„50 plus“ – Seniorenbegegnungen zwischen Tschechen und Deutschen
Jugendbegegnungen gehören in Europa heute zum Alltag. Seltener treffen ältere Menschen aus unterschiedlichen Ländern zusammen. Mit dem Programm „50 plus“ will die Brücke-Most-Stiftung in diese Lücke vorstoßen. Radio Prag war bei einer solchen Begegnung dabei.
„Ich finde, es wird wirklich sehr viel für Jugendliche in verschiedenen Programmen gemacht. Und die Senioren kommen einfach viel zu kurz. Sehr viele tschechische Senioren sprechen zwar deutsch, aber sie haben keine Möglichkeit, Deutschen zu begegnen.“
Pragkontakt, die tschechische Niederlassung der Brücke-Most-Stiftung, bietet daher seit zwei Jahren neben Programmen für Schüler- und Jugendgruppen auch Begegnungen für Senioren an. Die Idee ist genauso einfach wie neu: Eine klassische Senioren-Bildungsreise nach Prag mit dem üblichen Besichtigungsprogramm wird erweitert um Begegnungen mit tschechischen Senioren und den Besuch in tschechischen Institutionen, wie etwa dem Prager Literaturhaus deutschsprachiger Autoren.„Es ist einfach eine Gruppe von Senioren, die aktiv leben, sich für andere Dinge, andere Leute, neue Themen interessiert. Meistens sind es organisierte Gruppen – in Tschechien von Universitäten des „dritten Alters“ und in Deutschland sind es Seniorenorganisationen wie zum Beispiel im Falle der Hamburger Gruppe, die Seniorenbildung e.V.“
„Pragkontakt“ möchte diese Gruppen vor allem zusammenbringen – alles andere, so die Erfahrung von Marie Janoušková, ergibt sich ganz von alleine:„Am Anfang stehen sich zwei Gruppen gegenüber – auf der einen Seite die tschechische, auf der anderen die deutsche. Und langsam, nach und nach, kommen sie miteinander ins Gespräch. Und dann gibt es einfach nur noch Geräusche – sehr viele Geräusche. Es wird sehr viel geredet.“
Die Seniorinnen haben sich mit Kaffee und Kuchen um die Stehtische im Raum gruppiert – aus den angekündigten 15 Minuten Pause wird eine Stunde, die Moderatorin hat spontan die geplanten organisierten Gesprächsrunden gestrichen. Die Gespräche laufen von alleine. Wo es Sprachbarrieren gibt, springen Dolmetscher ein. Das Themenspektrum ist breit – von Freizeitgestaltung über Kindererziehung bis hin zum Rentensystem.
„Also ich hab gefragt, ob die Frauen als Rentnerinnen weiterarbeiten dürfen oder nicht. Also, wie die Bedingungen für das Arbeiten nach der Pensionierung sind.“so Alena, die an der Begegnung teilnimmt, weil ihr der Austausch mit Menschen aus anderen Ländern wichtig ist. Sie reist regelmäßig zu ihren Freunden nach Stuttgart, dort sprechen sie aber meistens über private Dinge, weniger über Politik.
„Also, ich sehe keine Unterschiede, ob das ein Deutscher oder ein Tscheche ist. Ich suche mir die Leute individuell aus, also was für ein Mensch das ist. Und nicht, ob das ein Deutscher oder ein Tscheche ist. Das ist mir egal.“
Plötzlich sind die zwei Stunden um, die Begegnung ist zu Ende. Eine Teilnehmerin schildert ihre Eindrücke:„Es war für mich eigentlich erstaunlich festzustellen, dass es praktisch gar keine Unterschiede gibt zwischen tschechischen Rentnern und deutschen. Die haben vielleicht andere Lebensumstände. Aber im Prinzip bewegt sich das auf einer europäischen Ebene. Wir haben uns hier alle sehr, sehr gut unterhalten und sehr viele neue Informationen bekommen. Und in dieser kurzen Zeit fast schon freundschaftliche Kontakte geknüpft. Und das ist etwas, was ich an den Tschechen mag: Dass sie sich sehr schnell auf etwas einlassen – ohne Vorurteile.“
Und eine weitere Dame ergänzt:„Ich nehme mit, dass das hier alles sehr nette, aufgeschlossene Frauen sind. Und dass wir einen netten, anregenden Austausch hatten – über Probleme in ihrem Land, in unserem Land. Und dass die Probleme eigentlich ziemlich identisch sind – was die Arbeitslosigkeit betrifft oder die Rentenfrage. Und auch das Private – die Kindererziehung... Ich hatte gedacht, es wird vielleicht ein bisschen langweilig. Aber ganz im Gegenteil. Wirklich schön.“
Fast ein bisschen zu schön und harmonisch? Aber vielleicht ist ja gerade das die gute Nachricht – dass auch in der älteren Generation die Vergangenheit nicht im Weg stehen muss? Eva lebt seit 16 Jahren in Tschechien, ihr Mann ist Tscheche:
„Ich wohne auf einem kleinen Dorf. Aber nie wurde negativ gesagt: ‚Ah, die Deutschen’ oder so. Nie. Ich wohne in einem sudetendeutschen Haus. Und der tschechische Besitzer hat uns damals vor 16 Jahren sehen wollen und gesagt, er findet das fantastisch, dass hier ein Tscheche und eine Deutsche gemeinsam einziehen. Und dann haben wir das Haus bekommen. Und wir hatten von den Sudetendeutschen Besuch, und von den Tschechen. Und ich glaube, abseits von der Politik gibt es einfach schon lange ein Miteinander, ohne Vergangenheit.“Mehr Infos zu den Seniorenbegegnungen „50 Plus“ von Pragkontakt finden Sie auf der Webseite www.pragkontakt.de.
Dieser Beitrag wurde am 19. September 2013 gesendet. Heute konnten Sie seine Wiederholung hören.