Tiefe Kontraste – Dokumentarfilm über Böhmerwald von Lenka Ovčáčková
„Tiefe Kontraste“ heißt ein neuer Dokumentarfilm der Regisseurin Lenka Ovčáčková über den Böhmerwald. Er gibt vielschichtige Einblicke in die Schicksale seiner Bewohner und Gäste. Zu Wort kommen Tschechen, Deutsche und Österreicher, die ihr ganzes Leben in der Grenzregion verbracht oder aber einen starken Bezug zu ihr haben. An den Böhmerwald ihrer Kindheit erinnern sich deutschsprachige Böhmen, die nach dem Krieg vertrieben wurden, aber auch einige, die in der Tschechoslowakei verblieben sind. Die Regisseurin stellt zudem Menschen vor, die sich erst vor kurzem im Böhmerwald niedergelassen haben. Die Aussagen und Landschaftsaufnahmen werden ergänzt durch Zitate aus den Werken bekannter Böhmerwald-Schriftsteller. Der zweisprachige Film erlebte am Montag im Prager Literaturhaus seine Hauptstadt-Premiere.
„Ich stamme aus den Weißen Karpaten und muss zugeben, dass der Film durch einen Zufall entstanden ist. Ich habe einen meiner älteren Filme bei der Brücke-Most-Stiftung in Dresden vorgestellt. Dort anwesend war auch Wolfgang Schwarz vom Adalbert-Stifter-Verein. Ich erzählte ihm von meiner Filmreihe über Grenzregionen zwischen Tschechien, Deutschland, Österreich, der Slowakei, Slowenien und Ungarn. Daraufhin hat er mich gefragt, warum ich nichts über den Böhmerwald gedreht habe. Ich war der Meinung, das sei eigentlich ein guter Impuls, einen Film zu machen. Denn der Böhmerwald ist etwas Besonderes: durch die Landschaft, durch die Leute, die dort leben, durch die geographische Lage – der Böhmerwald erstreckt sich von Nové Hrady / Gratzen bis Furth im Wald. Ich dachte also, es wäre schön, einen Film über die Region zu drehen. Zudem haben wir seit etwa fünf Jahren ein Wochenendhaus in Lažiště / Groß Laschitz im Vorausläufer des Böhmerwaldes. Also dachte ich, das ließe sich sehr gut verbinden.“
Haben Sie zuvor die Böhmerwald-Schriftsteller gelesen, die im Film zitiert werden?„Ich muss sagen, dass ich mich schon längere Zeit mit den deutschsprachigen Autoren befasse. Ich habe viele ihrer Werke gelesen. Adalbert Stifter war mir vorher immer ein bisschen verborgen geblieben. Man kann wohl sagen, dass noch nicht die rechte Zeit gekommen war, um alle seine Werke zu lesen. Schon zuvor habe ich aber natürlich viele Werke von Johannes Urzidil gelesen. Karel Klostermann habe ich dagegen nicht so gut gekannt, und Johann Peter war für mich eine Entdeckung. Das ist ein Schriftsteller, der kaum bekannt ist. Josef Váchal aber ist nun schon eine Legende. Ich habe angefangen, Bücher von diesen fünf Schriftstellern zu lesen, im Ganzen waren es 20 oder 30. Ich habe Inspiration gesucht und habe sie auch gefunden.“
Wie konnten Sie Ihre Interviewpartner – all diese interessanten Menschen – aufspüren? Im Film kommen etwa 20 Personen zu Wort, oder sogar noch mehr?„Ich habe 35 Menschen interviewt. Dabei hat mir Wolfgang Schwarz vom Adalbert-Stifter-Verein geholfen. Er hat mir einige Leute empfohlen, an die ich mich wenden konnte. Dann lief es im Schneeball-System im soziologischen Sinne des Wortes: Jeder sagte, er kenne noch den und den, der interessant wäre und so weiter. Das hat sich verselbstständigt bis in den Böhmischen Wald / Český les. Dadurch bin ich bis nach Schönsee und nach Poběžovice / Ronsberg gekommen und habe wunderbare Menschen kennen gelernt. Für den Film war das eine sehr wichtige Sache. Ich genieße es immer wieder, dass ich durch die Interviews solche Menschen kennen lernen kann, die bewusst und aus ihrer vollen Überzeugung heraus etwas für diese grenzüberschreitende Zusammenarbeit und für das Leben im Grenzgebiet machen.“
Im Film kommen auch einige deutschsprachige Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zu Wort, die im Böhmerwald leben. Wie haben Sie diese Menschen entdeckt, zum Beispiel die alte Dame aus Nové Hutě / Kaltenbach?„Das war Zufall, denn meine Tochter geht in die deutsche Schule in Prag. Ich habe der Mutter einer ihrer Mitschülerinnen von dem Film erzählt. Diese Familie fährt oft in den Böhmerwald, und so fragte ich sie, ob die dort vielleicht jemanden kennen würden, der in meinen Film passt. Sie empfahlen mir Frau Pěničková aus Kaltenbach und ich habe sie kontaktiert. Das hat glänzend funktioniert. Wir sind heute eng befreundet.“
Wie wichtig ist die verhältnismäßig lange historische Einleitung für den ganzen Film?
„Ich finde sie sehr wichtig. Bevor man anfängt, über die heutige Zeit zu sprechen, ist es notwendig auf die historischen Ereignisse zurückzublicken. Es wurde zwar viel darüber gesagt, viele Bücher wurden geschrieben. Ich finde aber, dass es davon nie genug sein kann. Die Einleitung bietet einen Background, um tiefer zu gehen. Es ist notwendig, dass diese ganzheitliche Reflexion passiert, dass man durch die Beziehung zur Vergangenheit in die Zukunft schaut. Denn das alles trägt man in sich, obwohl man vielleicht nicht im Grenzgebiet groß geworden und erst in den 1950er oder 1960er Jahren oder nach der Wende von 1989 dorthin gekommen ist. Durch die Reflexion bekommt man die Wurzeln.“Sie sind auch einigen Menschen und Familien begegnet, die sich erst vor ein paar Jahren entschieden haben, sich in der Natur im Böhmerwald niederzulassen. Wie sieht deren Leben dort aus?„Ich weiß nicht, ob man das als alternatives Leben bezeichnen könnte, ob es der passende Begriff ist. Es gibt die Tendenz, auf eine alternative Weise zu leben. Was ist alternativ? Man versucht, bewusst und autark zu leben. Man versucht, mit den Dingen, die man hat, die die Landschaft bietet, zu leben. Oft ist das mit der ökologischen Landwirtschaft verbunden. Man ist mit dem Himmel des Böhmerwaldes dadurch verbunden, dass man die Ganzheit zu erfassen versucht. So sind die Leute, die ich kennen gelernt habe. Sie waren nicht alle im Film zu sehen. Es gab einige, die nicht gefilmt werden wollten. Diese Menschen machen auch einen wichtigen Schritt dahin, dass die Landschaft wieder belebt wird. Denn die Grenzgebiete werden marginalisiert, man spricht von einer hohen Arbeitslosigkeit und davon, dass die jüngeren Menschen in die Großstädte abwandern. Wenn es Menschen gibt, die sagen, dass sie aus der Großstadt weg wollen, um etwas Kreatives zu machen, dann ist das wunderbar.“
Einer der Bewohner von Volary / Wallern spricht im Film über den Zauber des Böhmerwaldes. Worin besteht dieser Zauber?„Das ist eine gute Frage: Wodurch entsteht er? Man könnte es so sehen, dass es die Erfahrungen von Generationen sind. Nicht aus dem Grund, weil die Leute vertrieben wurden. Was gibt einem die Möglichkeit, Wurzeln zu schlagen und sich mit der Region zu identifizieren? Ist es eine besondere romantische Stimmung, die dort herrscht? Es gibt Leute, die sich stark mit dem Land identifizieren. Aber sie reflektieren die Geschichte, blenden sie nicht aus, sondern nehmen sie wahr und versuchen daran anzuknüpfen. Ich habe viele wunderbare Menschen getroffen. In Volary lebt der Dichter František Klišík. Er stammt aus einer rumänisch-slowakischen Familie. Seine Eltern sind nach Kriegsende nach Volary gekommen. Er wie auch sein Bruder sind künstlerisch tätig. Beide sind imstande, das Leben in seiner Ganzheit wahrzunehmen. Das ist vielleicht auch die Botschaft für die Zukunft.“
Die Premiere des Films fand vorige Woche in Kašperské Hory / Bergreichenstein statt. Wie waren die Reaktionen des Publikums?„Ich muss betonen, dass die meisten Zuschauer älter waren, im Durchschnitt um die 60 Jahre alt. Ich habe das Gefühl, dass es mir gelungen ist, den Böhmerwald so zu zeigen, wie sie ihn wahrnehmen. Sie haben den Film genossen, die Reaktionen waren sehr positiv. Ich stamme nicht aus dem Böhmerwald, wir haben zwar das Wochenendhaus und machen dort die klassische Sommerfrische. Aber wir können dieses Stück Land nicht so wahrnehmen wie Leute, die dort ständig leben. Menschen, die eine kontinuierliche Beziehung zum Böhmerwald haben, fühlen das auf eine ganz andere Weise. Es ist möglich, dass eine poetische Note eine Rolle gespielt hat. Sie ist immer präsent, gehört zu der Region und diese literarisch-poetische Note prägt auch den Film.“
Seine deutsche Premiere wird der Film „Tiefe Kontraste“ am 21. Mai im Centrum Bavaria-Bohemia im bayerischen Schönsee haben.