Drei Tschechen starten bei Tour de France: Als Kapitän, Neuling und Favoritenschreck
Seit Samstag leben wir wieder im Urlaubsmonat Juli, und seit zwei Tagen ist sie wieder in Gang: Die Tour de France, das größte und bedeutendste Radsport-Etappenrennen der Welt. Von ihrer Anziehungskraft ist die Tour sogar die meistbesuchte Sportveranstaltung überhaupt. Da ist es sehr erfreulich, dass auch in diesem Jahr wieder tschechische Radprofis an ihr teilnehmen. Über die Aufgaben und Ambitionen der drei Rennfahrer hat Radio Prag vor der Tour mit Rundfunkjournalist und Radsport-Experte Tomáš Kohout gesprochen.
„Ondřej Cink ist ein absoluter Tour-Neuling. Bisher hat er sich dadurch ausgezeichnet, dass er als Mountainbiker Medaillen bei Weltmeisterschaften einfuhr. Vor zwei Jahren gewann er Bronze bei den Senioren, im Jahr 2012 wurde er Weltmeister in der Alterskategorie bis 23 Jahre. Jetzt fährt er seine erste Saison auf der Straße, und zwar für den Rennstall Bahrain-Merida. Dort hat er in nur kurzer Zeit dermaßen überzeugt, dass er gleich für die populäre Frankreich-Rundfahrt nominiert wurde. Das ist für ihn eine große Ehre, auch wenn er nicht weiß, was er von sich selbst zu erwarten hat. Denn ein solch großes Rennen ist er noch nie gefahren.“
Kohout: „Ondřej Cink ist ein absoluter Tour-Neuling. Bisher hat er sich dadurch ausgezeichnet, dass er als Mountainbiker Medaillen bei Weltmeisterschaften einfuhr.“
Das genaue Gegenteil von Cink ist Roman Kreuziger. Der 31-Jährige nimmt zum achten Mal an der Tour teil, und das drücke sich auch in seiner neuen Rolle aus, erläutert Kohout:
„Roman Kreuziger hat völlig andere Aufgaben. Mit seiner achten Tour-Teilnahme gehört er schon zu den erfahrensten Rennfahrern im Peloton. Er ist der Kapitän im Team Orica-Scott, und das ist eine ganz besondere Rolle. Denn er ist nicht der Leader der Neuner-Gruppe, sondern derjenige, der es auf den Etappen zu führen hat. Dabei muss er alles dafür tun, um den zwei Spitzenfahrern im Team, dem Briten Yates und dem Kolumbianer Chaves zu helfen, dass diese in der Gesamtwertung sehr weit vorn klassiert sind.“
Der Dritte im Bunde, Zdeněk Štybar, ist nach 2015 das zweite Mal in Frankreich auf Tour. Wegen seiner spezifischen Fahrweise schlüpfe der 31-Jährige auch gern in die Rolle des Hechts im Karpfenteich, bemerkt Kohout:„Bei Zdeněk Štybar ist es stets die Frage, mit welchen Aufgaben er während der Tour betraut wird. Er wird ganz bestimmt die Rolle eines Helfers und Wasserträgers im Rennstall Quick Step Floors einnehmen. Doch andererseits wird er auch versuchen, die eine oder andere Etappe zu gewinnen. Dazu sehe ich für ihn gute Chancen gleich zu Beginn der Rundfahrt, und zwar auf der zweiten Etappe von Düsseldorf nach Lüttich (die Etappe wurde am Sonntag gefahren, es siegte der Deutsche Marcel Kittel, Anm. d. Red.) oder auf dem leicht welligen Streckenabschnitt von Verviers nach Longwy, der am Montag absolviert wird. Die dritte Etappe ist ein echter Klassiker, also ein Rennprofil, das ihm liegt.“
Kohout: „Mit seiner achten Tour-Teilnahme gehört Roman Kreuziger schon zu den erfahrensten Rennfahrern im Peloton. Er ist der Kapitän im Team Orica-Scott, und das ist eine ganz besondere Rolle. Denn er ist derjenige, der es auf den Etappen zu führen hat.
Štybar hat seine bisher größten Erfolge im Radcross erzielt, denn als ehemaliger Querfeldeinfahrer hat er zwischen 2010 und 2014 dreimal den WM-Titel gewonnen. Diesen Triumphen aber stehe der Tour-Etappensieg, den er vor zwei Jahren auf der Strecke von Abbeville nach Le Havre errungen hat, in nichts nach, betont Štybar immer wieder. Es war schließlich ein Etappensieg beim absoluten Radsport-Highlight der Welt, und diesen grandiosen Auftritt wird auch Rundfunkreporter Kohout sein Leben lang nicht vergessen:
„Am letzten Hügel vor dem Ziel habe ich zunächst nur gesehen, wie Tony Martin gestürzt ist. In diesem Moment hatte er das Gelbe Trikot, das er trug, eingebüßt, doch gerade deshalb waren die TV-Kameras fast ausschließlich auf den Deutschen gerichtet. Und nur aus einer kleinen Sequenz heraus sah ich, dass er im nächsten Augenblick von einem anderen Fahrer noch weit vor dem Ziel überholt wurde. Vom Fahrstil her erahnte ich, dass dieser Fahrer Zdeněk Štybar sein könnte, und ich hoffte, dass es nur nicht der Pole Michał Gołaś ist. Deshalb habe ich die letzten zwei Minuten, die bis zur Zieldurchfahrt verblieben, nicht zu früh geschrien, dass Štybar vorn liegt, um einen Irrtum zu vermeiden. Doch die Krönung für mich war schließlich, dass ich von den Veranstaltern dazu gedrängt wurde, das Siegerinterview mit Štybar für die in alle Welt ausgestrahlte internationale Rundfunksendung zu machen. Das ist ein Privileg, bei dem man nicht mehr weiß, wo vorn und hinten ist. Doch im gleichen Moment muss man sich vor Augen führen: ‚Junge, das musst du genießen, denn es kann das erste und einzige Mal sein, dass dir so etwas widerfährt‘.“
Für Tomáš Kohout bleibt dieses Erlebnis also stets in sehr guter Erinnerung. Doch auch mit Roman Kreuziger hat er viele Erfolgsmomente geteilt. Der gebürtige Mähre ist nicht zuletzt der bis dato bestplatzierte Tscheche bei der Frankreich-Rundfahrt. Vor vier Jahren erreichte er das Ziel in Paris als Fünfter des gesamten Pelotons, davor und danach landete er noch weitere drei Male unter den Top 10 der Tour. Kein Wunder also, dass ihn die sportlichen Leiter des Rennstalls Orica jetzt zum Kapitän des Teams erkoren haben. Dass dies eine gute Wahl sei, bestätigt Kohout:„Ich denke, das ist eine Rolle, die ihm wie auf den Leib geschneidert sein dürfte. Sicher, er wollte stets auch die Tour de France gewinnen oder Etappensiege einfahren, was ihm bisher nicht geglückt ist. Im Gegensatz zu den anderen hervorragenden Bergfahrern hat er nämlich einen ganz eigenen Fahrstil. Wenn Fahrer wie Froome, Contador oder andere am Berg immer wieder einmal anziehen und beschleunigen können, fährt Kreuziger stets sein eigenes Tempo. Er spult sein Pensum ab wie ein Dieselmotor – er fährt unten am Berg an und tritt dann sein Tempo durch.“
Kohout: „Bei Zdeněk Štybar ist stets die Frage, mit welchen Aufgaben er während der Tour betraut wird. Er wird ganz bestimmt die Rolle eines Helfers und Wasserträgers im Rennstall Quick Step Floors einnehmen. Doch er wird auch versuchen, die eine oder andere Etappe zu gewinnen.“
Youngster Ondřej Cink kann auf solche Eigenheiten natürlich noch nicht verweisen, dazu ist er noch zu frisch im Straßenradsport. Doch allein mit seiner Nominierung und jetzigen Tour-Teilnahme hat er den Aufwärtstrend des tschechischen Radsports der letzten Jahre bestätigt, so Kohout:
„Ondřej Cink ist insgesamt der elfte tschechische Radprofi, der die Tour de France fährt. Wenn ich seine Vorgänger jetzt alle aufzählen müsste, würde ich sagen, die Mehrzahl von ihnen hat die Rundfahrt erst in den zurückliegenden 15 Jahren absolviert. Von den älteren Tour-Teilnehmern sind es nur ein paar wenige, die in den 1970er Jahren und Anfang der 80er auf Frankreichs Straßen fuhren. Sie waren indes echte Ausnahmen, die schon froh waren, wenn sie sich überhaupt einem ausländischen Rennstall anschließen durften. Ganz zu schweigen davon, wenn sie mal für die Tour nominiert wurden.“
Neben Zdeněk Štybar gibt es so auch nur noch einen Tschechen, der Etappen bei der Tour de France gewonnen hat – der heute 48-jährige Ján Svorada. Der exzellente Sprinter hatte insgesamt dreimal bei einer Zielankunft die Nase vorn, darunter auch 2001 auf der Schlussetappe auf dem Pariser Champs-Élysées. Dies hat auch Kohout im Gedächtnis, auch wenn er Svoradas Triumph nicht live erlebt hat:„Ich erinnere mich noch gut daran, wie Ján Svorada auf dem Pariser Champs-Élysées gewonnen hat. Dazu gibt es das berühmte Foto, wie er mit den Händen über dem Kopf die Ziellinie überquert und in seinem Windschatten Robbie McEwen und Erik Zabel um die letzten und entscheidenden Punkte für das Grüne Trikot kämpfen. Svorada hatte beiden den Sieg mit seinem Antritt streitig gemacht. Das zeigte schon damals: Im Endspurt auf der Pariser Prachtstraße sind Taktik, Glück und Courage ganz entscheidende Faktoren. Doch weil es stets die definitive Abschlussetappe ist, zu der bereits Stunden vor der Ankunft der Fahrer in Paris Zehntausende Menschen die Straßen säumen, ist dieses Finale immer etwas ganz Besonderes.“
Das Ziel der diesjährigen Tour erreichen die Rennfahrer am 23. Juli, also am Sonntag in knapp drei Wochen. Bis dahin dürfen diejenigen, die bis zum Schluss durchhalten, die einzigartige Atmosphäre der Tour de France bis in die Haarspitzen genießen, auch wenn die körperlichen Anstrengungen ebenso gravierend sind. Für Tomáš Kohout aber hat der Mythos, der die Tour umgibt, seine absolute Berechtigung:„Die Tour ist wirklich von allen möglichen Rennen die berühmteste Sportveranstaltung der Welt. Sie wird von vielen Millionen Menschen direkt an der Strecke verfolgt. Soweit ich weiß, ist sie sogar im Guinness-Buch der Rekorde verzeichnet als das Sportunternehmen mit der größten Zuschauerbeteiligung direkt vor Ort. Dies schaffen weder Fußball-Weltmeisterschaften noch Olympische Spiele, da beide Events in Sportstätten mit begrenzten Kapazitäten ausgetragen werden. Aber wenn die Tour drei Wochen lang durch ganz Frankreich führt, und die Menschen die Strecke teilweise in Dreierreihen säumen, dann ist es so gut wie nicht möglich, die exakte Zahl der Zuschauer zu ermitteln.“