Sudetenkrise 1938: „Gebt uns Waffen oder General Syrový!“
Jan Syrový wurde oft mit dem mittelalterlichen Kämpfer Jan Žižka verglichen. Auch wegen seiner Augenklappe galt der Kommandant der Legionäre als unerschrockener Soldat. Im Herbst 1938 gehörte er zu jenen Politikern in der Tschechoslowakei, die noch das meiste Vertrauen in der Bevölkerung genossen: Nach dem Münchener Abkommen wurde er Ministerpräsident. Im Folgenden mehr zu seiner Lebensgeschichte.
Jan Syrový war zu dieser Zeit Generalinspekteur der tschechoslowakischen Armee. Sein Vorgesetzter war Staatspräsident Edvard Beneš, so der Historiker Jan Špringl:
„Edvard Beneš äußerte sich nach dem Krieg in seinen Memoiren, dass er Syrový eigentlich nicht zum Ministerpräsident ernennen wollte. Er fühlte sich jedoch durch den Druck der Öffentlichkeit dazu gezwungen. Syrový war nämlich wirklich eine sehr beliebte Person, der Held und Befehlshaber aller tschechoslowakischen Legionäre in Russland im Ersten Weltkrieg. Bei der legendären Schlacht bei Zborów wurde er verletzt und verlor das rechte Auge. Das ist auch der Grund, weshalb er die Tschechen an den husitischen Führer Jan Žižka erinnert. Kein Wunder, dass die Menschenmassen während der Demonstration vor dem Parlamentsgebäude am 22. September skandiert haben sollen: ‚Gebt uns Waffen oder Syrový!‘ Syrový wurde sogar aufgefordert, zu den Demonstranten zu sprechen und sie zu beruhigen. Der Plan, ihn zum Ministerpräsident zu ernennen, war aber schon von dem früheren Regierungschef Milan Hodža vorbereitet worden. Syrový war also als eine Marionette ausgewählt worden, um im passenden Moment in den politischen Ring geschickt zu werden.“ Die Regierung in Prag erklärte die Mobilmachung. Fast alle Tschechen waren bereit, ihre Heimat zu verteidigen. Die Lage entwickelte sich aber anders, denn Frankreich und Großbritannien lehnten es ab, der Tschechoslowakei zu helfen. Der britische Ministerpräsident Neville Chamberlain schrieb Hitler sogar, dass er alles ohne Kampf gewinnen könne. Gemeinsam mit dem italienischen Diktator Mussolini schlugen sie Hitler eine internationale Konferenz vor. Das Ergebnis: Am 29. September wurde in München zwischen Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien ein Abkommen unterzeichnet, das die Tschechoslowakei verpflichtete, ihre Grenzgebiete an Deutschland abzutreten. Am nächsten Tag stimmte Prag dem so genannten Münchener Abkommen zu. Es war ein Schock für die Tschechoslowakei: Kaum jemand im Land wollte kapitulieren, noch dazu ohne je einen Schuss abgegeben zu haben. In dieser Situation wurde Jan Syrový mit der „Mission impossible“ beauftragt. Am 30. September hielt er folgende Rede im Rundfunk:„Ich erlebe nun den schwierigsten Augenblick meines Lebens. Ich fühle die schmerzvolle Aufgabe, die ich lieber mit dem Tod tauschen würde. Wie sie wissen, stand der Kampf für die Freiheit unseres Volkes und die Verteidigung unserer Souveränität im Mittelpunkt meines Lebens. Sie wissen, dass ich bereit war und bin, für diese Werte mein Leben zu opfern. Aber gerade weil ich als Soldat weiß, unter welchen Voraussetzungen ein Krieg gewonnen werden kann, muss ich ihnen im Einklang mit dem Gewissen eines verantwortungsbewussten Offiziers sagen: Die Kräfte, die uns in diesen Tagen entgegenstehen, zwingen uns dazu, ihre Übermacht anzuerkennen und in diesem Sinne zu handeln.“Am gleichen Tag wandte sich auch Präsident Beneš mit einer ähnlichen Rede an die Öffentlichkeit. Beide Männer waren sich der auswegslosen Situation des Staates bewusst. Doch obwohl Beneš bereits am 5. Oktober abdankte und kurz danach ins Exil ging, musste Syrový den bitteren Kelch bis auf den Grund leeren. Neben dem Ministerpräsidenten war er auch Verteidigungsminister. Damit lag auch die formale Übergabe der betroffenen Grenzgebiete in seiner Verantwortung.
Eine ähnlich traurige Rolle musste Syrový auch am 15. März 1939 spielen, als Hitler den Rest der Tschechoslowakei besetzen ließ und das Protektorat Böhmen und Mähren errichtete. Damals erließ Syrový unter anderem den Befehl, dass man dem Feind keinen Widerstand leisten dürfe. Verteidigungsminister blieb er noch bis April 1939, dann zog er sich aus der Politik zurück. Sein Engagement sollte aber trotzdem verhängnisvoll für ihn werden. Gleich nach dem Krieg wurde Syrový verhaftet und im Jahre 1947 vor ein so genanntes Volksgericht gestellt. Worin die Anklage bestand, beschreibt Jan Špringl:„Syrový wurde vorgeworfen, dass er 1939 das militärische Material nicht liquidieren lassen habe und dieses daher in deutsche Hände gefallen sei. Der Ankläger behauptete auch, dass Syrový, anstatt in der Nacht vom 14. auf den 15. März 1939 die Verteidigung des Staates zu organisieren, Kapitulationsbefehle ausgegeben habe. Diese hat er aber aufgrund der Entscheidung seines Vorgesetzten, also von Staatspräsident Emil Hácha ausgegeben. Ein weiterer Anklagepunkt war, dass sich Syrový an der Seite von prominenten Nazis gezeigt und Hitler seine Hand auf der Prager Burg gereicht habe. Seine größte Schuld aber war sein Verrat an der Rolle des Nationalhelden. Das heißt, er wurde den Erwartungen an sein eigenes Symbol nicht gerecht.“ Gemeinsam mit Jan Syrový musste sich vor dem so genannten Volksgericht auch sein Nachfolger im Amt des Ministerpräsidenten, Rudolf Beran, verantworten. Das Urteil lautete für beide: 20 Jahre Haft, die Hälfte davon in einem Arbeitslager. Ihr Eigentum wurde zugunsten des Staates konfisziert. Jan Syrový verlor dazu sowohl sein aktives als auch sein passives Wahlrecht. 1960 wurde Jan Syrový aufgrund einer Amnestie entlassen, danach arbeitete er als Nachtwächter. Er hielt sich für unschuldig und war bis zu seinem Tod 1970 davon überzeugt, dass er in den Momenten der Krise sein Bestmögliches getan habe.