„Ein untypischer Sozialdemokrat“ - Politologe Jelínek über Premier Sobotka
In Tschechien hat eine neue Regierungskoalition die Amtsgeschäfte übernommen. Sie setzt sich aus Sozialdemokraten, Christdemokraten und der neuen Partei Ano zusammen. Premier ist der Sozialdemokrat Bohuslav Sobotka. Der 42-Jährige mischt zwar seit der politischen Wende von 1989 in der tschechischen Politik mit, doch auch viele Tschechen wissen nur wenig über ihn. Deswegen im Folgenden ein Interview mit dem Politologen Lukáš Jelínek über Sobotka und die neue Regierung.
„Bohuslav Sobotka hat seine gesamte bisherige politische Karriere bei den Sozialdemokraten verbracht, man könnte auch sagen: seinen ganzen Berufsweg. Schon 1989 - noch als Gymnasiast – half er dabei, die Sozialdemokraten in der damaligen Tschechoslowakei neu zu gründen. Er hat bei den Jusos wichtige Funktionen inne gehabt. Eine Zeitlang war er auch Vorsitzender der sozialdemokratischen Fraktion im Abgeordnetenhaus. Und er leitete das Finanzministerium. Von daher war es selbstverständlich, dass er zunächst zum stellvertretenden Parteivorsitzenden aufstieg. Und als dann Jiří Paroubek die Führung der Sozialdemokraten niederlegte, wurde Sobotka sein Nachfolger. Man kann also sagen, dass Bohuslav Sobotka kontinuierlich die Karriereleiter in seiner Partei nach oben geklettert ist. Für ihn ist vielleicht typisch, dass er nicht gerne auf Konfrontationskurs geht – weder in der eigenen Partei noch gegen politische Gegner. Er löst Probleme lieber im Konsens und durch vertrauliche Gespräche. Sobotka legt sehr viel Wert auf seine private Integrität. Interessant ist sicher, dass er aus Südböhmen kommt und katholische Wurzeln hat, für einen Sozialdemokraten ist das nicht gerade typisch. Dem entsprechen auch seine Wertvorstellungen, diese stehen im Gegensatz zu jemandem aus dem liberalen Umfeld einer Großstadt. Das sage ich auch deswegen, weil Bohuslav Sobotka als Politiker berechenbar sein dürfte. Er ist nicht der Typ für Skandale oder Affären. Man wird wohl auch kaum einen emotionsgeladenen Auftritt bei politischen Veranstaltungen beobachten können, er wird sich eher auf fleißige Bienchenarbeit verlassen und auf Teamgeist, sowohl in der eigenen Partei als auch in der Koalition mit seinen Partnern.“
Sie haben es schon gesagt: Sobotka ist ein Berufspolitiker. Ist das in Tschechien eher eine Besonderheit? Könnte das ein Problem sein?„Gerade weil Bohuslav Sobotka ein typisches Kind der Samtenen Revolution vom November 1989 ist, hat er bis auf kurze Ausnahmen praktisch nur Politik betrieben. Er hat zwar einen Uni-Abschluss als Jurist, aber er hat nie als solcher gearbeitet. Er war Finanzminister, obwohl er keine ökonomische Ausbildung hat. Deswegen ist er sehr abhängig von seinen engsten Mitarbeitern und wird das auch weiter sein. Auf der anderen Seite werden wir uns wohl auch hier in Tschechien daran gewöhnen müssen, dass die Politik ein eigenes Gewerbe ist mit Fachleuten für Gesetzgebungsprozesse, das politische System und die Leitung von Parteien. In dem Sinn ist Sobotka sicher sehr qualifiziert, denn er hat alle Etagen der Politik durchlaufen. Das schließt aber nicht aus, dass er wegen mangelnder Erfahrung in anderen Bereichen in Schwierigkeiten geraten könnte. Vielen Vorgängern ist das zum Verhängnis geworden, wie beispielsweise dem damals jungen Sozialdemokraten Stanislav Gross in den Jahren 2004 und 2005. Ich denke aber nicht, dass dies bei Sobotka der Fall ist.“
Sobotkas hat seine Sozialdemokraten ja mit zwei Parteien zu einer Koalition zusammengeführt, die eher in der Mitte oder rechts von der Mitte im politischen Spektrum stehen. Vertritt Sobotka denn überhaupt noch klassische sozialdemokratische Werte?„Bohuslav Sobotka bleibt eigentlich nur die Chance, klassische sozialdemokratische Werte zu verteidigen. Die Wahlen sind eben so ausgegangen, dass keine reine Linksregierung entstehen konnte. Prinzipiell war auch über eine sozialdemokratische Regierung unter Duldung der Kommunisten spekuliert worden. Aber die Ergebnisse haben Sobotka nur eine Koalition erlaubt, die über die politische Mitte hinausreicht. Wenn man aber das Regierungsprogramm nimmt, dann bestehen große Übereinstimmungen mit dem Wahlprogramm der Sozialdemokraten. Nur wenige Sachen wurden herausgestrichen oder hinzugefügt. Deswegen besteht eine relativ große Chance, dass die Sozialdemokraten der Regierung ihren Stempel aufdrücken können. Allerdings ist schwer vorauszusehen, wie sich die Beteiligung der neuen Partei Ano auswirken wird. Andrej Babiš als Parteichef hat schließlich keinerlei politische Erfahrung. Deswegen ist es auch schwer zu sagen, wie weit links oder rechts die Koalition stehen wird. Bohuslav Sobotka will indes auch als Parteivorsitzender reüssieren und setzt daher wohl alles daran, dass in der Regierungsarbeit der sozialdemokratische Ansatz gut zu erkennen sein wird.“
Sie sagen, dass sich Sobotka auch als Parteivorsitzender durchsetzen will. Kurz nach der Wahl war es aber ja zu einer Art Putschversuch von parteiinternen Gegnern Sobotkas gekommen. Für wie stark halten Sie die Stellung des Premiers nun innerhalb seiner eigenen Partei, den Sozialdemokraten?„Bohuslav Sobotka hatte Glück. Zum Putsch war es Ende Oktober gekommen, weil bei den Sozialdemokraten schon länger zwei starke Flügel miteinander konkurriert haben. Der eine wurde von Sobotka vertreten, der andere von seinem erstem Stellvertreter Michal Hašek. Als dann die Sozialdemokraten bei den vorgezogenen Neuwahlen ein sehr schlechtes Ergebnis einfuhren, wäre durchaus ein Rücktritt des Vorsitzenden denkbar gewesen. Doch Sobotkas Gegner begingen schwere Fehler. Sie trafen sich zum einen heimlich mit Staatspräsident Miloš Zeman, und auf Eingriffe von außen in Parteien reagiert die tschechische Öffentlichkeit sehr gereizt. Zum anderen kam der Putschversuch viel zu früh. Das Treffen mit Zeman fand noch am Wahltag statt, ohne dass das Ergebnis des Urnengangs bereits analysiert worden wäre. Und da zeigte sich, dass sowohl bei den sozialdemokratischen Wählern als auch allgemein in der tschechischen Öffentlichkeit Sobotka größeres Vertrauen genießt als Hašek. Deswegen erhielt der Parteichef noch einmal eine Chance, nämlich das Wahlergebnis in eine Regierungskoalition zu überführen. Und das ist ihm gelungen. In der Politik werden wie im Fußball zwei Halbzeiten gespielt. In der einen sind die Wahlen, in der anderen die Regierungsverhandlungen. Ich würde sagen, dass Sobotka in der zweiten Halbzeit das Ergebnis aus der ersten Hälfte noch zu seinen Gunsten gedreht hat. Auf diese Weise hat er auch seine Position als Parteivorsitzender gefestigt. Man kann nur nicht sagen, für wie lange. Denn Michal Hašek ist immer noch Vorsitzender des Zusammenschlusses der tschechischen Kreise, er wird von den Kreishauptmännern und weiteren sozialdemokratischen Regionalpolitikern unterstützt. Dennoch scheint Sobotkas Stellung als Vorsitzender so stark wie nie zuvor seit der Übernahme des Amtes im Jahr 2011. Ob das so bleibt, wird auch von der Arbeit seiner Regierung abhängen.“
Die Koalitionspartner haben relativ lange über Regierungsprogramm und Kabinett verhandelt. Wo gibt es Minen, die auf die Koalition in der nächsten Zeit warten?„Die größte Frage liegt darin, wie Sozialdemokraten und Christdemokraten mit Ano als neuem politischem Akteur zurechtkommen. Erste Probleme sind bereits zutage getreten, und zwar in der Diskussion um die Besetzung der Staatssekretäre. Traditionell werden diese nach Parteizugehörigkeit besetzt, doch Babiš kann bei Ano nicht auf eine Parteibasis zurückgreifen. Deswegen streitet man sich nun darum, wie weit die Parteien in die Staatsverwaltung eingreifen dürfen. Zudem hat sich gezeigt, dass Babiš und der christdemokratische Parteichef Pavel Bělobrádek nur sehr schlecht miteinander kommunizieren und in einer Reihe Themen unterschiedliche Vorstellungen haben. Des Weiteren unterscheiden sich die Meinungen von Sozialdemokraten und Christdemokraten bei der Rückgabe von Eigentum an die Kirchen, das kann noch heikel werden. Und Sozialdemokraten und die Partei Ano haben unterschiedliche Vorstellungen in der Haushaltspolitik: Ano behauptet, man könne weiter sparen sowie Löcher in der Steuereintreibung stopfen. Die Sozialdemokraten, die bereits Erfahrung als Regierungspartei haben, glauben das aber nicht und wollen durch Steuererhöhungen für mehr Einnahmen des Staates sorgen. Es bestehen also eine Reihe Sachfragen, in denen Streit vorprogrammiert ist. Die einzige Chance besteht darin, dass die Parteivorsitzenden sich der Gefahr bewusst sind: dass nämlich Staatspräsident Zeman nur auf ein Straucheln der Koalition lauert, um seine eigenen Lösungen einzubringen. Und die Opposition ist zwar fragmentiert, aber könnte dadurch wieder Boden gut machen, dass sie mögliche Fehler der Regierung anprangert.“