Sommer 1968: Martina Schneibergová erinnert sich
Angefangen hatte es als Jahr des Aufbruchs und der Erneuerung, doch dann kamen die Panzer. Vor 49 Jahren wurde der sogenannte Prager Frühling niedergeschlagen. Erinnerungen von Martina Schneibergová.
„Meine Tante und ich waren Preiselbeeren sammeln. Als wir zurück zu unserem Haus wollten, fuhr aber kein Bus mehr. Eine Nachbarin kam uns dann entgegengerannt und rief: ‚Die Russen sind da, die Russen sind da!‘ Später haben wir im Ortszentrum von Sušice auch die Panzer gesehen.“
Die Eltern hielten Martina Schneibergová und ihre Tante von Prag aus auf dem Laufenden, den Rundfunk konnte man irgendwann nicht mehr empfangen. Widerstand leistete man aber dennoch in der kleinen Böhmerwaldgemeinde. Man habe auch dort die Straßenschilder umgedreht, damit sich die Russen verfahren, so Martina Schneibergová.
Irgendwann kam die Familie doch wieder in der Hauptstadt zusammen. Für die jetzige Redakteurin war die Enttäuschung und Hoffnungslosigkeit nach dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts deutlich zu spüren. Und das obwohl sie zu der Zeit eigentlich noch ein Kind war:
„1968 war das erste Jahr, in dem meine Eltern auf eine Parade zum 1. Mai gegangen sind. Davor hatten sie immer gesagt, dass sei eine bolschewistische Angelegenheit und das interessiere sie nicht. Tatsächlich waren in diesem Jahr sehr viele Menschen dort, vorher gab es das nicht.“Vor allem durch ihren Bruder, der nach dem Schicksalsherbst sein Studium der Medizin begann, erlebte sie die Stimmung jener Tage. Ein Wendepunkt sei vor allem die Selbstverbrennung Jan Palachs im Frühling 1969 gewesen, so Martina Schneibergová. Besonders danach sei sicher gewesen, dass nichts mehr so sein würde wie zuvor.
1968 begann die Schule etwas später nach den Sommerferien. Und auch in den ersten Klassen des Gymnasiums zeigten Martina Schneibergová und ihre Schulkameraden ihre Abneigung gegen die Besatzer:
„Ich bin im Prager Stadtteil Žižkov zur Schule gegangen. Gleich gegenüber dem Gebäude war eine Wiese, auf der die russischen Soldaten ein Zeltlager aufgeschlagen haben. Wir haben dann immer aus dem Fenster geschaut und den Soldaten die Zunge herausgestreckt. Der Direktor hat dann irgendwann die Scheiben mit schwarzer Pappe abkleben lassen, damit die Russen nicht verärgert würden und sich vielleicht rächen.“
Irgendwann kam aber das Jahr 1989 und damit das Ende des Kommunismus und auch der Besatzung, auch wenn dies noch etwas dauern sollte. Worin unterschied sich die Stimmung Ende der 1980er Jahre und zu Zeiten des Prager Frühlings?„1989 ging es um eine Änderung des Systems und nicht mehr um eine bloße Reform wie 1968. Das hat die Menschen mehr mitgerissen. Der damalige Parteichef der Kommunisten, Alexander Dubček, war ebenso im Revolutionsjahr 1989 ein Symbol, jedoch war das auch alles.“
Das Jahr 1968 hat die Jugend und das Erwachsenwerden von Martina Schneibergová geprägt. Was ist aber heute noch davon geblieben?
„Naja, es gibt da eine Sache, die mir als Eishockey-Fan einfällt, die mir aus dieser Zeit noch geblieben ist. Immer wenn Tschechien gegen Russland gewinnt, freut es mich ganz besonders. Das ist dann immer so eine kleine Rache für 1968.“
Im kommenden Jahr jährt sich die Niederschlagung des Prager Frühlings zum 50. Mal und Radio Prag will den runden Jahrestag mit einem ganz besonderen Projekt begehen. Dazu brauchen wir aber Ihre Hilfe: Schicken Sie uns Ihre Erinnerungen, Fotos oder Videoaufnahmen zu den Ereignissen von 1968. Oder andere aber andere Dinge, die Sie mit diesem Schicksalsjahr verbinden. Nähere Informationen dazu finden Sie auf unserer Webseite.