Eine abgestimmte Eskalation

Sudetendeutschen in Liberec (Foto: Wikimedia Commons, Public Domain)
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Neben dem Deutschen Reich waren die Deutschen in der Tschechoslowakei einer der Triebfedern für das Münchner Abkommen. Wie war aber die Stimmung unter bei Tschechen und Sudetendeutschen vor dem Jahr 1938? Wie konnte es zur Radikalisierung kommen? Mit diesen Fragen hat sich der Historiker Volker Zimmermann vom Collegium Carolinum beschäftigt. Ein Gespräch.

Volker Zimmermann  (Foto: Archiv der Deutschen Forschungsgemeinschaft)
Herr Zimmermann, heute macht man es sich meist sehr einfach wenn man sagt: Deutsche und Tschechen haben immer friedlich zusammengelebt, dann kamen aber irgendwie Hitler, die Grauen des Zweiten Weltkriegs und schließlich die Vertreibung. Doch auch davor gab es Reibungspunkte…

„Das Kernproblem ist, dass die Mehrheit der Deutschen nicht hat eingegliedert werden wollen in die neue Tschechoslowakei. Es gab oft Beschwerden über zahlreiche Benachteiligungen, aber vor allem die Verletzung des sogenannten Selbstbestimmungsrechts. Geklagt wurde unter anderem über die Sprachgesetzgebung, das Schulwesen und darüber, dass zu wenige deutsche Beamte im tschechoslowakischen Staatsapparat waren. Es war ein ganzes Bündel von Beschwerden, das das Zusammenleben seit 1918 bestimmte. Natürlich gab es aber auch eine entsprechende Propaganda von tschechischen Nationalisten.“

Eine gewisse Zeit lang war die Parteienlandschaft bei den Sudetendeutschen sehr bunt – und damit die Unterstützung für den gemeinsamen Staat mal mehr oder weniger stark. Dann kam aber irgendwann die Sudetendeutsche Partei unter Konrad Henlein, und sie feierte unglaubliche Erfolge unter den Deutschen – immerhin konnte die Partei bei Wahlen bis zu 90 Prozent der sudetendeutschen Stimmen erringen und hatte zuletzt rund 1,3 Millionen Mitglieder. Was waren die Faktoren dieses Aufstiegs?

Sudetendeutschen in Liberec  (Foto: Wikimedia Commons,  Public Domain)
„Tatsächlich gab es am Anfang der Republik sogenannte aktivistische Parteien, die für eine pragmatische Zusammenarbeit waren. Ab 1926 gab es ja auch einige tschechoslowakische Minister aus den Reihen der Sudetendeutschen. Durch die Weltwirtschaftskrise wurde aber die deutschnationale Propaganda gegen die tschechoslowakische Regierung präzisiert, ihr wurde vorgeworfen, sich nicht genug um die deutschen Beschäftigten zu kümmern. Tatsächlich waren die deutsch besiedelten Gebiete prozentuell von Arbeitslosigkeit viel stärker betroffen. Ein weiterer Faktor des Erfolgs der Sudetendeutschen Partei war dann, dass die Propaganda sehr auf das Deutsche Reich ausgerichtet war. Da hieß es dann, dass es den Menschen dort viel besser ginge. Zusätzlich war ja die Rundfunkpropaganda des Deutschen Reiches insbesondere auf die Tschechoslowakei und die Sudetendeutschen ausgerichtet.“

Adolf Hitler und Konrad Henlein | Foto: Archiv des Deutschen Historischen Museums
Wenn wir schon beim Deutschen Reich sind. Welche Rolle spielten denn Deutschland und insbesondere Adolf Hitler im Hintergrund der Sudetendeutschen Partei?

„Die Sudetendeutsche Partei hatte 1935 einen bedeutenden Wahlsieg errungen und wurde von da an vom Deutschen Reich unterstützt. Das waren jetzt keine großen Summen, die Hilfe des Reiches blieb aber durchgehend und wurde mit der Zeit immer stärker. 1937 schreibt Konrad Henlein einen Brief an Hitler, dass die Krise im Sudetenland nicht mehr ohne eine Abtretung des Gebietes an das Deutsche Reich zu lösen sei. Im März 1938 empfängt Hitler Henlein schließlich persönlich und vereinbart mit ihm, zunehmend unerfüllbare Forderungen an die tschechoslowakische Regierung zu stellen. Man kann also sagen, dass ab spätestens März 1938 eine Eskalation in der Sudetenkrise betriebe wurde. Und das in enger Abstimmung des Deutschen Reiches mit der Sudetendeutschen Partei.“