UN-Weltzukunftsvertrag: Tschechien kämpft mit den Zielsetzungen
Beim UN-Gipfel in New York wurde im vergangenen Jahr die „Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“ beschlossen. Auch in Tschechien wird gerade daran gearbeitet, konkrete eigene Ziele zu formulieren. Nun hat Social Watch, ein Zusammenschluss von Nichtregierungsorganisationen, eine Bestandsaufnahme gemacht.
„Nicht nur im Falle Tschechiens, sondern bei allen hoch entwickelten Ländern zeigt sich, dass sie schlechter vorbereitet sind auf solche Zielvorgaben als die sogenannten Entwicklungsländer. Diese haben nämlich früher schon die sehr problematischen Programme für Strukturwandel umsetzen müssen oder die Milleniumsentwicklungsziele der Uno. Selbst Staaten wie Deutschland und Belgien suchen derzeit nach Wegen, um eine nachhaltige Entwicklung zu garantieren.“
In Tschechien arbeitet der Rat für Nachhaltigkeit beim Regierungsamt daran. Er hat fast 50 Nichtregierungsorganisationen und Beratungsgremien angeschrieben. Diese haben Textentwürfe verfasst. Über die Endversion soll dann auch die allgemeine Öffentlichkeit zwei Monate lang mitdiskutieren können. Während nun also an dem Grundsatzdokument in finaler Phase gearbeitet wird, hat Social Watch Tschechien den Ist-Stand analysiert. Der Bericht trägt die Überschrift: „Die Wirtschaft wächst, aber der gesellschaftliche Zusammenhalt ist bedroht.“Der Mittelstand als Basis der Wirtschaft fehlt
Den Zahlen nach müsste man eigentlich glauben, dass es den Tschechen ziemlich gut geht. So ist das Bruttoinlandsprodukt im vergangenen Jahr um 4,3 Prozent gewachsen, die Arbeitslosenrate lag im Juni bei 5,2 Prozent, und der Reallohn steigt. Doch unter der Oberfläche rumort es, sagt Ilona Švihlíková, die Wirtschaftswissenschaftlerin hat ebenfalls am Social-Watch-Bericht gearbeitet. Sie kritisiert das tschechische Wirtschaftsmodell, weil es auf billiger Arbeit beruht.„Das Hauptproblem sehe ich in der Wirtschaftsstruktur – die halte ich nicht für optimal. Es gibt nicht genügend mittlere und kleine Unternehmen sowie Genossenschaften, die eigentlich die Basis der Wirtschaft sein sollten. Stattdessen legen wir hierzulande zu viel Wert auf die großen Firmen. Auch zum Beispiel die Investitionsanreize wenden sich vor allem an große ausländische Firmen. Das zweite Problem betrifft das Unternehmenseigentum. Viele Firmen hier sind in fremden Händen, und wenn von tschechischen Firmen geredet wird, dann handelt es sich meist um tschechische Tochterunternehmen. Sie betreiben eher niedrige oder mittlere Wertschöpfung und haben nur einen geringen Spielraum für Lohnerhöhungen. Sie arbeiten für den ausländischen Mutterkonzern und können kaum Eigeninitiative entwickeln.“
Dass diese Firmen nicht in tschechischen Händen sind, bedeutet auch, dass sie einen Großteil ihrer Gewinne ins Ausland abgeben müssen. Ilona Švihlíková, die 2010 die Alternativa zdola („Alternative von unten“) gegründet hat, spricht vom Modell einer abhängigen Wirtschaft. Gestützt werde das Modell noch durch die Politik der billigen Krone, offiziell begründet mit dem Schutz vor einer möglichen Deflation. Die tschechische Währung hat laut dem Bericht eigentlich die Kaufkraft, die einem Kurs von 19 oder 20 Kronen je Euro entspricht. Seit 2013 hält die tschechische Nationalbank den Kurs aber künstlich bei 27 Kronen je Euro.Mindestens zehn Jahre würde es dauern, das Wirtschaftssystem zu reformieren, sagt Švihlíková. Immerhin plant die aktuelle Mitte-Links-Regierung mehr Unterstützung für kleine und mittelständische Unternehmen.
„Es gibt gewisse positive Zeichen, doch das ist zu wenig. Vor allem aber besteht keine volkswirtschaftliche Strategie, es wird nur punktuell etwas verändert. Viele haben sich hier einfach daran gewöhnt, dass die Dinge so sind, wie sie liegen.“Große Lohnunterschiede bei Frauen und Männern
Eines der Uno-Ziele für nachhaltige Entwicklung ist die Gleichbehandlung von Frauen und Männern. Frühere Studien haben bereits auf die großen Lohnunterschiede in Tschechien hingewiesen. Markéta Mottlová vom Fórum 50 %:
„Schon lange gehört die Tschechische Republik zu jenen Staaten der EU, in denen die Unterschiede am größten sind. Derzeit liegt die Entlohnung von Frauen um 22 Prozent unter jener der Männer. Das sind sechs Prozentpunkte mehr als im europäischen Durchschnitt.“Am größten sind dabei die Unterschiede in der Altersgruppe zwischen 35 und 44 Jahren. Dann nämlich kehren die Frauen meist aus der Elternzeit zurück, und die Männer haben bereits Karriere gemacht.
Allgemein zieht sich auch in Tschechien durch viele Teile der Gesellschaft, dass Frauen in Führungspositionen unterrepräsentiert sind. Und besonders die Politik hat ein Problem beim Frauenanteil.
„Dieser beträgt nur 20 Prozent, Frauen haben also nur minimale Chancen, sich an der politischen Entscheidungsfindung zu beteiligen, obwohl diese ja beide Geschlechter betreffen“, so Mottlová.
Als bestes Mittel gegen die Ungleichheit gelten Quoten. Ausgerechnet am Montag, als die Social-Watch-Studie vorgestellt wurde, hat sich aber die tschechische Regierung gegen eine Frauenquote auf Wahllisten entschieden.Waffenexporte in undemokratische Länder
Mit Nachhaltigkeit assoziiert man in erster Linie natürlich Ökologie. Tschechien hat ja die Ziele der Weltklimakonferenz übernommen. Bei der praktischen Umweltpolitik ergibt sich laut Tomáš Tožička jedoch ein uneinheitliches Bild.
„Positiv ist, dass neue Naturschutzgebiete geschaffen werden, dass der Naturschutz in den Nationalparks erhöht wird und dass Programme zum Energiesparen aufgelegt wurden. Einige Schritte sind aber auch strittig, zum Beispiel der, modernere Kohleöfen in Privathaushalten zu fördern. Einerseits senkt das die Umweltbelastung, andererseits erhöht es sie aber auch wieder, weil der Kohleabbau befeuert wird. Daran anknüpfend ist eindeutig negativ, dass beschlossen wurde, den Braunkohleabbau in Nordböhmen auszuweiten und die unrentablen Uranminen weiter zu betreiben.“ Ein praktisch unerreichbares Ziel scheint der Frieden zu sein. Tschechien führt zwar mit niemandem Krieg, doch die Tradition als Waffenschmiede macht das Land nicht gerade unschuldig an Konflikten in der Welt. In den 1980er Jahren war die damalige Tschechoslowakei eine der größten Waffenschmieden weltweit. Dann stagnierte die Ausfuhr, seit 2001 sind die Zahlen jedoch beständig gewachsen. 2014 erreichte der Gesamtwert der tschechischen Rüstungsexporte rund eine halbe Milliarde Euro. Das Problem ist, in welche Länder die Waffen verkauft werden. Tomáš Tožička:„Das Wachstum kommt zu großen Teilen durch den Verkauf an nichtdemokratische Länder oder sogar an Staaten, die wegen ihrer politischen Lage nichts erhalten sollten. Da wir die Daten von 2015 noch nicht haben, kann ich nur die Zahlen für 2014 nennen. Da war Saudi-Arabien der größte Importeur tschechischen Militärmaterials mit einem Anteil von 16 Prozent am Gesamt-Waffenexport. Auf der einen Seite reden die Politiker von Menschenrechten und legen entsprechende Programme auf, auf der anderen Seite stützen wir Regime, die dem grob entgegenhandeln. Der größte Skandal war der Export von Handfeuerwaffen nach Ägypten. Zwar helfen wir der demokratischen Opposition dort, zugleich geben wir der Regierung beziehungsweise der Polizei Mittel in die Hand, um Demonstranten und die Opposition zu bedrohen.“ Auch wenn die Rüstungsfirmen zu Teilen in Privatbesitz sind, sieht Tomáš Tožička die Schuld bei den offiziellen Stellen. Denn die erteilen die Ausfuhrgenehmigungen.„Der Schwarze Peter liegt derzeit vor allem in den Händen des Außenministeriums. Das Ressort sollte nachdrücklich Garantien einfordern, dass die Waffen nicht in undemokratische Länder gelangen. Es sollte die Lizenzen für solche Exporte mit harter Hand verhindern“, so Tomáš Tožička.
Weitere Kritik betrifft zum Beispiel die geringen Entwicklungshilfeleistungen, gemessen am wirtschaftlichen Potenzial Tschechiens – oder dass die Bürger kaum beteiligt werden, wenn auf lokaler Ebene entschieden wird, wohin öffentliche Gelder fließen sollen.