Auf der Suche nach dem „Etwassismus“
Tomáš Halík ist tschechischer Religionsphilosoph und einer der meistgelesenen Sachbuchautoren in seiner eher atheistisch geprägten Heimat. Auf Deutsch erscheinen seine Bücher im Verlag Herder in Freiburg. Nun ist der Band „Nicht ohne Hoffnung“ als Hörbuch herausgekommen. Im Folgenden mehr über dieses Buch, Halíks Denkansätze und allgemein über seine Person.
Erfurt, das ist die Stadt, die ihn auch ganz besonders mit Deutschland verbindet. Denn dort wurde er zum Priester geweiht. Und zwar heimlich, denn dies geschah 1978, also zu tiefsten kommunistischen Zeiten. Auch Verleger Manuel Herder kennt diese Geschichte. Halík fuhr damals mit dem Zug nach Thüringen – und musste darüber schweigen, was er dort vorhatte. Manuel Herder:
„Das ist eine Geschichte, die er uns persönlich häufig erzählt hat, in seinen Büchern hat er sie nicht ganz so ausgeschmückt. Er war ja damals im Untergrund Priester. Die Zugfahrt nach Erfurt, die Unaufgeregtheit, im Grunde das Verschweigen eines Erlebnisses, das vor ihm steht. Und er erzählt gelegentlich mit einem Schmunzeln, dass ihm gegenüber im Zug eine junge Frau saß, die offensichtlich zu einem Rendezvous fuhr und deswegen einen Ratgeber in der Hand hielt, wie man sich bei einem solchen Treffen verhält. Und Halík sagte damals: Hat es nicht eine gewisse Ironie, dass sie über ihr großes anstehendes Ereignis in einem Buch lesen kann, derweil ich den Schritt in die Ehelosigkeit, in den Zölibat ganz geheim vollbringen muss. Ein weiterer Teil: Halík konnte damals ja nicht, wie das normalerweise üblich ist, seine Priesterweihe öffentlich feiern. Und so hat für ihn wohl das Erlebnis, in Deutschland, in Erfurt die Priesterweihe erfahren zu haben, und dieses so geheim zu erleben, einen verbindenden Effekt.“ Manuel Herder hat Halík über seinen vor drei Jahren verstorbenen Vater kennengelernt. Seit 2010 erscheinen die Bücher des tschechischen Denkers in dem Verlag, den Herder nun in sechster Generation führt. In demselben Jahr kam auf Deutsch das Werk Halíks heraus, das ihn weltweit bekannt gemacht hat. Es heißt „Geduld mit Gott“. Darin geht es um Glauben und Nichtglauben. Zweimal wurde diese Schrift zum besten theologischen Buch Europas gewählt. Tomáš Halíks Gedanken interessieren auch in seiner Heimat viele Leute – dabei hatte er das selbst gar nicht erwartet:„Für mich und für viele meiner Freunde war es eine Überraschung, dass meine Bücher im sogenannten atheistischen Tschechien zu Bestsellern geworden sind. Ich schreibe nicht süße Lektüre für die Frommen. Ich wende mich an die Suchenden. Ich meine, dass heute die Grenzen nicht zwischen sogenannten Gläubigen und Nichtgläubigen bestehen, sondern zwischen den ‚Verbleibenden‘ und den Suchenden. Für viele Gläubige ist der Glaube nicht eine Festung, eine Sicherheit, sondern ein Weg in die Tiefe. Und es gibt auch Menschen, die über sich selbst sagen, sie seien Agnostiker, sie seien ungläubig. Aber sie sind auch Suchende, und für die schreibe ich.“
Die jüngste Veröffentlichung Halíks trägt den Titel „Nicht ohne Hoffnung“. Sie liegt seit kurzem auch in der Hörfassung vor, gelesen von Helmut Mooshammer. In diesem Werk geht es um den „Glauben im postoptimistischen Zeitalter“, wie es heißt. Tomáš Halík:„Hoffnung, Glaube und Liebe sind die drei wichtigsten christlichen Tugenden. Es sind drei Aspekte einer Lebenseinstellung. Glaube ohne Liebe kann zum Fanatismus führen. Auch Glaube ohne Hoffnung kann eine Ideologie sein. Die drei Tugenden brauchen einander einfach.“
Die Hörbuch-CD enthält auch ein Gespräch, das Manuel Herder mit dem Autor geführt hat. Diese Aufmerksamkeit für den tschechischen Religionsphilosophen hat seine Gründe.
„Tomáš Halík zählt für mich zu den wichtigen europäischen Denkern. Und mit seinen Büchern, jetzt auch mit seinem Hörbuch, richten wir uns im Grunde an eine bestimmte Avantgarde der Denker und vielleicht auch der Entdecker. Denn Tomáš Halík ist natürlich jemand, der von seinem ganzen Werdegang her einen Erfahrungshorizont hat, der uns hier im Westen fehlt. Er hat existenzielle Erlebnisse hinter sich, er hat auch unter sehr schwierigen Bedingungen seinen Weg zum Priestertum gefunden. Und er ist jemand, der sich die Dinge nicht leicht macht. Das fasziniert im Grunde viele an ihm. Und zunächst war es für uns im Verlag Herder eine Frage, wenn wir einen bis dato in Deutschland unbekannten Autor ins Verlagsprogramm nehmen, wie die Öffentlichkeit darauf reagieren wird. Und wir erleben, dass Tomáš Halík zunehmend eine begeisterte Leserschaft hervorruft“, so Manuel Herder. In seiner Heimat hat Tomáš Halík eine solche Leserschaft, wie gesagt, bereits erreicht. Dass Tschechien eine der Kirche eher abgewandte Gesellschaft hat, wird hierzulande in den Medien im Übrigen regelmäßig thematisiert. Auch wenn es etwas paradox ist, aber Halík kommt häufig ins Gespräch mit den Menschen über ihren Unglauben oder Atheismus:„Es gibt viele verschiedene Ursachen für Unglauben, zum Beispiel persönliche oder kulturelle. Viele Leute in meinem Land, die mir sagen, sie seien Atheisten, frage ich: Wie sieht der Gott aus, an den du nicht glaubst? Man muss eine Vorstellung haben von dem Gott, zu dem man nein sagt. Und als mir einer der Atheisten seine Vorstellung von Gott schilderte, musste ich ihm erwidern: Gott sei Dank, dass du nicht an einen solchen Gott glaubst, an einen solchen Gott glaube ich auch nicht! Viele Menschen haben sehr primitive Vorstellungen von Gott, Glaube und Religion. Und wenn sie das dann negieren, dann stimme ich mit ihnen überein. Dieser Mann sagte mir dann: Ich bin kein dummer Materialist, ich weiß, dass es etwas über uns gibt. Und ich glaube, dieser ‚Etwassismus‘ ist die am meisten verbreitete Religion in Tschechien. Die Menschen glauben nicht an Gott, aber an etwas. Es ist dann für einen Theologen die Herausforderung, dieses Etwas zu interpretieren.“
Tomáš Halík mischt sich aber auch gerne in aktuelle politische und gesellschaftspolitische Debatten ein. Und das durchaus kontrovers. So lehnte der Theologe nach dem Attentat auf die Redaktion des Satiremagazins Charlie Hebdo den Spruch „Je suis Charlie“ ab. Er trauere ebenfalls um die Redakteure des Magazins, die erschossen wurden, schrieb Halík in einem Kommentar der Tageszeitung Lidové noviny. Aber die Mohammed-Karikaturen in Charlie Hebdo würden ihn an die nationalsozialistischen Bilder erinnern, mit denen Juden lächerlich gemacht werden sollten. Für dieses Statement fing er sich Kritik ein in seiner Heimat. Auf der anderen Seite hat der Philosoph letztens an die tschechische Regierung appelliert, nicht zu zögern und syrische Flüchtlinge aufzunehmen. Damit erntete er wiederum Beifall.