Filmfestival Karlsbad: Kino anstatt Heilquellen
Kinostars, Regisseure, Produzenten und selbstverständlich die Zuschauer. Sie alle waren in der ersten Juli-Woche in der westböhmischen Kurstadt Karlsbad / Karlovy Vary dabei. Denn dort fand das 53. Internationale Filmfestival statt.
Ich habe von Ihnen gerade ein Exemplar der Festivalzeitung bekommen. Ist es ein Ferienjob, dass Sie diese hier verteilen?
„Ja es ist mein Job. Von neun bis zwölf Uhr verteile ich die Zeitungen. Danach habe ich andere Beschäftigungen. Zum Beispiel kontrolliere ich die Karten in einem der Kinos. Gestern habe ich bis ein Uhr in der Nacht gearbeitet.“
Haben Sie auch die Möglichkeit, selbst Filme anzuschauen?
„Ja, schon. Zum Beispiel heute Abend will ich mir einen Film anschauen.“
„Hier treffen sich die wesentlichen Leute, die mit dem mittel- und osteuropäischen Film zu tun haben.“
In Karlsbad tummeln sich in diesen Tagen aber auch die Filmprofis. So etwa Bernd Buder. Er ist Programmleiter des FilmFestivals in Cottbus, bei dem das Kino Osteuropas im Mittelpunkt steht. Deswegen sei die Fahrt nach Karlsbad für ihn enorm wichtig, sagt Buder:
„Karlovy Vary ist für uns sozusagen das zentrale Festival. Wir haben jetzt noch wenige Monate zum Recherchieren. Hier trifft sich die Szene, hier treffen sich die wesentlichen Leute, die mit dem mittel- und osteuropäischen Film zu tun haben. Es ist eine tolle Auswahl, also man wird immer fündig. Und man hat ein unglaubliches Netzwerk hier zur Verfügung. Außerdem macht es Spaß, hier zu sein.“
Eigentlich liegt der Schwerpunkt des Festivals in Karlsbad auch auf dem Osten. Eine Wettbewerbssektion heißt East of the West, also Östlich des Westens. Wie konkurrieren Ihr Festival und das hiesige?„Ich denke, wir ergänzen uns wunderbar. Karlovy Vary ist ein A-Festival, hat die internationalen Premieren, wir wollen vor allem deutsche – insofern gibt es keine Konkurrenz. Wir tauschen uns auch aus, kennen uns sehr gut. Auf anderen Festivals treffen wir uns öfters und geben uns gegenseitig Tipps.“
Welche Filme haben Sie hier gesehen?
„Den neuen Film des rumänischen Regisseurs Radu Jude. Ich finde ihn eine unglaublich tolle Reflexion über die augenblickliche Versuchung in Europa, Geschichte zu revidieren. Und über die Schwierigkeiten, die entstehen, wenn man selbst über die dunklen Etappen der Geschichte forscht. Denn wenn man sich ständig mit Holocaust, Politik und Vertreibungen beschäftigt, kommt man irgendwann selbst in eine komische Stimmungslage. Radu Judes Film ist ein Diskurs zu diesem Thema. Auch toll war ‚Cold War‘ des polnischen Regisseurs Pawel Pawlikowski, der im Nebenprogramm läuft.“
Zum wievielten Mal sind sie beim Filmfestival in Karlsbad?„Ich glaube, seit 2003 oder 2004 habe ich kein einziges Mal versäumt.“
Haben Sie eine Entwicklung, einen Fortschritt hier beobachtet?
„Ich glaube, die Filmauswahl war schon immer sehr gut. Auch durch die tollen Retrospektiven wie dieses Jahr zum baltischen Dokumentarfilmkino. Den Fortschritt kann man bisschen beobachten im Bereich der Filmindustrie: Man merkt, dass mehr wichtige Produzenten und Förderer hier sind als in den Vorjahren. Ich glaube, Karlovy Vary ist dadurch jetzt wichtiger geworden.“
Ist dieses Festival für Sie besonders wichtig gerade wegen der Orientierung nach Osten?
„Ja klar. Einerseits wegen der Orientierung, weil man hier viele Filme sehen und recherchieren kann, die aus Osteuropa kommen. Aber auch weil man viele Leute aus anderen Teilen der Welt trifft, die sich für Osteuropa interessieren.“Inwieweit interessieren Sie sich für Filme aus Tschechien?
„Tschechien gehört von Anfang an zu unseren Kernländern. Wir haben zum Beispiel einen tschechisch-deutsch-polnischen Jugendfilmwettbewerb, bei dem wir uns explizit auf die drei benachbarten Länder beziehen. Der Tschechischen Republik widmen wird auch in diesem Jahr ein paar Specials, und wir schauen, dass wir auf jeden Fall auch einen tschechischen Wettbewerbsfilm haben.“
„Es werden immer mehr Leute, immer mehr Industrieevents. Die persönliche Atmosphäre ist aber nicht verloren gegangen.“
Ein anderer Grund als Bernd Buder, den Festivalleiter, hat Eike Goreczka aus Halle an der Saale nach Karlsbad geführt:
„Wir sind eine Produktionsfirma aus Mitteldeutschland, 42Film. Wir kommen regelmäßig nach Karlovy Vary, weil wir hier öfter Filme haben, die im Wettbewerb laufen oder in der Sektion East of the West.“
Seit wann?
„Wir haben den ersten Film 2009 hier gehabt. Das war ‚Świnki‘ / ‚Ich, Tomek‘, eine deutsch-polnische Koproduktion von Robert Gliński. Dann waren wir mit ‚Corn Island‘/ ‚ Die Maisinsel‘ hier, das war 2014, der auch den Kristallglobus gewonnen hat. Und letztes Jahr mit ‚Chibula ‚/ ‚Vor dem Frühling‘. Dieses Jahr sind wir ohne Filme hier.“Hat sich im Laufe der Jahre das Festival irgendwie verändert?
„Es werden immer mehr Leute, immer mehr Industrieevents. Aber das Schöne an Karlovy Vary ist, dass diese persönliche, sehr intime Atmosphäre nicht verloren gegangen ist. Weiterhin ist es ein Festival, zu dem man gerne fährt und bei dem der Aspekt, sich mit Menschen zu treffen sowie mit anderen Leuten über Filme zu reden und neue Projekte zu besprechen, über allem steht. Das ist toll an Karlovy Vary. Und das Wetter ist meist perfekt.“
Die andere Seite der Film-Industrie repräsentiert Gottfried Schwemmer. Der Regisseur und Autor sucht in Karlsbad nach Geldgebern, um seinen aktuellen Streifen beenden zu können.„Ich bin zum ersten Mal beim Filmfestival, aber ich mag Karlovy Vary sehr gerne. Ich war schon früher oft hier, als die Stadt noch einfacher war. Mittlerweile ist hier aber alles sehr mondän geworden. Früher war es besser.“
Wann war früher?
„Vor zehn, zwanzig Jahren. Ich habe vor ungefähr zwölf Jahren angefangen, einen Film zu machen, über die Stadt, über die Magie, die der Ort hat, und darüber, was mich daran fasziniert.“
Wo finden Sie diese Magie?
„Die Magie hat mit meinen ersten Aufenthalten zu tun. Das ist eine Erinnerung. Ich habe meine ersten Momente in Karlovy Vary gesucht und suche noch. Ich möchte das jetzt fertig machen, bevor diese Magie vielleicht verschwindet. Das ist eine Dokumentation, aber ich mische das auch mit Spielfilmelementen. Ich arbeite darin auch mit Schauspielern sowie historischen Personen, die hier auch waren.“
Mit welchen etwa?„Mir fällt zum Beispiel Goethe ein.“
Hat der Film eine Handlung, die man erzählen kann?
„Die Handlung ist eigentlich eine Bewegung durch die Stadt. Es ist ein Traum von dieser Stadt.“
Sie sagen, diese Magie gehe verloren. Wie nehmen Sie die Entwicklung der Stadt wahr?
„Ich kann nur aus meiner Sicht sprechen. Für mich geht sie verloren, weil hier so sehr das Geld hineingekommen ist, die reichen Menschen, die alles neu bauen. Ich sehe die Magie auch an alten Häusern, die noch Geschichte haben und etwas erzählen können.“
Wie weit sind Sie mit der Arbeit an dem Film?
„Die dokumentarischen Dinge sind eigentlich gedreht. Jetzt möchte ich mit den Schauspielern arbeiten. Dafür brauche ich aber Geld, um diesen Film fertig zu machen. Ich bin hier also auf der Suche nach möglichen Geldgebern.“
„Für mich ist die Kategorisierung zwischen Spiel- und Dokumentarfilm nicht so wichtig. Für mich ist das Interessante, beide Seiten zu verbinden.“
Die deutsche Regisseurin Johanna Domke hat es mit ihrem Film bereits in den Doku-Wettbewerb des Festivals geschafft. Das Werk nennt sich „Dream Away“ und ist zusammen mit ihrem ägyptischen Kollegen Marouan Omara entstanden.
„Der Film spielt in Scharm el-Scheich. Das ist ein Ferienort in Ägypten, der durch die Revolution in dem Land sehr gelitten hat. Ein Terroranschlag vor zwei Jahren hat im Grunde genommen den Tourismus dort lahmgelegt. Unser Film handelt von einer Gruppe Jugendlicher, die sich so sehr an das festlich geprägte Leben in diesem Ort gewöhnt hat, dass sie das nicht loslassen möchten. Sie haben immer noch den Traum, dass dieser Ort wieder zum Leben erweckt wird.“
Wie sind Sie in Kontakt gekommen mit den jungen Menschen?„Das ist ein längerer Prozess gewesen. Wir waren auf einer längeren Recherchereise und waren sehr erstaunt darüber, dass viele Leute sehr offen waren. Beim ersten Treffen ist uns ganz Intimes erzählt worden. Das hat sich dann schlagartig geändert, als wir die Kamera ausgepackt haben. Die Jugendlichen waren natürlich nicht mehr bereit, so offen zu sein. Dann ist uns klar geworden, dass wir eine Strategie entwickeln müssen. Wir haben einen Fiktionsgedanken entwickelt. Es ist eigentlich ein fiktionaler Film, der auf wahren Geschichten beruht. Wir haben einen Casting veranstaltet, zu dem 200 Leute kamen. Daraus haben wir sieben Protagonisten ausgewählt.“
Beim Filmfestival in Karlsbad werden in diesem Jahr zwei Dokumentarfilme aus Deutschland im Wettbewerb gezeigt, aber kein Spielfilm in der Hauptkategorie. Im vergangenen Jahr haben die Dramaturgen auch keinen deutschen Film gefunden, den sie gerne gezeigt hätten. Spiegelt dies eine allgemeine Entwicklung im deutschen Kino wider?
„Für mich ist diese Kategorisierung zwischen Spiel- und Dokumentarfilm nicht so wichtig, weil ich das Gefühl habe, dass ich mich irgendwo dazwischen bewege. Für mich ist das eigentlich Interessante, beide Seiten zu verbinden.“
Sind Sie zum ersten Mal zum Filmfestival in Karlsbad?„Ich bin zum ersten Mal in Karlsbad und bin sehr angetan von der Stadt.“
Das waren einige Stimmen vom 53. Filmfestival in Karlsbad, das an diesem Samstag mit der Preisverleihung zu Ende geht. Ein ausführliches Gespräch mit der Filmregisseurin Johanna Domke werden wir im Laufe des Sommers bei uns senden.