„Charlotte“: Ein Leben in Bildern
Am 1. Juni hatte das Kammeroper-Musical „Charlotte“ vom tschechischen Gegenwartskomponisten Aleš Březina in Toronto seine Weltpremiere. Das Opus beschreibt die Lebensgeschichte der jungen talentierten jüdischen Malerin Charlotte Salomon, die am 10. Oktober 1943 in Auschwitz ermordet wurde. Bald wird die Inszenierung auch in Prag und beim Musikfestival Smetanas Litomyšl aufgeführt. Martina Schneibergová hat mit Aleš Březina über sein Werk gesprochen.
„Die Bilder von Charlotte Salomon sind so wild eklektisch, dass auch vom Komponisten ein breiter Eklektizismus verlangt wird. Ich wollte Opernsänger in dem Opus haben. Und daneben die ganze Bandbreite von der reinsten zeitgenössischen Opernmusik bis zum qualitativ hochstehenden Musical in der Tradition eines Leonard Bernstein nutzen.“
Inspiriert wurde das Kammeropernmusical durch das Leben der Malerin Charlotte Salomon. Wer war sie und welcher Abschnitt ihres Lebens wird in Ihrer Komposition dargestellt?
Wann hat Charlotte Salomon diese Gemälde gemalt?
„Sie hat die Gouachen in den Jahren 1941 bis 1942 in der Emigration im südfranzösischen Villefranche-sur-Mer gemalt. Wenn man es zusammenrechnet, musste sie bis zu acht Gemälde an einem Tag anfertigen. Es ist eine Unmenge an unglaublichem Material. Man spürt den Drang, den sie fühlte, um ihre Lebensgeschichte festzuhalten.“
Hat die Malerin die Gemälde durch Notizen oder Texte ergänzt?„Sie hat direkt Texte in die Gemälde reingeschrieben. Sie hat auch Empfehlungen hinzugekritzelt, man solle sich das zur Musik von Mendelssohn-Bartholdys Sommernachtstraum vorstellen. Sie hat eigentlich viele Hinweise gegeben, die wir jedoch nur zu einem geringen Teil berücksichtigt haben. Ansonsten wäre es ein allzu viel buntes Stück. Denn wir wollten die Lebensgeschichte auch bei der Vielfalt der Musiksprache als Einheit darstellen.“
Wo hat die Künstlerin die Gouachen aufbewahrt?
„Sie hat sie ein Jahr vor ihrer Verhaftung im Jahre 1942 einem Freund übergeben und ihm gesagt: ,Pass gut auf, denn sie enthalten mein ganzes Leben.‘ Sie hat damit praktisch ihr Testament verfasst.“
Wie erklären Sie sich, dass Charlotte Salomon nicht sehr bekannt ist?
„Schwer zu sagen. Ihre Geschichte ist faszinierend. Aber es ist eine Bildgeschichte. Im Vergleich mit Anne Frank ist es nicht die Geschichte eines kleinen Mädchens, sondern einer erwachsenen Frau, die ihre Jugend beschreibt. Die Gemälde wurden erst in den 1950er Jahren gefunden. In den 1960er und 1970er Jahren wurden die Gouachen im Museum in Amsterdam aufgearbeitet.“
Wie hat das Publikum auf die Inszenierung reagiert?„Die Leute waren bei den ersten Workshops 2014 und 2017 sehr angetan vom Lebenswerk Charlotte Salomons. Kaum einer hat sie gekannt. Sie hat die Menschen wirklich zum Nachdenken gebracht. Was uns sehr freut – das Publikum begreifen unsere Charlotte als eine Einheit von Musik, Bild, Text und Regie. Die Zuschauer verstehen das als eine Dreieinigkeit vom Librettisten, der Regisseurin und dem Komponisten. Die meisten Reaktionen sind eine tiefe Betroffenheit.“
Das Stück wird bald in Prag und in Litomyšl / Leitomischl aufgeführt. Wird es davor auch an anderen Orten gespielt?
„Die ersten drei internationalen Auftritte werden am 21. und 22. Juni beim internationalen Jaffa Festival in Tel Aviv stattfinden. Danach geht es nach Lwiw, Kiew, Prag und Litomyšl. Geplant sind zudem Vorstellungen in weiteren europäischen Städten, insbesondere in Amsterdam, wo das Gesamtwerk von Charlotte Salomon im Jüdischen Museum aufbewahrt wird.“
Das Theaturtle Toronto wird Aleš Březinas Kammeropermusical Charlotte am 1. und 2. Juli auf der Neuen Szene des Prager Nationaltheaters aufführen. Am 5. Juli findet eine Vorstellung im Smetana-Haus in Litomyšl statt. Es gibt noch Restkarten.