Antiker Trash, Märchen und viel Poesie
Der Schriftsteller Ondřej Cikán beschäftigt sich mit der Antike und tschechische Märchen, bereitet sie aber für das Hier und Heute auf. Der gebürtige Tscheche lebt seit fast dreißig Jahren in Wien und hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Österreichern die tschechische Literatur zu erklären. Am Rande der Prager Buchmesse Svět knihy erzählte Ondřej Cikán mehr über sein Werk, seine literarischen Wurzeln und sein Schreiben abseits klassischer „Migrantenliteratur“.
„Wir haben den Begriff Schundroman verwendet, als wir Werbung für den Film gemacht haben. Denn hätten wir die korrekte Bezeichnung ‚Antiker Liebes- und Abenteuerroman‘ genommen, hätte das bestimmt nicht so gut funktioniert. Eigentlich kann man bei den erhaltenen antiken griechischen Romanen – es sind an die sechs – nur bei zwei von richtigen Schundromanen sprechen. Bei den anderen gibt es zwar auch viele Trash-Elemente wie Blut, Gewalt und Humor, sie sind aber eigentlich an ein gebildetes Publikum gerichtet.“
Der Film Menandros und Thaïs versetzt eine antike Liebes- und Leidensgeschichte in die Jetzt-Zeit, ohne aber auf Helme, Schwerter und Streitwagen zu verzichten. Für Ondřej Cikan ist das kein Widerspruch:„Mich interessiert an der antiken Literatur, dass sie oftmals viel moderner ist als die moderne Literatur. Da damals viele Genres erfunden wurden, darunter auch der Roman, waren die Autoren sehr kreativ und haben viel herumgespielt. Der antike Roman ist unter anderem mit Boris Vian vergleichbar, was gerade die Sachen sind, die mir sehr viel Spaß machen. Für mich war es deshalb naheliegend, dieses Genre wiederzubeleben. Ich habe dann bei Menandros und Thaïs, und in weiterer Folge gemeinsam mit Antonín Šilár im gleichnamigen Film, das ursprüngliche Genre sehr respektiert. Gleichzeitig habe ich aber das Surreale und Phantastische noch einmal verstärkt. Am Ende ist dann tatsächlich etwas dabei herausgekommen wie der ‚Schaum der Tage‘ von Boris Vian.“
Antike statt Migration
Seit 1991 lebt Ondřej Cikan in Wien, er übersetzt und schreibt Bücher – und zwar ausschließlich auf Deutsch. Wo hat der 1985 in Prag geborene Schriftsteller aber seine literarische und sprachliche Heimat?„Ich würde mich als halbe-halbe bezeichnen. Ich bin in Österreich aufgewachsen und habe zu schreiben begonnen, weil ich meinen Freunden die tschechische Lyrik erklären wollte. Ich konnte sie damals noch nicht übersetzen, deswegen habe ich sie nachgeahmt. So habe ich angefangen, auf Deutsch zu schreiben.“
Cikán bestätigt aber, dass er die Beziehung zu Tschechien nie verloren habe:
„Zuhause haben wir immer Tschechisch geredet, und ich bin auf die tschechische Volksschule in Wien gegangen. Außerdem hat meine Großmutter Tschechisch unterrichtet. Was ich also nicht in der Schule gelernt habe, konnte ich dann bei ihr mitnehmen.“
Mit dem Schreiben hat Ondřej Cikan sehr jung begonnen, und zwar schon mit 14 Jahren. Mit 17 gründete er gemeinsam mit Anatol Vitouch den Literatur- und Theaterklub „Die Gruppe“. Seitdem geht Ondřej Cikán einen gemeinsamen Weg mit Anatol Vitouch, am Drehbuch für Menandros und Thaïs arbeiteten die beiden zusammen und derzeit gründen sie den Verlag Ketos. Dort bringen die beiden einerseits Übersetzungen altgriechischer Romane heraus, andererseits auch tschechische Literatur auf Deutsch.Seit Jahren schon bestimmen unter anderem Autoren mit Migrationshintergrund die deutschsprachige Literatur. In Österreich unter anderem Thomas Glavinic oder Michal Stavarič. Ondřej Cikán will aber eigentlich in eine ganz andere Richtung gehen:
„Das liegt daran, dass ich mich im Gegensatz zu den anderen Migrantenautoren – ich will da natürlich niemandem etwas unterstellen – nicht mit offensichtlich wichtigen Themen befasse. Ich glaube, dass Deutsch schreibende Autoren aus dem Ausland deshalb populär sind, weil sie entscheidende Dinge aus ihren Heimatländern verarbeiten. Das vergleicht man dann mit der Lage in Österreich oder Deutschland. Ich hingegen fahre eine konsequent surrealistische Schiene und mische das mit der Antike. Im deutschsprachigen Raum ist das aber noch nicht so angekommen. Ich hoffe aber, dass sich das bald ändern wird.“
Interessanterweise kommen seine Bücher laut eigener Aussage in Tschechien viel besser an als in Österreich. Das ist gerade deshalb bemerkenswert, da es seine Werke nicht in tschechischer Übersetzung gibt. Ondřej Cikán kann sich das aber ganz leicht erklären:„Ich befasse mich mit einer Lyrik, die in Tschechien viel populärer ist als in Österreich. Den Poetismus oder Surrealismus der tschechischen Moderne gab es im deutschsprachigen Raum einfach nicht, höchstens wurde da in den 1950er Jahren etwas nachgeholt.“
Dadurch stoße er in Tschechien auf viel mehr Verständnis, meint der Autor. Deutlich wurde das auch bei den Dreharbeiten zu Menandros und Thaïs, die Cikán mit seinem Jugendfreund und Blutsbruder, dem Prager Bühnenbildner Antonín Šilár realisiert hat. Denn was ursprünglich eine österreichisch-tschechische Koproduktion war, wurde schnell zur tschechisch-österreichischen. Am Ende kam dann fast ein rein tschechischer Film heraus:
„Ursprünglich war das Projekt halbe-halbe, es ist aber durch die Postproduktion ein eher tschechisches Projekt geworden, da wir ausschließlich tschechische Firmen hinzugenommen haben. Außerdem war es uns aus bürokratischen Gründen nicht möglich, in Österreich an irgendeine Förderung zu kommen. Von österreichischer Seite gab es dann tatsächlich nur unseren eigenen Verein, und staatliche Zuschüsse kamen wirklich nur aus Tschechien.“Das lag vor allem daran, dass Cikán und Šilár keine professionellen Regisseure sind. Für österreichische Produktionsfirmen war es deshalb nicht sehr aussichtsreich, sich um staatliche Zuschüsse zu bewerben.
Erklären und neu erdichten
Bisher sind keine Werke von Ondřej Cikán auf Tschechisch erschienen. Übersetzungen plant er bisher nicht, vor allem will er seine eigenen Texte nicht unbedingt selbst in seine erste Muttersprache übertragen:„Ich übersetzte viel lieber andere Leute als mich selbst. Da steht ja immer viel Arbeit dahinter. Wenn ich längere Sachen als ein einzelnes Gedicht von mir übertrage, dann macht mir das keinen Spaß. Es ist ja immer dasselbe.“
Daher erklärt er lieber den Österreichern die tschechische Literatur zu erklären. Einerseits macht Cikán das als Herausgeber, in seinem Verlag Ketos sind unter anderem Werke von Josef Váchal, Jiří Krchovský oder Vitězslav Nezval erschienen. Aber nicht nur das: Mit seinem zweiten Werk „Prinz Aberjaja“ verfolgt Ondřej Cikán ein ähnliches Ziel. Es handelt sich dabei um eine poetische freie Adaption von Božena Němcovás Märchen „Prinz Bajaja“:
„Mir ist wichtig, tschechische Literatur und Dichtung im deutschsprachigen Raum populärer zu machen. Ich hab das einfach sehr gern. Mit dem Märchen vom Prinzen Bajaja bin ich aufgewachsen, deswegen wollte ich so etwas auch auf Deutsch machen. Doch mir ging es nicht nur darum, ich wollte gleichzeitig die Form des Langgedichts wiederbeleben. Ich hatte zu der Zeit den ‚Máj‘ von Karl Hynek Mácha übersetzt, und da wollte ich selbst so etwas probieren.“
Ondřej Cikán ist sich sicher, dass die Österreicher das tschechische Märchen verstehen werden. Um da aber ein bisschen nachzuhelfen, hat der Autor den „Prinzen Aberjaja“ ebenfalls verfilmt, entstanden ist dabei ein zehnminütiges Gedicht auf Leinwand.