Kino im Kopf: Studenten entwerfen ein Filmmuseum für Tschechien
Tschechien braucht ein Filmmuseum. Das sagen drei Studenten der Filmwissenschaft an der Prager Karlsuniversität. Wie dieses Museum aussehen könnte, darauf gibt es nun einen Vorgeschmack. Eine Ausstellung in Prag wirft Schlaglichter auf die Geschichte des tschechischen Films. In ein paar verwinkelten Räumen haben die Studenten einen begehbaren Film geschaffen, der spannend ist wie ein Krimi.
„Unsere Theorie ist, dass Film niemals stumm war. Auch als man den Ton noch nicht auf Filmband aufnehmen konnte, gab es hinter der Leinwand in den alten Kinos sogenannte Geräuschemacher. Sie benutzen ganz ähnliche Maschinen wie diese hier. Wir haben vier nachbauen lassen und bilden so die Atmosphäre der Stummfilme nach.“
Es sind massive Geräte. Sie stehen vor einer Leinwand mit frühen tschechischen Filmaufnahmen, und wenn Wind, Regen, Donner und die Eisenbahn zusammenspielen, dann gibt es ein eindrucksvolles Unwetter.Dass hier Filmleute am Werk sind, ist der Ausstellung auf den ersten Blick anzumerken. Hier gibt es kein „Im Jahre 1897 entstanden die ersten Filmaufnahmen in Böhmen“. Nein, Adéla Mrázová, Terezie Křížkovská und Jakub Jiřiště sehen sich die Geschichte des Kinos an – und beginnen damit zu spielen. Vor drei Jahren fassten die Studenten den Plan für ein Museum. Adéla Mrázová:
„Wir haben uns irgendwann entschlossen, dass es besser sei, unsere Idee öffentlich vorzustellen, statt an der Universität Konzepte zu schreiben. Zugleich wollten wir auch einen Eindruck erhalten, wie unsere Vorstellungen eines solchen Museums von der Öffentlichkeit aufgenommen werden. Schließlich haben wir diese Räume hier gefunden, und es wurde uns ermöglicht, unsere Ausstellung hier zu zeigen. Weil dieser Ausstellungsraum nur 200 Quadratmeter und drei Stockwerke hat, das Filmmuseum aber einmal viel größer sein soll, haben wir uns gesagt, wir widmen uns in jeder der Abteilungen einem Thema, in verkürzter Form.“Interaktiv statt museal
Die Studenten haben eine klare Vorstellung, wie ihr Museum einmal aussehen soll. Kein Lexikon auf Stellwänden für Filmfetischisten soll es werden und auch keine Exponatschau, sagt Jakub Jiříště:„Wir wollten uns absetzen. Unser erster Gedanke war, dass dieses Museum interaktiv sein muss. Es muss sich mit Film auseinandersetzen, aber zugleich selbst nach einem filmischen Prinzip funktionieren. Wir wollen also nicht nur ein Museum über Film, sondern einen geschlossenen Film in sich.“
Obwohl die Platznot und das Budget das Skript beschränkt haben, folgt die Ausstellung schon jetzt einer schlüssigen und durchgängig fesselnden Dramaturgie. Geholfen hat ein kleines Team von Studenten der Prager Kunst- und Filmhochschulen. Sie haben interaktive Ausstellungselemente entworfen, denen das studentische Budget nicht anzumerken ist. Als die Ära des Tonfilms – nun vom Band und nicht mehr aus der Maschine – beginnt, findet sich der Besucher erneut in der Rolle des Filmemachers. Am Mixpult darf er Geräusche, Musik, Effekte, Atmosphäre und Dialog steuern und seinen eigenen Klangteppich weben. Speziell zum Auftakt der Ausstellung haben die Ausstellungsmacher auch pädagogische Programme entwickelt. Terezie Křížkovská:„Damit kann man natürlich Kinder sehr gut ansprechen. Wir hatten schon Tonworkshops für Kinder. Sie haben Töne aufgenommen, die sie dann in einen Animationsfilm eingebaut haben. Aber zugleich gefällt die Ausstellung auch den Älteren. Viele haben uns gesagt, es sei nicht möglich, eine Ausstellung für alle zu machen. Aber gerade nach den ersten Reaktionen haben wir eigentlich den Eindruck, dass es doch möglich ist. Die Älteren entdecken hier eben ganz andere Dinge als Kinder.“
Mut zur Theorie
Zum Beispiel dutzende Filmraritäten aus dem vergangenen Jahrhundert, die das Nationale Filmarchiv zur Verfügung gestellt hat. Oder aber eine elaborierte Auseinandersetzung mit der Avantgarde, dem zweiten großen Thema der Ausstellung. Hier wird klar, dass die Studenten nicht nur die Film-Praxis kennen, sondern auch in der Theorie zu Hause sind. Sie wagen es, eigene Hypothesen aufzustellen und erklären kurzerhand eine Gruppe von Dichtern zu den Hauptvertretern der tschechischen Filmavantgarde der 1920er Jahre. Adéla Mrázová:„Die Urheber finden sich in der künstlerischen Vereinigung ‚Devětsil‘. Sie haben aber tatsächlich nie einen Film gedreht. Zwar ließen sie sich von diesem Medium inspirieren. Doch es erschien ihnen zugleich unglaublich limitiert, sie waren der Meinung, dass der Film ihre Vorstellungen einschränkt. Darum entschieden sie sich, keine Filme zu drehen, sondern lediglich Libretti für Filme zu schreiben. Sie hielten den Leser an, sich hinzusetzen und sich den Film im Kopf vorzustellen.“Genau das tun auch die Kuratoren. In einem „Imaginären Kino“ gewinnt der Besucher mit Tonaufnahmen einen Eindruck von der dichterischen Filmavantgarde. Harte Schnitte und visuelle Experimente finden sich in den Libretti von Jaroslav Seifert, Vitězlav Nezval und Jiří Voskovec.
Daneben versammelt die Ausstellung frühe Klassiker der Ersten Tschechoslowakischen Republik. Mit Avantgarde, so machen die Kuratoren deutlich, hatte das wenig zu tun. Stattdessen setzten Firmen wie Baťa oder Telefunken mit ihren Werbefilmen in den 1930ern Maßstäbe für die kommerzielle Filmsprache. Ganz tot war die Avantgarde dennoch nicht, sagen die Kuratoren. Sie agierte im Verborgenen. Den Kontrast zu den Zeugnissen des tschechoslowakischen Wirtschaftswunders bilden Aufnahmen der Künstlergruppe „Levá fronta“. Karel Kresl, Otto Vlk und Václav Zelený drehten im Frühjahr 1934 heimlich in Prag. Mit Straßenverkäufern und Bettlern zeigten sie die sozialen Gräben dieser Zeit, die in der allgemeinen Geschichtsschreibung häufig unter den Tisch fallen. Im dritten Teil der Ausstellung geht der tschechische Film in die Welt hinaus. Eine Wand mit Postkarten aus aller Welt versammelt hunderte tschechische Filmschaffende – von Herbert Lom, der noch in Östereich-Ungarn geboren wurde, über František Čáp bis hin zur großen Emigrationswelle nach der Niederschlagung des Prager Frühlings. Dieses Thema war für die Ausstellung gesetzt, sagt Terezie Křížkovská:„Das Exil ist uns sehr nahe. Das ist eigentlich gar kein historisches Thema. Eine Menge Besucher haben schon Vorwissen dazu und können daran anknüpfen. Zugleich ist es auch ein Ansatz für die ausländischen Besucher. Wir sind hier in der Neruda-Straße, fast die Hälfte der Besucher kommt aus dem Ausland. Daher erschien es uns interessant, ihnen etwas zu zeigen, was sie vielleicht schon kennen. So können sie das Wissen über einige Künstler erweitern, deren Filme sie schon gesehen haben.“
Nach der Ton-Praxis und dem theoretischen Ausflug in die Avantgarde haben die Kuratoren für diesen Teil der Ausstellung einen biographischen Ansatz gewählt. Hinter baukastenartigen Türen verbergen sich Dokumente, Filme und Informationen zu drei exemplarischen Exilanten.Filmischer Abgesang auf den Prager Frühling
Vojtěch Jasný etwa drehte im Jahr 1968 noch einen filmischen Abgesang auf den Prager Frühling. Sein Streifen „Česka Rapsodie“ bildet zugleich den Epilog der Ausstellung. Der Emigrant Jasný drehte später in ganz Westeuropa, in der BRD verfilmte er unter anderem Heinrich Bölls „Ansichten eines Clowns“. Miloš Forman gilt ohnehin als filmischer Exportschlager Nummer eins. Den Kuratoren gelingt es auch in diesem Teil, kritische Fragen an den Stoff zu stellen. Zum Beispiel mit der gebrochenen Biographie des Pavel Juráček. Der Regisseur der Neuen Welle verließ die Tschechoslowakei 1977 nicht freiwillig, sagt Jakub Jiřiště:
„Man kann sagen, dass er vom Geheimdienst expatriiert wurde. Er kam nach München, konnte die Sprache aber fast gar nicht. Er hatte große Probleme. Wir haben hier Drehbücher, die er im Ausland verfilmen, animierte Filme für Kinder oder auch Hörspiele. Doch nichts davon wurde realisiert. Aus gesundheitlichen Gründen kehrte Juráček in die Tschechoslowakei zurück. Zwar wurde ihm 1982 erlaubt, an seinem Lebenswerk weiterzuarbeiten, mit dem er schon in den 1970ern begonnen hatte. Doch er hatte bereits Krebs und hat den ersten Drehtag nicht mehr erlebt.“ 1989 starb Juráček. Und auch die Ausstellung „Na film“ blickt nicht mehr über diese historische Zäsur hinaus. Es wäre spannend zu sehen, was die Kuratoren aus den weiteren Episoden der tschechischen Filmgeschichte machen. Ob und wie es mit den Plänen für ein nationales Filmmuseum weitergeht, entscheidet sich im Oktober.Die Ausstellung „Na Film“ ist im Museum Montanelli gleich unterhalb der Prager Burg bis zum 25. Oktober zu sehen. Geöffnet ist täglich außer montags von 12 bis 19 Uhr. Der Eintritt kostet 80 Kronen, für Studenten die Hälfte.