Wo Musen trinken: Auf den Spuren der Prager Kneipenkultur
Die hospoda, die Kneipe, ist in Tschechien eine Institution. Beim Bier wird Abend für Abend die Welt neu erschaffen. Zugleich ist die Kneipe ein Fundament der tschechischen Kultur, sagt der Publizist Lukáš Berný. Er hat sich entschlossen, die Geschichte der traditionsreichsten Prager Kneipen aufzuschreiben. Im Mittelpunkt stehen Eigentümer und Stammgäste, Künstler und Vereine – alles unter dem Motto „Für die Kunst in die Lokale“.
„Wenn man heute sagt, man geht in die Kneipe, dann ist das fast schon etwas Schlechtes. Das war nicht immer so. Wenn man während des Kaiserreichs oder in der Ersten Republik in die Kneipe ging, dann war das auch eine kulturelle Angelegenheit. Ich erinnere an die ganzen Vereine der damaligen Zeit. Alle hatten ihren Verein, ob Zitherspieler oder Fahrradfahrer, und alle trafen sich in der Kneipe. Und zugleich war das so eine kleine Revolution gegen die Habsburger. Auch die Künstler gingen dorthin, und so entstand Kultur.“
„Wo Musen trinken“ heißt deshalb die Reihe von Lukaš Berný. Im ersten Band hat er sich mit der Kneipe „U zlatého tygra“ – Zum goldenen Tiger beschäftigt. Das Stammlokal von Schriftsteller Bohumil Hrabal findet sich in jedem Reiseführer von Prag. In Band zwei wird es spezieller:„In diesem Buch findet sich der Knoblochův salon, eine vergessene Kneipe, die nicht mehr existiert. Sie war im Haus U modré štiky, dorthin gingen Jan Neruda, Vítězslav Hálek und viele weitere Künstler. Das ist eine historische Kneipe, die erste Pilsener-Kneipe in Prag. Die zweite Kneipe ist U Vejvodů in der Jilská. Und zuletzt und am ausführlichsten behandle ich die Jelínek-Bierstube, eine Pilsener Kneipe.“
Mitten in der Stadt befindet sich der Familienbetrieb der Jelineks (tschechich: Jelínkova pivnice), in der Charvátova zwischen Wenzelsplatz und Nationalstraße. Ihre Geschichte reicht zurück bis an den Beginn des 20. Jahrhunderts.„So richtig aufgeblüht ist sie unter Václav Jelinek. Seine Familie hat die Kneipe 1913 übernommen. Er ist dann etwas später eingestiegen und hat daraus eine der bedeutendsten Kneipen der Ersten Republik gemacht. Hierher kamen die Leute vom Osvobozené divadlo (Befreiten Theaters), Vlasta Burian, viele Sänger, Schauspieler, Künstler und vor allem auch Jaroslav Hašek.“
Die Kneipe ist bis heute im Familienbesitz – nach einer Unterbrechung von über 40 Jahren.„Im Jahr 1949 kamen die Enteignungen. Der Familie wurde die Kneipe weggenommen. Das war umso schlimmer, weil die Jelíneks im ersten Stock lebten, direkt über dem Lokal. Auf einmal mussten alle in einem Lokal arbeiten, das nicht mehr ihnen gehörte. Herr Jelínek wurde dann auch noch gezwungen anderswo zu arbeiten, in einem Automatenrestaurant. Er hat das sehr schwer genommen, vielleicht hat es ihm sogar das Leben verkürzt. Seine Tochter jedoch war über 50 Jahre hier, und nach der Samtenen Revolution hat sie die Kneipe zurückerhalten. Das heißt, es gab ein gutes Ende.“
Die Reihe „Kde pijí múzy čili Za kumštem po lokálech“ von Lukáš Berný erscheint auf Tschechisch im Verlag Sanch.