Prolog: Aufbäumen der Sudetendeutschen
Mit Hitler im Rücken brachten die Sudetendeutschen 1938 den Nationalitätenkonflikt in der Tschechoslowakei zu einem Höhepunkt. Es war nicht nur der Prolog zum Münchner Diktat, sondern wie sich später zeigte insgesamt zu einer der größten Katastrophen des 20. Jahrhunderts.
Nach Aussage des Prager Militärhistoriker Karel Straka war die Eskalation im Herbst 1938 absehbar:
„Seit Anfang 1938 nahmen die Spannungen kontinuierlich zu, vor allem da es sowieso ein sehr unruhiges Jahr war. Erst war der Anschluss Österreichs im März, dann kam die Mai-Krise im politischen Prag. Das alles war begleitet von ununterbrochenen Drohungen und dauerndem Druck aus dem Deutschen Reich in Richtung Prag.“
Seit Gründung der Republik 1918 gärte es zwischen Tschechen und Deutschen, die über Nacht zur Minderheit geworden waren. Zwar waren separatistische und irredentistische Kräfte lange im Hintergrund, doch das änderte sich mit der Wirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre und der Machtergreifung Hitlers im Deutschen Reich 1933. Bis 1938 wurde gerade die Nationalitätenfrage das größte Problem der jungen Republik, wie auch der letzte tschechoslowakische Vorkriegspräsident Edvard Beneš in einer Rundfunkansprache zugab:„Ich wende mich mit meiner Ansprache an alle Tschechoslowaken und Deutschen bei uns und alle übrigen Bewohner dieser Republik. Ich rufe einen jeden Bürger dieser Republik an, unabhängig von seiner Nationalität. Noch nie war die Verantwortung eines jeden von uns größer. Seid ruhig und mutig und behaltet eure Nerven.“
1933 gründete Konrad Henlein die Sudentendeutsche Heimatfront, aus der später die Sudetendeutsche Partei wurde. Sie wird ab 1935 zur dominanten politischen Macht unter den Sudetendeutschen und immer lauter gegenüber der Zentralregierung in Prag. Bei Verhandlungen im Jahr 1938 kommt es zur Eskalation. Dazu Historiker Straka:
„Einige Tage vor dem 12. September gerieten die Verhandlungen des Präsidenten und der Regierung mit den Vertretern der Sudetendeutschen über ein neues Nationalitätenstatut ins Stocken. Die Strategie Hitlers im Hintergrund war, der Tschechoslowakei unerfüllbare Bedingungen zu stellen. Eine Ablehnung hätte dann einen Einmarsch legitimiert. Dieser Plan ging nicht auf, da sowohl die Regierung als auch der Präsident auf die Forderungen der Deutschen eingingen.“Tatsächlich interessierte Konrad Henlein die Einigung nicht mehr, für ihn war das eigentliche Ergebnis klar. Seit Monaten schon horteten Mitglieder der Sudetendeutschen Partei Waffen, Hitler schickte sie ihnen bereitwillig über die Grenze. Und am 12. September sollte die Bombe platzen, und zwar gleich nach der Rede Adolf Hitlers zur Lage in der Tschechoslowakei. Jindřich Marek ist Historiker am Militärhistorischen Institut in Prag:
„An dem Abend kam es zu Massendemonstrationen mit Fackeln, Pfiffen und Trommeln. Schnell pervertierte alles aber zu Terror gegenüber Tschechen, Juden und deutschen Antifaschisten. Schaufenster von tschechischen oder jüdischen Geschäften wurden eingeschlagen, es war wirklich eine heiße Nacht. Das war aber nicht alles. Am Morgen des 13. Septembers kam es zu bewaffneten Auseinandersetzungen, bei denen viele tschechische Wachtleute und Grenzer ihr Leben ließen.“
Im tschechischen Bewusstsein sind gerade das die eigentlich ersten Opfer des Zweiten Weltkriegs. Der sogenannte Henlein-Putsch wurde von tschechoslowakischen Verbänden niedergeschlagen und die Ordnung vorerst wieder hergestellt. Damals kommentierte das der Historiker Jan Slavík im Tschechoslowakischen Rundfunk so:„Unser Gewissen ist rein. Der demokratische Staat gewährt allen Völkern die in ihm leben die gleichen Rechte. Diejenigen, die aber jetzt Selbstbestimmung fordern, haben dazu keine moralische Legitimation. Und zwar solange nicht, solange sie nicht vor aller Welt gestehen, dass sie allen anderen Völkern die gleichen Rechte zugestehen, einschließlich dem Recht auf Leben.“