Tschechien unterstützt EU-Beitritt der Türkei – und Atompläne am Bosporus
Tschechien hat auf den ersten Blick nicht so viele Berührungspunkte mit der Türkei wie Deutschland. Doch der Besuch des türkischen Premiers Erdogan am Montag in Prag war ein hochrangiges politisches Ereignis.
Das Problem: Die Beitrittsverhandlungen stocken mittlerweile, sie waren 2005 aufgenommen worden. Ungelöste Fragen wie die des Rechtssystems, der Stellung der Kurden und des geteilten Zyperns haben eine gewisse Distanz geschaffen – zwischen Brüssel und Ankara. Diese Probleme klammerte Nečas bei der Pressekonferenz mit Erdogan aus, trotz Nachfrage von Journalisten.
Vielmehr schwärmte der tschechische Premier zusammen mit seinem türkischen Amtskollegen von den Möglichkeiten des gemeinsamen Handels:„Ich möchte betonen, dass sich unser gemeinsamer Handel in den vergangenen zehn Jahren mehr als versiebenfacht hat. Dennoch haben Premier Erdogan und ich heute klar festgestellt, dass wir uns damit nicht zufriedengeben können und auch nicht sollten. Es besteht ein riesiges Potenzial für einen weiteren Ausbau.“
Umgerechnet zwei Milliarden Euro betrug zuletzt das Handelsvolumen zwischen beiden Ländern. Mindestens das Doppelte sei aber möglich, glaubt Erdogan. Hintergrund ist auch der Boom der türkischen Wirtschaft, 8,5 Prozent Wachstum standen dort im Jahr 2011 zu Buche. Vor allem soll Tschechien bei der Modernisierung des Energiesektors helfen – angefangen bei Kohle-, über Gas- und Dampfturbinenkraftwerke, bis hin zur Gewinnung von Ökostrom. Aber auch die Hilfe beim Atomprogramm der Türkei ist angedacht. Dabei ist der Bau von Reaktoren umstritten, wegen der Erdbebengefahr im Land am Bosporus. Neben den wirtschaftlichen Kontakten wollen beide Seiten zudem den kulturellen Austausch intensivieren. Recep Tayyip Erdogan:„Ein wichtiger Schritt ist der Plan zum Bau eines türkischen Kulturzentrums in Prag, der unsere beiden Völker und ihre Menschen näher miteinander verbinden wird. Uns würde sehr freuen, wenn die Tschechische Republik auch ein Kulturzentrum bauen würde, das kann nach eigenen Erwägungen in Istanbul oder in Ankara sein.“
Während am kulturellen Austausch noch gebastelt wird, besteht schon gleich am Mittwochabend die Möglichkeit der sportlichen Annäherung. Dann bestreiten die Fußballnationalteams beider Länder ein Testspiel. Bezeichnenderweise findet das Spiel in Mersin statt - nahe der westtürkischen Stadt wird der erste Atomreaktor des Landes gebaut.