Strukturwandel verschlafen: Tausende Kumpel im Revier Ostrava bangen nun um ihren Job
Die Region Mährisch-Schlesien rund um die Industriestadt Ostrava / Ostrau ist mit dem deutschen Ruhrgebiet vergleichbar. Mährisch-Schlesien deckt fast den gesamten Roheisen-, Stahl- und Koksbedarf des Landes, doch die europäische Wirtschaftskrise und die weltweit fallenden Rohstoffpreise machen der Region zu schaffen. Analog zum Ruhrgebiet durchläuft das Gebiet derzeit einen Strukturwandel, doch Kritiker meinen, dass damit bereits zu lange gewartet wurde. Die Kohlekumpel müssen daher mehr denn je um ihren Arbeitsplatz fürchten – besonders jene, die in der Grube Paskov arbeiten.
„In der Grube Paskov wurden die Sprengungen zum Aufschließen neuer Flöze eingestellt. Deshalb fahren wir zurzeit nicht ein, sondern wir wurden für Transportarbeiten abgestellt.“
Die Grube Paskov wird von der Bergbaufirma OKD betrieben, die wiederum zum Förderunternehmen New World Resources (NWR) gehört. Und dieses Unternehmen hat akute Probleme: Im ersten Halbjahr 2013 machte NWR Verluste in Höhe von knapp 400 Millionen Euro. Zum gleichen Zeitraum des Vorjahres hatte die Firma noch einen Gewinn von 35 Millionen Euro eingefahren. OKD-Sprecher Marek Síbrt erläutert, welche Konsequenz die Firma daraus gezogen hat:„Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass es bei dem gegenwärtigen Kohlepreis unmöglich ist, die Grube Paskov noch längerfristig zu betreiben.“Der Finanzdirektor von NWR, Marek Jelínek, macht dazu folgende Rechnung auf:
„Die Grube Paskov fördert zwar Steinkohle von relativ hoher Qualität, allerdings zu Abbaukosten, die am heutigen Markt unhaltbar ist. Die durchschnittlichen Kosten unserer Firma für die Förderung von einer Tonne Kohle lagen im ersten Halbjahr 2013 bei 84 Euro, die Kosten für den Abbau in der Grube Paskov betrugen fast das Doppelte. Das sind Kosten, die in Zukunft einfach untragbar sind. Der Preis, für den wir die Kohle am Markt verkaufen, liegt bei etwas über 90 Euro für eine Tonne Koks. Wenn Sie diese Zahlen gegenüberstellen, dann können Sie sich leicht ausrechnen, welchen hohen Verlust wir durch die Grube Paskov haben.“
Einige der rund 3000 Bergarbeiter, die derzeit in diesem Schacht arbeiten, zweifeln daran, dass die Grube solch hohe Verluste macht. Die Mehrzahl der Kumpel aber macht sich Sorgen, wohin die im Frühjahr von der Firmenleitung getroffenen Sparmaßnahmen noch führen sollen:„Jeder hat schließlich so einige Verpflichtungen und auch seine Familie zu ernähren“, sagt einer der Kumpel. Steiger Zdeněk Urban, der vier Kinder hat, eine Hypothek abzahlen muss und gesundheitlich angeschlagen ist, gibt zu:
„Ich habe schon sieben Kilo abgenommen aufgrund der nervlichen Belastung.“Die Nerven bei den Kumpeln liegen vor allem deshalb blank, weil sie immer noch keinen neuen Kollektiv-Tarifvertrag haben. Rostislav Palička ist stellvertretender Vorsitzender des Gewerkschaftsfachverbands:
„Bei den Kumpeln ist die Stimmung deshalb mies, weil mehr oder weniger alles am Kollektiv-Tarifvertrag hängt. Der derzeit gültige Vertrag läuft zum Jahresende aus. Die Verhandlungen über den neuen Tarifvertrag haben im September vorigen Jahres begonnen und ziehen sich demnach schon ein Jahr lang hin. Die Unruhe ist da, weil wir immer noch nicht wissen, was wir aushandeln können und was letztlich in dem neuen Vertrag drin stehen wird.“
„Es geht darum, inwieweit der Staat eingreifen kann, um die Grube Paskov noch einige Zeit mit einer gemäßigten Förderung zu betreiben.“
Die Vorstellungen des Ministers gehen dahin, den Kohleabbau in Paskov nach Möglichkeit noch bis zum Jahr 2016 hinauszuziehen, damit die Bergleute kontinuierlich umgeschult und in anderen Berufen untergebracht werden können. Premier Jiří Rusnok indes trat schon mal auf die Euphoriebremse mit seiner Aussage, dass NWR eine private Firma sei und der Staat die Probleme nicht mit dem Zauberstab lösen könne. Man solle sich keinen Illusionen hingeben, denn die Sache werde sehr schmerzhaft, so der Ministerpräsident.
Das sieht das Unternehmen nicht anders. Den Vorgaben von NWR zufolge werde die Grube Paskov nur noch bis Ende 2014 betrieben und auch die Sparmaßnahmen sollen fortgesetzt werden. Aus gutem Grund, sagt OKD-Sprecher Síbrt:
„Mit der Durchsetzung dieser Maßnahmen werden wir allein in diesem Jahr voraussichtlich rund 100 Millionen Euro einsparen. Das sind mehr als zweieinhalb Milliarden Kronen.“Trotz der eindeutigen Einschätzung, dass die Grube Paskov für das Unternehmen NWR sehr unrentabel geworden ist, will Sprecher Síbrt noch nicht ganz ausschließen, dass für diesen Schacht keine Hoffnung mehr besteht:
„Dennoch ist eine endgültige Entscheidung über die Zukunft des Schachtes noch nicht getroffen worden. Sie wird aber in allernächster Zeit fallen. Der Möglichkeiten gibt es viele. Es kann zum Beispiel eine zeitweise oder dauerhafte Förderung mit beschränktem Limit sein. Aber dieser Entscheidung will ich wirklich nicht vorgreifen.“
Für die Bergleute indes steht fest, sie wollen so schnell wie möglich wissen, wohin die Reise geht. Gewerkschaftsfunktionär Palička erklärt, weshalb:„Jetzt geht es darum, auf zwei Fragen eine Antwort zu geben. Die erste Frage betrifft die Kumpel, die weitermachen wollen, und zwar in einer anderen Grube. Und die zweite Frage ist: Was wird aus den Beschäftigten, die den Bergbau verlassen wollen? Sollte in diesem Jahr womöglich nicht mehr verkündet werden, dass es mit einer beschränkten Förderung weitergeht, dann haben wir auch keinen Kollektivvertrag für das nächste Jahr. In diesem Falle entfallen auch alle sozialen Leistungen. Und das ist die größte Befürchtung, die die Bergleute in dieser Grube haben.“
Die Befürchtungen um den Verlust des Arbeitsplatzes und die damit verbundenen sozialen Einschnitte wären der Region Mähren-Schlesien wohl zum größten Teil erspart geblieben, hätte sie ihren fälligen Strukturwandel nicht verschlafen. Der Region drohe deshalb schon bald die schlimmste soziale Krise seit der Samtenen Revolution von 1989, vermuten Experten.