Europa ohne Glauben, Tschechien ohne Glauben?
Nach welchen Werten suchen die Menschen in unserer Hyperkonsumgesellschaft? Wie ist die Lage des Christentums und der Religion allgemein in Europa? Nach Antworten auf diese Fragen haben die Teilnehmer einer Konferenz am Samstag in Prag gesucht. Der Titel lautete „Europa ohne Glauben, Tschechien ohne Glauben?“. Veranstaltet wurde die Konferenz von der Fraktion der Europäischen Volkspartei im Europäischen Parlament. Zu den Referenten gehörten Theologen, Historiker und Religionswissenschaftler. Nach der Konferenz hat Martina Schneibergová mit zwei von ihnen gesprochen: mit dem Jesuitenpater und Publizisten Petr Kolář und mit dem neuen Bischof von Pilsen, Tomáš Holub.
„Weil unser System sehr materiell funktioniert, es bietet den Menschen Sicherheit, eine gute Wohnung und Konsum. Aber die wichtigsten Fragen sind ausgeklammert. Diese hat übrigens der große Philosoph Immanuel Kant formuliert: ‚Worauf können wir hoffen, wozu ist das Leben überhaupt da?‘ und weitere Fragen. Die Politik kann sie nicht lösen. Im Laufe der Säkularisierung hat man versucht, es anders als zuvor zu machen und dennoch den Zugang zu diesen Werten zu finden. Dies ist nicht ganz gut gelungen. Deswegen suchen Philosophen, die ein wenig Angst davor haben, dass die Zivilisation in eine Sackgasse geraten könnte, nach Antworten auf diese Fragen. Die Franzosen, die damit große Erfahrungen haben, weil die Säkularisierung in Frankreich sehr stark war, versuchen nun, ob dies ohne Religion zu schaffen ist. Bisher sind aber die Versuche ins Leere gelaufen. Sie sagen: ‚Die Religion hat es 500 Jahre lang bei uns probiert, und dann wurde alles sozusagen ins Archiv geschoben. Da müssen wir uns dafür interessieren. Vielleicht finden wir da etwas, was wir benutzen können.‘ Sie wollen nicht Christen werden. Diese Leute wollen sehen, ob sie den Zugang zu den wichtigsten Werten des Menschenlebens auf andere Weise finden und auch ohne Religion die gleichen Ergebnisse erreichen können.“
Wie sehen Sie die Chancen in Tschechien dafür, dass die Religion mehr in den öffentlichen Raum tritt?„Ich glaube, dass wir nicht reif dafür sind. Denn wir sind allzu kurze Zeit aus der Verbindung zwischen Politik und der Religion raus. Meine Eltern sind noch in der Monarchie geboren worden. Die echte Säkularisierung haben wir gar nicht durchgemacht. Ich meine die Ideen der Säkularisation. Die Leute hierzulande haben sich nicht gegen die Religion im Namen der Rationalität gewandt, sie haben nur einfach alles verlassen. Wir sind entchristlicht, aber nicht säkularisiert. Darum sind wir nicht darauf vorbereitet, danach zu suchen, wie wir es in einer säkularisierten Gesellschaft ohne Religion machen sollen.“
Spielt hierzulande die Betonung des Erfolgs als des einzigen Lebensziels eine wichtige Rolle?
„Natürlich. Daran habe ich auch in meinem Vortrag erinnert. Wir haben einen Politiker, der den Staat als ein Unternehmen leiten will – nicht ausgeschlossen, dass er mal zum Staatspräsidenten gewählt wird. Es reizt sehr, Erfolg zu haben. Und Erfolg wird dann mit Glück gleichgesetzt. Wir haben uns noch nicht ausreichend davon überzeugen können, dass Glück nicht von Geld abhängt und dass es Werte braucht, die nicht ans Geld gebunden sind. Es ist gut, wenn das Geld da ist – da habe ich nichts dagegen –, aber wir sollten, kurz gefasst, nicht das Glück des Lebens davon erwarten. Die Gesellschaft ist nicht imstande, anderen zu zeigen, wie man das macht – auch wenn wir versuchen, ohne Religion den Zugang zum menschlichen Glück auf dieser Erde zu finden.“Monsignore Holub, wie sehen Sie die Möglichkeiten der Kirche, die Öffentlichkeit in der Zukunft mehr anzusprechen?
„Wenn die Kirche wirklich eine Gemeinschaft von Menschen wird, die selbst suchen, bin ich davon überzeugt, dass die Möglichkeit sehr groß sein wird, auch weitere Menschen anzusprechen. Denn heutzutage sind viele Menschen ‚Suchende‘, sie suchen nach Werten. Das Wichtigste ist, dass wir den Glauben so verstehen, dass er der Weg der Suchenden ist. Wenn wir so glauben, dann habe ich keine Angst.“