Zwanzig! Prager Theaterfestival deutscher Sprache feiert
1996 wurde das Prager Theaterfestival deutscher Sprache ins Leben gerufen – damit feiert es in diesem Jahr sein 20. Jubiläum. Vom 5. bis zum 28. November gastieren namhafte Theaterensembles auf den Bühnen der tschechischen Hauptstadt. Radio Prag hat mit Dramaturg Petr Štědroň über das Programm gesprochen.
„Wir versuchen jedes Jahr ein spezielles Programm nach Prag zu holen. Natürlich nehmen wir unser Jubiläum sehr ernst: Das Festival besteht nun zwanzig Jahre, und für uns ist es ein großer Erfolg, dass wir das überstanden haben und ein stabiles Publikum in Prag haben. Das Festival ist eigentlich jedes Jahr lange im Voraus ausverkauft. Und das freut uns natürlich. Wir nehmen das sehr ernst. Die zwanzigste Ausgabe ist, würde ich sagen, ein bisschen reichhaltiger als sonst.“
Das Festival startet traditionell mit einem Prolog: Anstatt eines Gastspiels wird ein Ausflug in eine deutsches Theater organisiert. Auch in diesem Jahr?„In diesem Jahr ist es sogar zweimal der Fall. Wir starten schon am 31. Oktober mit einem Theaterausflug ins Residenztheater nach München. Unsere Zuschauer werden dort eine bombastische Inszenierung von Goethes Faust sehen, in der Regie von Martin Kušej, dem Intendanten des Residenztheaters. Es ist eine auch hinsichtlich der Interpretation sehr interessante Inszenierung. Die Passagen von Faust eins und zwei wurden sehr geschickt vermischt, und dazu kamen neue Passagen und neue Strukturen vom zeitgenössischen bayerischen Dramatiker Albert Ostermaier.“
Sie haben erwähnt, dass in diesem Jahr sogar zwei Ausflüge stattfinden…„Der zweite Theaterausflug geht nach Dresden, ins Staatsschauspiel Dresden. Es ist zugleich unsere Hommage an Pavel Kohout, den Mitbegründer des Prager Theaterfestivals. Es handelt sich um die Inszenierung von Kafkas ‚Amerika‘, in der Regie von Wolfgang Engel. Pavel Kohout und Ivan Klíma sind Autoren der Dramatisierung des Romans. Es ist wieder eine riesengroße Inszenierung mit dem Bühnenbild von Olaf Altmann – leider nicht transportabel, deswegen fahren wir nach Dresden. Auch für diesen zweiten Ausflug verspreche ich: ES handelt sich um eine phänomenale Vorstellung. Ich möchte noch ergänzen, dass die Inszenierungen bei den Theaterausflügen tschechisch übertitelt sind. Es freut uns sehr, dass die deutschen Theaterhäuser so entgegenkommend sind, dass wir ihre Inszenierungen ins Tschechische übertiteln dürfen.“
„Herbert Fritsch ist in den letzten fünf Jahren vielleicht der meistgefragte Theaterregisseur Deutschlands. Ich kann eine hohe Kunst der Komödie versprechen.“
Sie haben somit auch meine Frage beantwortet, warum sie diese Aufführungen nicht zu Gastspielen nach Prag eingeladen haben. Schauen wir jetzt aber nach Prag. Das eigentliche Festival beginnt am 5. November. Mit welcher Vorstellung wird das Prager Festival eröffnet?
„Es wird mit einer Aufführung der Berliner Volksbühne eröffnet, die in diesen Tagen vielleicht das bekannteste deutsche Theater ist. Ein Theater mit einem sehr progressiven Repertoire. Wir zeigen in der Staatsoper am 5. November die Inszenierung mit dem Titel ‚der die mann‘ in der Regie von Herbert Fritsch. Es ist eine sehr bunte Mischung von Schauspiel, Musiktheater und physischem Theater. Herbert Fritsch ist in den letzten fünf Jahren vielleicht der meistgefragte Theaterregisseur Deutschlands. Wir haben schon in den letzten Ausgaben mehrere seine Inszenierungen immer mit großem Erfolg gezeigt. Zum Beispiel ‚Die spanische Fliege‘, ‚Murmel, Murmel‘ und ‚Nora‘ aus Oberhausen. Das sind alles sehr interessante, ästhetisch gelöste Inszenierungen, die sich mit nicht dramatischen Texten beschäftigen. Diesmal sind es Texte von Konrad Bayer. Ich kann eine hohe Kunst der Komödie versprechen.“
Ein anderer Theaterregisseur, der in Prag bereits bekannt ist, ist der legendäre Regisseur Christoph Marthaler. Er kommt nach einigen Jahren Pause wieder nach Prag. Mit welcher Produktion und mit welchem Ensemble?„Die Produktion heißt ‚King Size‘. Es ist eine Koproduktion von zwei Schweizer Theaterhäusern, dem Basler Theater und dem Theater in Lausanne. Bei Marthaler ist es immer schwierig, über das Ensemble zu sprechen. In der deutschsprachigen Theaterlandschaft spricht man auch von der Marthaler-Familie, weil Christoph Marthaler sehr oft und regelmäßig mit denselben Schauspielern arbeitet, wie es seiner Inszenierungsmethode am besten entspricht. Diesmal werden wir in den Hauptrollen zwei sehr interessante Menschen sehen, und zwar eine dänische Sängerin namens Tora Augestad und den Schweizer Sänger und Schauspieler Michael von der Heide.“
Eine Persönlichkeit, die zwischen dem tschechischen und dem deutschen Theater steht, ist der Theaterregisseur Dušan Pařízek. Er hat sich lange Jahre in Tschechien auf die Inszenierung deutschsprachiger, oder ursprünglich deutschsprachiger Stücke spezialisiert. Nun kommt er als Repräsentant des Wiener Burgtheaters. Mit welcher Inszenierung?„Dušan Pařízek hat sich inzwischen auch auf deutschsprachigen Bühnen etabliert – nicht nur in Wien, im Wiener Volkstheater und im Burgtheater, sondern auch in Hamburg, Dresden, Köln und Bremen. Er gehört zu den besten Theaterregisseuren im deutschsprachigen Raum. Wir bringen aus dem Burgtheater seine gefeierte Inszenierung mit dem Titel ‚Die lächerliche Finsternis‘. Sie wurde zum Berliner Theatertreffen eingeladen und dort sogar mit dem höchsten Preis ausgezeichnet, und zwar mit dem Preis ‚Inszenierung des Jahres‘. Außerdem erhielt sie den Preis ‚Bühnenbild des Jahres‘, und der Text von Gegenwartsdramatiker Wolfram Lotz wurde zum ‚Besten Stück des Jahres‘ gekürt. Auf der Bühne des Prager Theaters in den Weinbergen werden wir vier wunderbare Schauspielerinnen aus dem Wiener Burgtheater sehen. Das Stück ist sehr sehenswert. Der Text wandelt zwischen Realität und Fiktion und ist sehr aktuell.“
„Erstens ist das Werk Franz Kafkas auf den deutschsprachigen Bühnen wirklich sehr beliebt. Und zweitens: Wir versuchen jedes Jahr, in jede Ausgabe des Festivals etwas von Kafka aufzunehmen, weil Kafka natürlich mit Prag verbunden ist.“
Im Programm fallen gleich mehrere Stücke auf, die sich auf Franz Kafka beziehen. Ist es Absicht, Zufall, oder ist Kafka ein so beliebter Stoff im deutschsprachigen Theater?
„Ich würde sagen beides. Erstens ist das Werk Franz Kafkas auf den deutschsprachigen Bühnen wirklich sehr beliebt. Und zweitens: Wir versuchen jedes Jahr, in jede Ausgabe des Festivals etwas von Kafka aufzunehmen, weil Kafka natürlich mit Prag verbunden ist. Diesmal haben wir gleich drei Inszenierungen, die sich mit dem Werk Franz Kafkas beschäftigen. Erstens ist es ‚Amerika‘ im Staatsschauspiel Dresden. Zweitens zeigen wir eine Koproduktion des Prager Theaterfestivals deutscher Sprache mit dem luxemburgischen und Berliner Theaterkünstler Martin Engler. Sie heißt ‚Das Grauenhafte des bloß Schematischen‘ und beschäftigt sich mit den Tagebüchern von Franz Kafka, die zur Inspiration für mehrere Künstler geworden sind. Und drittens zeigen wir eine visuell sehr starke Inszenierung aus dem Schauspiel Frankfurt mit dem Titel ‚Das Schloss‘. Das ist natürlich eine szenische Bearbeitung von Kafkas Roman ‚Das Schloss‘.“
„Es gibt ein relativ reiches Angebot an Stücken deutschsprachiger Autoren auf den tschechischen Bühnen.“
Traditionell ist auch eine tschechische Bühne im Programm vertreten, und zwar mit einem Stück eines deutschsprachigen Autors. Diese Inszenierung erhält auch den Preis des Festivals, den Josef-Balvín-Preis. War es schwierig, den Preisträger zu bestimmen? Gab es genug Aufführungen im Repertoire tschechischer Theater?
„Es gibt ein relativ reiches Angebot an Stücken deutschsprachiger Autoren auf den tschechischen Bühnen. Den Josef-Balvín-Preis vergibt das Prager Theaterfestival deutscher Sprache, die Stücke werden aber von einer unabhängigen Jury ausgewählt. Ihre Mitglieder schauen sich das ganze Jahr lang das Repertoire der tschechischen Bühnen an. Unsere Jury hat ‚Die Bremer Freiheit‘ aus dem Städtischen Theater Kladno ausgewählt. Ich kann diese Wahl sehr gut verstehen. Ich habe die Inszenierung natürlich gesehen und kann sagen, dass es erstens eine dramaturgische Großtat ist, ein Stück von Rainer Werner Fassbinder zu zeigen, dass in Tschechien noch nicht zu sehen war, in einer neuen Übersetzung. Und zweitens handelt es sich einfach um eine lebendige, schauspielerisch sehr starke und ästhetisch sehr interessante Inszenierung.“
Bei unserem Gespräch war mehrere Male von Bühnenbearbeitungen von Texten die Rede, die nicht direkt für das Theater entstanden sind. Dominieren sie das Programm, oder sind es zeitgenössische Stücke, oder bringen Sie auch einige Klassiker?„Natürlich gibt es von allem etwas, das sie erwähnt haben. Es gibt sowohl Klassiker als auch Gegenwartsstücke als auch Bearbeitungen und die sogenannten postdramatischen Tendenzen. Was die Klassik angeht, wenn wir das so nennen dürfen, ist das natürlich ‚Faust‘ von Goethe in der Regie von Martin Kušej. Wir zeigen aber auch die Inszenierung von Friedrich Dürrenmatts ‚Der Besuch der alten Dame‘ aus dem Deutschen Theater in Berlin mit dem wunderbaren Ulrich Matthes in der Rolle des Albert Ills und mit gleich fünf bösen alten Damen. Wir zeigen auch eine Bearbeitung von ‚Don Giovanni‘, was wir auch als Klassik bezeichnen können. Es ist eine Inszenierung vom Thalia-Theater, die im Prager Ständetheater zu sehen ist. Darin liegt natürlich eine Symbolik, weil im Prager Ständetheater die Uraufführung von der Oper aller Opern, von Mozarts ‚Don Giovanni‘ stattfand. Wir zeigen dieses Stück jetzt, fast 230 Jahre danach, in einer Version des Hamburger Schauspiels in der Regie von Antú Romero Nunes. Es ist eine riesengroße, wunderschöne Inszenierung, die das Publikum sehr direkt anspricht. Sie wurde auch mit mehreren Preisen ausgezeichnet und zum Theaterfestival nach Avignon eingeladen. Diese Vorstellung kommt zum Abschluss des Festivals.“
Mit ‚Don Giovanni‘ geht die Theaterschau am 28. November zu Ende. Alle Vorstellungen des Prager Theaterfestivals deutscher Sprache werden ins Tschechische übertitelt. Die Eintrittskarten stehen im Verkaufsnetz Ticketpro zu Verfügung. (www.ticketpro.cz)