Rundfunk würdigt Ereignisse und Kollegen von 1968 mit Sondersendung
Der 21. August 1968 war ein sehr trauriger Tag für viele Bürger, die in der damaligen Tschechoslowakei lebten. Denn ihr großer Traum, ein „Sozialismus mit menschlichen Antlitz“, wie ihn Kommunistenführer Alexander Dubček ausgerufen hatte, wurde mit einem Schlag beendet: Und zwar durch die Panzer des Warschauer Paktes. Am Dienstag wird in ganz Tschechien an das erschütternde Ereignis vor 50 Jahren erinnert.
Am Dienstag wird in Prag an die Okkupation der Tschechoslowakei durch die Sowjetarmee und ihrer damaligen Verbündeten am 21. August 1968 mit mehreren Konzerten, Filmen und Ausstellungen erinnert. Die Veranstaltungen zum Jahrestag des Ereignisses beginnen offiziell am Vormittag mit dem traditionellen Pietätsakt vor dem Eingang des Tschechischen Rundfunks zum Andenken an die Tschechen und Slowaken, die vor 50 Jahren ihren Mut mit dem Leben bezahlt haben.
Das altehrwürdige Rundfunkgebäude ist nicht von ungefähr der zentrale Ort in der Symbolik des sogenannten Prager Frühlings 1968. Hier fanden die heftigsten Kämpfe der Einheimischen gegen die Okkupanten statt. Denn der Rundfunk war wegen seiner informativen Strahlkraft einer der wichtigsten Orte für das pro-reformistische Selbstwertgefühl eines jeden Bürgers. Die damaligen Redakteure und Techniker haben die Menschen letztlich auch so objektiv wie möglich über das damalige Geschehen informiert – trotz des großen Drucks von Seiten der Besatzer. Und an diese Kollegen und deren Sendungen vor 50 Jahren erinnert der Rundfunk ab Montagabend 21 Uhr bis Dienstag 10 Uhr in einer 13-stündigen Sondersendung. Dazu erläutert der Nachrichten-Direktor der heutigen Sendeanstalt, Jan Pokorný:
„Wir wollen die Nacht vom 20. zum 21. August 1968 so originalgetreu wie möglich rekonstruieren, weil sie für die damalige Tschechoslowakei und den Tschechoslowakischen Rundfunk von entscheidender Bedeutung war. Wir werden an mehreren Plätzen zirka 20 Kollegen vor Ort haben. Es sind Plätze, an denen sich wichtige Szenarien abgespielt haben. Einige werden beispielsweise auf dem Prager Flughafen sein, wo seinerzeit am Abend eine mysteriöse Maschine gelandet war. Von seiner Standposition aus ersuchte der Kapitän des Flugzeugs den Tower, seine Motoren anlassen zu können. Im Tower wusste man nicht warum. Letztlich aber stellte sich heraus, dass diese Maschine wie eine mobile Leitzentrale funktionierte. Denn von hier aus wurde ab sofort die Steuerung des Luftverkehrs rund um Prag übernommen.“Und Pokorný ergänzt:
„Darüber werden wir nicht nur mit Zeitzeugen, sondern auch mit Historikern und anderen Experten im größten Studio des Rundfunks debattieren. Und sollte es Interessenten geben, die diese Sendung mit eigenen Augen verfolgen wollen, dann ist dies möglich, denn während der gesamten Sendezeit stehen unsere Türen offen. Mit dieser Sondersendung wollen wir aber nicht nur an die Ereignisse vor 50 Jahren erinnern, sondern gleichzeitig all den Helden von einst huldigen, die seinerzeit um das Rundfunkgebäude gekämpft haben, sowohl von außen als auch von innen.“
Der Sendung eine besondere Note geben werden zweifellos die Zeitzeugen von damals, verspricht Pokorný. Es sei indes nicht ganz einfach gewesen, die bereits hochbetagten Mitbürger vors Mikrofon zu kriegen, räumt der Nachrichtenchef ein:
„Mit jedem Zeitzeugen haben wir ein in etwa einstündiges Gespräch geführt. Ihre authentischen Erinnerungen waren sehr emotional, sowohl für unsere Gesprächspartner als auch für uns selbst. Wenn Ihnen zum Beispiel die Kollegin Jitka Borkovcová im Studio gegenübersitzt, einen Granatsplitter zeigt und dann erzählt: ‚Das ist ein Splitter der Granate, die damals in der Kantine explodierte, als ich mir gerade einen Kaffee holen wollte‘, dann sind das Erinnerungen, die unter die Haut gehen. Die meisten Gespräche haben wir aus Respekt vor dem Alter der Zeitzeugen in Ruhe vorproduziert. Doch unter ihnen ist auch ein 92-Jähriger, der sagte: ‚Um 2 Uhr in der Nacht ist kein Problem. Ich komme gern zu Ihnen ins Studio, denn ich kann sowieso nicht schlafen‘.“
Die Ereignisse ab der Niederschlagung des Prager Frühlings haben den Tschechen und Slowaken aber nicht nur eine schlaflose Nacht bereitet. Rund 800.000 Menschen haben nach 1968 die Tschechoslowakei verlassen. Heute aber ist die große Mehrzahl stolz, die seinerzeit utopische Umwälzung des Sozialismus immerhin versucht zu haben.