Energiesicherheit in Tschechien: Erdgas, Atomkraft und die russischen Staatskonzerne
Die Energiesicherheit ist ein wichtiges Thema in der tschechischen Wirtschaftspolitik, schließlich gibt es dafür sogar einen eigenen Botschafter. Die Frage ist also, was heute die größten Gefahren auf diesem Gebiet sind. Eine Studie tschechischer Wissenschaftler zu den beiden russischen Staatsunternehmen Gazprom und Rosatom gibt dazu neue Antworten – und der Botschafter für Energiesicherheit, Václav Bartuška, wiederum andere.
Für große Teile Europas sind die Ressourcen in Russland entscheidend – und damit auch das Verhalten der russischen Staatskonzerne wie Gazprom oder Rosatom. Das zeigte sich ab 1997 und ganz besonders im Jahr 2009, als Russland den Gashahn für die Ukraine zudrehte. In einer Kettenreaktion kam es zu den erwähnten Engpässen vor allem für Länder aus dem ehemaligen sowjetischen Einflussbereich von Bulgarien bis nach Tschechien.
Die Erkenntnis: Der Kreml setzt im Notfall Gazprom auch als verlängerten politischen Arm ein. In Tschechien wurden deswegen die Pipelines in den Westen, aber auch nach Polen und in die Slowakei ausgebaut. Begonnen wurde damit schon in den 1990er Jahren. Nach Aussage des tschechischen Botschafters für Energiesicherheit, Václav Bartuška, birgt die Versorgung mit Erdgas daher mittlerweile kein sonderliches Risiko mehr:„Bei Erdgas ist es auf dem europäischen Markt mittlerweile schwer, die Herkunft herauszufinden. Das ist allgemein die Herangehensweise in Europa. Wir wollen nicht zwischen norwegischem, russischem oder algerischem Gas unterscheiden. Das wäre unserer Meinung nach die Leugnung des gemeinsamen europäischen Marktes. Das heißt, Tschechien kauft den meisten Teil seines Gases auf der niederländischen Börse in Rotterdam oder auf der deutschen in Leipzig. Und das ist wichtig: Denn dort, wo man das Erdgas kauft, von dort kommt es auch ins Land geflossen. Daher kam im vergangenen Jahr der allermeiste Teil aus Deutschland und nicht aus dem Osten.“
Eindeutiger ist die Herkunft von Erdöl in Tschechien.„Dies hängt vom Typ der Raffinerien hierzulande ab. Die größte bei uns, in Litvínov, mit einer Jahresverarbeitung von 5,5 Millionen Tonnen pro Jahr, ist für russisches Rohöl beziehungsweis für schwerere Rohöltypen wie aus Russland optimiert. Auch iranisches Öl lässt sich dort verarbeiten, aber steht derzeit unter einem Embargo. Die Raffinerie in Kralupy ist für süßeres Rohöl meist aus Aserbaidschan und Kasachstan mit einem geringen Schwefelgehalt ausgelegt. Das Verhältnis ist 80 Prozent russisches Öl zu 20 Prozent aus weiteren Herkunftsländern. Es ist möglich, einen Rohöltypen durch einen anderen zu ersetzen. Dann sinkt aber die Wirtschaftskraft der Raffinerie“, so Václav Bartuška.
Mittelfristig ist der Strompreis das Problem
Insgesamt aber sieht der Botschafter für Energiesicherheit keine großen Probleme bei der Versorgung mit Rohstoffen, sondern er erkennt sie anderswo.„Derzeit sind wir relativ gut abgesichert. Mittelfristig haben wir dieselben Probleme wie der Großteil Europas. Das führt zu der Frage, nach welchen Kriterien neue Kraftwerke gebaut und neue Energiequellen aufgetan werden können und sollen, wenn der Strompreis an der Börse in Leipzig bei 30 Euro je Megawattstunde liegt und die Kraftwerke aber für 50, 55 oder 60 Euro je Megawattstunde produzieren.“
Dies sagte Václav Bartuška gegenüber Radio Prag bei einer Konferenz zur Energiesicherheit im tschechischen Senat. Bei der Veranstaltung, die unter anderem von der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung ausgerichtet wurde, präsentierten Wissenschaftler auch eine Studie über das Marktverhalten der russischen Staatsfirmen Gazprom und Rosatom.
Gerade Rosatom hat für Tschechien eine gewisse Bedeutung. Denn die ganze Strategie nicht nur der aktuellen tschechischen Regierung ist darauf ausgerichtet, die Kernenergie auszubauen, um Kohlekraftwerke abschalten zu können. Premier Bohuslav Sobotka bestätigte das vor knapp einem Monat noch einmal, als sein Kabinett das neue Energiekonzept verabschiedete. Demnach möchte die Regierung als Nächstes ein Szenario ersinnen, um je einen neuen Reaktorblock in Temelín und Dukovany finanzieren zu können.Dabei hatte der Betreiberkonzern ČEZ vor einem Jahr die Ausschreibung für den Ausbau des umstrittenen Meilers in Temelín gestoppt. Denn es war dieselbe Regierung, die sich geweigert hatte, eine Preisgarantie für Atomstrom aus dem neuen Reaktorblock zu geben. Das Ausschreibungsverfahren war dabei schon weit gediehen. Nachdem die französische Firma Areva ausgeschieden war, waren noch die amerikanische Firma Westinghouse und eben der russische Konzern Rosatom übriggeblieben. Das war allerdings noch bevor Russland die Krim besetzte und nachfolgend die Ukraine-Krise ausbrach. Vier Jahre lang war Václav Bartuska auch Bevollmächtigter des tschechischen Staates für den Ausbau Temelíns. Heute sagt er über den möglichen Neubau von Reaktoren:
„Zunächst müssen wir uns darüber klar werden, wie viele Reaktoren wir brauchen und wann wir sie brauchen werden. Dann glaube ich, dass wir die Gruppe jener Länder, die wir für den Bau ansprechen wollen, einschränken sollten auf jene, mit denen wir kulturell verbunden sind oder die unsere Bündnispartner sind. Ich denke, Russland ist derzeit kein solches Land.“Rosatom kalkuliert wie ein Privatunternehmen
Die Studie über Gazprom und Rosatom bestätigt durchaus die landläufigen Meinungen, dass der Kreml die beiden Konzerne gerne für seine politischen Interessen vereinnahmt. Doch sie zeigt auch, dass besonders Rosatom nicht über den rechtlichen Rahmen der jeweiligen Auftragsländer hinausgeht. Der Politologe Tomáš Vlček von der Brünner Masaryk-Universität ist einer der Autoren der Studie:„Meiner Ansicht nach ist der gesamte Kernenergiesektor stark wirtschaftlich geprägt. Dass einige Länder, wie die baltischen Staaten mit beispielsweise dem Atomkraftwerk im litauischen Visaginas oder aber Rumänien, die Teilnahme von Rosatom in den Ausschreibungen verboten haben, beruht vorrangig auf den historisch schlechten Beziehungen zu Russland. Es ging nicht darum, die Aktivitäten von Rosatom einzuschränken. Falls hierzulande dieselbe Entscheidung gefällt würde, hätte ich an sich kein Problem damit. Aber ich denke, dass Rosatom vorranging wie ein Privatunternehmen kalkuliert und die Atomkraftwerke zur Kapitalbildung nutzt. Und weil eine starke Konkurrenz auf diesem Markt herrscht, nutzt die Firma manchmal alle Möglichkeiten, die sie erhält.“
Genau dies lässt sich beeinflussen. Auch im Fall Tschechien hält es Vlček durch geschickte Verträge möglich, die Risiken politischer Einflussnahme zu umgehen.„Ich finde, dass das Ausschreibungsverfahren, das im Frühling vergangenen Jahres beendet wurde, eigentlich bis dahin sehr gut gelaufen war. Die tschechische Regierung hat nicht nur politisch entschieden, sondern auch mit Fachleuten kommuniziert, die die Lage auf dem Markt und die technischen Aspekte einschätzen konnten. Deswegen konnte sie eine Liste mit sehr konkreten Kriterien erstellen. Weil die Ausschreibung so detailliert war, wäre Rosatom keine politische Gefahr geworden, sondern eine normale Anbieterfirma wie Westinghouse zum Beispiel und andere. Falls das Ausschreibungsverfahren wieder aufgenommen werden sollte, würde ich empfehlen, es erneut so präzise zu formulieren. Und dann ist es eigentlich egal, wer die Ausschreibung bekommt.“
Denn die Belieferung mit Uran, sie ist unter dem Aspekt der Energiesicherheit kein Problem. Zwar bezieht Tschechien diesen Rohstoff derzeit aus Russland, aber andere Anbieter könnten auch bei einem russischen WWER-Reaktor problemlos einspringen. Bleibt nur die Frage, ob sich Atomenergie in Zukunft überhaupt noch rechnet. Denn auf dem Markt der alternativen Energien geht die Entwicklung weiter stürmisch voran.