellung gesorgt. Er beschreibt, wie die Arbeit im Grafikatelier ausgesehen hat:

„Wir haben im letzten Semester zunächst die Aufgabe bekommen, Plakate zum Thema Václav Havel zu gestalten. Später wurde das in das Thema Freiheit transformiert. Schließlich entstanden nicht nur Plakate, sondern auch Installationen. Dazu gehört etwa eine Schreibmaschine, mit der man nichts außer Herzchen schreiben kann. Aber meist stellen wir Plakate aus.“

Ein Motiv zieht sich durch die gesamte Ausstellung: die Hand, bei der der Zeige- und Mittelfinger zu einem „V“ ausgestreckt sind. Dieses steht für Victory, also den Sieg. Kristina Fišerová leitet das Grafikatelier in Pilsen:

Foto: Markéta Kachlíková
„Es hat mich überrascht, dass mehrere Studenten sofort dieses Piktogramm entworfen haben, also dieses ‚V‘ als Zeichen des Sieges der Freiheit. Das Symbol ist auch in der heutigen Zeit lebendig. Ich leite das Atelier zusammen mit Professor Rostislav Vaněk, der einst dieses Zeichen als Symbol der Freiheit für das Bürgerforum entworfen hat. Deswegen haben unsere Studenten und wir uns eben auf dieses Motiv und seine Bildsprache konzentriert.“

Auch auf den grafischen Bildern von Matěj Matouš sind neun Hände zu sehen, die die bekannten Gesten formen:

„Es ist eine Reflexion der heutigen Zeit. Dargestellt sind positive Gesten, die aber erzwungen sind. Zum Beispiel fehlen einer Hand die Finger, sodass sie nichts anderes als das Victory-Zeichen zeigen kann. Es ist eine Reaktion auf die heutige Zeit, in der wir in den Social Media von Emoticons überhäuft werden. Es liegt aber an jedem Betrachter selbst, eine Message darin zu finden.“

Tereza Kovářová aus der Pilsner Kunstfakultät stellt gleich mehrere Plakate aus:

Foto: Archiv der Tschechischen Zentren
„Ich gehöre einer Generation an, die Václav Havel noch erlebt hat. Ich war ein Kind, als er Präsident war. Man muss aber schon nach Informationen dazu suchen, warum er eine solch große Persönlichkeit gewesen ist. Derzeit lese ich ein tolles Buch vom Verlag Host über die Bedeutung Havels in Amerika. Im Schulunterricht findet die jüngste Geschichte leider wenig Raum. Für mich waren daher die Gespräche in der Familie wichtig. Meine Eltern und Verwandten haben mir Informationen darüber vermittelt, wie es damals war, wie sich die Geschichte im 20. Jahrhundert entwickelt hat. Sie sind Augenzeugen und können dazu Vieles sagen.“

Auf den ersten Blick fällt ein Plakat auf mit einer Figur, deren Arm mit einem Porträt von Václav Havel tätowiert ist:

„Es war ein temporäres Tattoo. Ich habe die Arbeit an diesem Plakat sehr genossen. In der Ausstellung zeige ich noch zwei weitere Bilder, und zwar zum Thema ‚Become a New Hero‘, also ‚Werde ein neuer Held‘. Ein buntes Plakat zeigt einen Mensch, der der Freiheit entgegenschreitet. Das andere Plakat ist ein Spiegel. Dieser spiegelt jeden Betrachter, der Lust hat reinzuschauen und ein Held zu sein.“

Die Ausstellung mit dem Titel „Svoboda“ („Freiheit“) ist bis Ende dieser Woche in der Galerie der Tschechischen Zentren in Prag zu sehen (Rytířská 31, Prag 1). Die Öffnungszeiten sind Dienstag bis Freitag von 11 bis 18 Uhr und Samstag von 11 bis 17 Uhr.

Und wie brennend ist eigentlich das Thema Freiheit für die jungen Menschen 30 Jahre nach der Wende vom Kommunismus zur Demokratie? Der Grafik-Student Matěj Matouš:

„Ich bin schon beruhigt. Wir haben letzte Woche eine leidenschaftliche Debatte mit unserem Professor dazu geführt und über die Protestdemonstrationen diskutiert. Eigentlich sind wir zu keinem Ergebnis gekommen. Ich denke aber, dass es uns momentan gut geht: Wir leben in Freiheit und sind in der Lage, das wir selbst beeinflussen können, wie wir leben möchten. Ich habe also keine große Angst und glaube, dass alles gut ausgehen könnte.“

Die Ausstellung in Prag ist ein Auftakt für ein internationales Projekt. Über die Tschechischen Zentren sollen auch Studierende von Kunstschulen im Ausland mit derselben Frage angesprochen werden: Was bedeutet die Freiheit für Sie? Die Arbeiten der jungen Künstler aus mehreren Ländern sollen dann in einer Wanderausstellung gemeinsam präsentiert werden.