„Eigenartig schizophren“– Politologe Pehe über Präsidentschaftswahlkampf und Regierung
Zwei innenpolitische Themen dürften in Tschechien im Jahr 2013 am interessantesten zu verfolgen sein: die Präsidentenwahl und das Schicksal der Regierung von Petr Nečas. Das glaubt auf jeden Fall der Politologe Jiří Pehe, er ist Leiter der New York University in Prag. Ein Gespräch mit ihm.
„Ich halte das zumindest in der ersten Hälfte dieses Jahres für das wichtigste politische Ereignis hierzulande. Es könnte aus unterschiedlichen Gründen natürlich passieren, dass die Regierung stürzt. Dann würden vielleicht vorgezogene Neuwahlen ins Abgeordnetenhaus zum wichtigsten Ereignis in der tschechischen Politik werden. Aber derzeit ist die Präsidentenwahl ein sehr wichtiges Ereignis, schließlich wählen die Tschechen ja zum ersten Mal ihren Staatspräsidenten direkt. Dies bedeutet also einen Test dieses neuen Wahlverfahrens. Zudem sind die Aufgaben des Staatspräsidenten in der Tschechischen Republik zwar zu großen Teilen nur repräsentativ, dennoch hat er einige reale Vollmachten, die den Lauf der tschechischen Politik beeinflussen können. Darüber hinaus verfügt er in der politischen Kultur und Tradition des Landes über eine ungeschriebene Autorität, einen Einfluss, mit dem er grundlegend das Klima im Land ändern kann.“
Dass die Präsidentenwahlen zum ursprünglichen Termin stattfinden können, hat erst eine Entscheidung des Verfassungsgerichts ermöglicht. Sind damit in Ihren Augen alle Zweifel an der Wahl ausgeräumt?„Auf der einen Seite halt ich es persönlich für gut, dass das Verfassungsgericht die Wahl nun ermöglicht hat. Auf der anderen Seite scheint mir als Politologe das Durchführungsgesetz zu den Wahlen leider Ausschussware zu sein. Das Gesetz könnte in Zukunft Probleme bereiten und deswegen hatte ich als Politologe eher damit gerechnet, dass das Verfassungsgericht die Wahlen verschiebt und das Abgeordnetenhaus das Gesetz verbessert. Man könnte aber auch damit argumentieren, dass das tschechische Parlament nun fünf Jahre Zeit hat, um das Gesetz so umzuändern, dass es nicht mehr verfassungsrechtlich angefochten werden kann. Voraussetzung dafür ist, dass die Gerichte keine weiteren Beschwerden anerkennen. Als Hauptproblem sehe ich das Verfahren, mit dem die Wähler-Unterschriften gezählt werden. Diese Unterschriften müssen jene Kandidaten vorlegen, die nicht von Mandatsträgern politischer Parteien nominiert wurden. Dieses Verfahren muss verbessert werden.“
Wie finden Sie den Präsidentschaftswahlkampf bisher?„Die Wahlen oder besser die ganze Wahlkampagne ist für mich interessant, weil sie einige Züge des tschechischen Charakters aufdeckt. Es scheint, dass im tschechischen Denken eine eigenartige Schizophrenie herrscht. Auf der einen Seite sähen die meisten auf der Prager Burg gerne jemanden wirklich Perfekten. Also jemanden, der die Ambitionen des tschechischen Volkes erfüllt wie Jára Cimrman, das fiktive Genie. Auf der anderen Seite bewerben sich um das Amt Personen, von denen die meisten Tschechen sagen, diese hätten keine Qualität und sie wüssten nicht, wen sie wählen sollten. Hier besteht also ein eigenartiger Widerspruch zwischen der Realität und den Ambitionen – zwischen dem, was wir sind und wie das tschechische Volk gerne wäre. Das scheint mir das Interessanteste. Ansonsten erfüllt der Wahlkampf genau die Erwartungen, die ich an ihn hatte. Es gibt unterschiedliche populistische Versprechungen, persönliche Angriffe und – angesichts der nicht aufgearbeiteten tschechischen Historie – verschiedene Versuche, die Vergangenheit der Kandidaten im politischen Kampf zu missbrauchen.“
Die Regierung Nečas hat ein kritisches Jahr überstanden. Allerdings hat sie ihre Mehrheit im Abgeordnetenhaus verloren. Wie lautet Ihr Urteil über die Regierung?„Ich denke, die Regierung von Petr Nečas hat eine mehr als 50-prozentige Chance, die gesamte Legislaturperiode zu überstehen. Obwohl sie keine Mehrheit mehr im Abgeordnetenhaus haben, sind die drei Koalitionspartner durch ihren starken Überlebenswillen miteinander verbunden. Der Kitt ist umso fester, je deutlicher bei vorgezogenen Neuwahlen eine vernichtende Niederlage der Koalitionspartner erscheint, bei der mindestens eine der Parteien völlig von der politischen Bildfläche verschwinden würde. Hier wirkt ein Selbsterhaltungstrieb nicht nur der Parteien, sondern auch der jeweiligen Abgeordneten. Diese wissen, dass sie wohl nie mehr in die Politik zurückkehren könnten, falls sie abgewählt würden. Allerdings ist die tschechische Politik auch sehr unvorhersehbar, sie wird nicht nur durch rationale Faktoren beeinflusst. Das könnte trotzdem zu einem Sturz der Regierung führen. Bei jedem Mitglied dieser Regierung muss man irgendwelche Leichen im Keller vermuten und man weiß nicht, wann diese zutage kommen. Wenn das geschieht, entwickeln die Dinge ihre eigene Dynamik und die Regierung könnte stürzen. Allgemein möchte ich noch hinzufügen, dass die Regierung fast in einer tragischen Lage steckt: Sie hat keine Autorität, hat keinen Respekt und eigentlich auch keine Legitimation – denn sie ist eine Minderheitsregierung. Mittlerweile kann sie keine konzeptionelle Politik mehr führen, sondern nur noch hier und da flicken. Sie improvisiert also nur noch. Diese Art der Regierungsführung ist für die Tschechische Republik sehr unglücklich, und sie wird wohl leider bis 2014 anhalten.“
Wie viel Schuld trägt Petr Nečas selbst daran: Ist er ein schwacher Premier?„Premier Nečas ist persönlich wohl nicht korrumpiert oder hat sich nicht so wie andere die Finger schmutzig gemacht, aber leider ist er eher ein Politiker aus der zweiten Reihe. Er hätte sich sicher als Vize eines charismatischeren und politisch durchsetzungsfähigeren Premiers gut gemacht. Er selbst leidet darunter, dass er seine eigene Partei nicht unter Kontrolle hat. Er wird nur noch von einigen regionalen Gruppierungen an der Spitze seiner demokratischen Bürgerpartei gehalten, sie akzeptieren ihn in dieser Position, gerade weil er schwach ist. Zugleich wirkt er nicht wie ein wirklicher Premier. Formal ist er zwar Regierungsvorsitzender und haut auch ab und an auf den Tisch, wie zum Beispiel bei der Entlassung von Karolína Peake als Verteidigungsministerin, aber er verliert im Wettstreit mit Finanzminister Miroslav Kalousek. Der wirkt wie der eigentliche Premier. Diese Situation ist für Nečas sehr unvorteilhaft. Ich denke, dass Petr Nečas´ Tage in der Politik gezählt sind und er auch selbst seine politische Karriere auf gewisse Weise dann beendet, wenn die Regierung ihre Geschäfte abgeben wird.“