Zeitreise mit Jan Hus: das Bild des Kirchenreformators vom Mittelalter bis heute

Jan Hus

Über Jan Hus, die Hussiten und die Hussitenbewegung sind schon viele Tausend Seiten geschrieben worden. Auch die Politik hat sich mehrfach an dem Thema vergriffen. Am 6. Juli 1415 starb Kirchenreformator Hus auf dem Scheiterhaufen in Konstanz. Seine Asche wurde in den Rhein gestreut – damit nichts von ihm übrig bleibe, was als Reliquie dienen könne, hieß es damals. Der Theologe, Philosoph und Priester aus Böhmen lebt aber seit 600 Jahren ein zweites Leben: Denn sein Bild und das des Hussitentums wird bis heute immer wieder in ein neues Licht gerückt.

Jan Hus
Jan Hus und seine Thesen sind über Jahrhunderte hinweg immer wieder von neuem zum Streitpunkt geworden. Im Spätmittelalter führte dies zu einer tiefgreifenden Spaltung in Religionsfragen. Auf der einen Seite stand die Darstellung von Hus als Ketzer, auf der anderen als Kämpfers für die Wahrheit Gottes. Daraus enstanden eine wahre Vielfalt an Meinungen. Wie sah also der Umgang mit Hus beziehungsweise mit dem Hussitentum in der Praxis aus? Robert Novotný vom Prager Zentrum für Mittealterstudien:

„Man kann nicht direkt von einem offiziellen Verbot sprechen. Man war aber bemüht, sein Andenken und die hussitische Tradition allgemein aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen und ihn damit vergessen zu machen. Am meisten Druck wurde in der Zeit der Rekatholisierung ausgeübt – ungefähr ab den 1620er Jahren bis Ende des 18. Jahrhunderts.“

Robert Novotný  (Foto: Archiv der Tschechischen Akademie der Wissenschaften)
Nicht selten war auch Manipulation oder sogar Missbrauch dabei. Hus sei zeitweise aus dem öffentlichen Raum verschwunden, so Novotný. Auch die bis dahin übliche Abbildung des Kirchenreformators war betroffen. In der katholischen Ikonografie der Gegenreformation in Böhmen geriet Hus letztlich zum Verwechseln ähnlich mit Johannes dem Täufer oder dem böhmischen Märtyrer Johannes von Nepomuk. Von der katholischen Kirche wurde dies eine Zeitlang als Sieg gedeutet.

Image eines revolutionären Volkstribuns

Mit Beginn der Aufklärung änderte sich jedoch wieder die Sichtweise auf Hus und die Hussitenzeit. Jaroslav Šebek von der Tschechischen Akademie der Wissenschaften:

Josef II.  (Foto: Lysippos / Creative Commons 3.0)
„Das war die Josefinische Zeit. Unter der Herrschaft von Kaiser Josef II. wurden Reformen ins Leben gerufen, die den Einfluss der katholischen Kirche beschränkten. Die Kirche wurde unter die Kontrolle des Staates gestellt. Das machte es möglich, das Andenken an Hus wiederzubeleben, weil er schon viel früher die Missstände in der Kirche kritisiert hatte. In den tschechischen liberal denkenden Kreisen jener Zeit genoss er das Image eines revolutionären Volkstribuns. Nach 1848 war Hus dann schon fest im nationalen Bewusstsein eines Großteils der Gesellschaft verankert, er taucht auch in vielen Erzählungen über die Größe der tschechischen Nation auf.“

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts erschienen die ersten tschechisch verfassten Schulbücher mit Texten über Jan Hus. Eines davon entstand im Auftrag des damaligen Kulturministers Leopold Lev Thun-Hohenstein. Kurz zuvor aber gab František Palacký seine „Geschichte des tschechischen Volkes in Böhmen und Mähren“ heraus, mit ihr legte der Historiker das Fundament für das heutige kollektive Gedächtnis der Tschechen. Seine Interpretation der nationalen Vergangenheit beeinflusste die tschechische Historiographie mindestens bis ins erste Drittel des 20. Jahrhunderts. In Jan Hus und dem Hussitentum sah Palacký einen Höhepunkt der tschechischen Geschichte, den er vor allem mit als Kampf um die nationale Selbstbestimmung interpretierte. Es gab allerdings auch Andersdenkende unter den damaligen Intellektuellen und Politikern. Einer von ihnen war Karl von Schwarzenberg, der Jan Hus als einen Kommunisten bezeichnete. Der Abgeordnete des böhmischen Landtags wandte sich 1889 gegen das Vorhaben, eine Gedenktafel mit Hus´ Namen am Gebäude des Nationalmuseums in Prag anzubringen. An die Adresse der Hussiten soll er gesagt haben:

Hussiten
„Am Anfang jener Bewegung gab es viele ehrenvolle Charaktere. Bald aber haben sich die Hussiten leider in eine Bande von Räubern und Brandstiftern verwandelt.“

Diese Worte lösten damals eine Welle der Empörung aus sowohl im böhmischen Landtag als auch in der Öffentlichkeit. Der Landrat gab zuletzt dem Druck nach, und Jan Hus erhielt neben anderen berühmten Tschechen ebenafalls eine Gedenktafel an der Vorderseite des Museums. Außerdem wurde eine öffentliche Geldsammlung für ein Hus-Monument gestartet, das Denkmal steht heute auf dem Altstädter Ring.

Eine Bande von Räubern und Brandstiftern

Jan Hus
Ab dem Ersten Weltkrieg wurde Hus bereits umfassend als Nationalheld verehrt. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam ein neuer Akzent hinzu: Auf sehr einseitige Weise wurde der sozial denkende Hus hervorgehoben. Tatsächlich ging es ihm um die Emanzipation der Tschechen. Ebenso finden sich dort soziales Empfinden und die Solidarität mit den Menschen am Rande der Gesellschaft. Doch das alles hat bei Hus vor allem eine spirituelle Dimension.

Diese spirituelle Dimension wurde aber unter einer dicken Schicht ideologischen Ballastes begraben. Am 6. Juli 1945 gab der kommunistische Oberbürgermeister von Prag, Václav Vacek, den Startschuss ab. Seine flammende Rede am Nationaldenkmal Vítkov signalisierte, wie das künftige Hus-Bild aussehen würde:

Václav Vacek  (Mitte). Foto: Archiv des Magistrats der Haupstadt Prag
„Mit großem zeitlichen Vorsprung vor der gesamten zivilisierten Menschheit war Hus der erste Repräsentant unserer Nation. Als Erster hob er vor den Augen der Welt die Idee der Wahrheit und Demokratie hervor, geweiht durch die eigene Selbstaufopferung. Damals wie heute wurde gegen die deutsche Unterdrückung gekämpft. Die Massen der Werktätigen erhoben sich gegen die deutsche Herrschaft und gegen die reichen Patrizier sowie zum Kampf für eine neue soziale Ordnung.“

Nach der Machtübernahme 1948 bastelte das kommunistische Regime zielstrebig an einem Hus-Kult. Der Kirchenreformator sollte eigenen machtpolitischen Zwecken dienen. Der auf soclche Weise instrumentalisierte Jan Hus hielt dann im großen Stil Einzug zum Beispiel in jene Literatur, die für mehrere Generationen zur Pflichtlektüre wurde. Aber auch in die Film- und Theaterwelt und nicht zuletzt in den Schulunterricht. Eine persönliche Erinnerung von Religionswissenschaftler Martin Chadima:

Martin Chadima  (Foto: Archiv Hope TV)
„Von Hus habe ich zum ersten Mal in der Grundschule gehört. Eine Lehrerin bezeichnete ihn als Sozialreformator und ersten Kommunisten. Hus habe die Gebote des Genossen Christus von Nazareth gelebt.“

Die Gebote des Genossen Christus

Das verzerrte Bild des tschechischen Kirchenreformators wurde paradoxerweise von jenen geschaffen, die gegen die Religiosität gekämpft haben. Die meisten Menschen im Land akzeptierten dies aber. Historkerin Eva Doležalová von der Prager Karlsuniversität:



Eva Doležalová  (Foto: Archiv der Tschechischen Akademie der Wissenschaften)
„Jan Hus war schon so ein dramatisches Schicksal beschieden. Dies wäre vielleicht in Vergessenheit geraten, wenn Hus nicht den Tod auf dem Scheiterhaufen gefunden hätte. Wenn er aber sehen könnte, wofür sein Vermächtnis instrumentalisiert wurde, würde er wahrlich erschrecken. Wir Historiker wissen, dass gerade sein Tod zu einer starken Radikalisierung der Gesellschaft führte, und das quer durch alle sozialen Schichten. Es bot sich also in den nachfolgenden Jahrhunderten an, jeweils das bei ihm zu suchen, was in der Gesellschaft gerade Resonanz fand. Es wäre aber falsch, den Einfluss seiner Lehre nur in Hinblick auf seine Anhänger und Sympathisanten zu erforschen. Man muss auch seine Widersacher als Träger der Hus-Überlieferung betrachten. Daher ist es höchst interessant, das sich fortlaufend wandelnde Hus-Bild in den Werken von Chronisten und Geschichtsschreibern zu erforschen.“

In den 1990er Jahren wurden hierzulande auch Stimmen laut, die Hus nicht gerade in ein positives Licht stellten. Manche Publizisten bezeichneten die Hussitenkriege als verbrecherisch und schrieben ihnen einen immensen kulturellen Verfall des Landes zu. Erst in der Zeit des Barock sei es zu einer neuen Blüte hierzulande gekommen. Diese extreme Meinung findet aber in der jüngsten tschechischen Geschichtsschreibung, die sich auf wissenschaftliche Arbeitsmethoden stützt, kaum Unterstützung. Erst nach der politischen Wende von 1989 hat sich für die hiesigen Historiker wieder die Möglichkeit eröffnet, frei und ohne jeden Zwang neue Bilder von Hus und dem Hussitentum zu entwerfen. In einem der am stärksten säkularisierten Länder Europas ist dies allerdings keine leichte Aufgabe.