Superstar Jágr: Spieler sollten Fairplay nicht nur geloben, sondern auch zeigen
Der Eishockeyspieler Jaromír Jágr ist in Tschechien ein Idol. In seiner fast 25-jährigen Profikarriere hat er alle großen Erfolge erreicht. Er gewann das begehrte Triple – also Olympiagold, eine WM und den Stanley Cup (die WM und den Cup holte er schon zweimal) – sowie zahlreiche Einzel-Trophäen in Nordamerika und in der Heimat. Ganz besonders stolz aber machte Jágr seine Landsleute in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre, als er den großen Wayne Gretzky als besten Eishockeycrack der Welt ablöste. Als nun schon 40-Jähriger würde er jetzt immer noch in der NHL spielen – wenn es den Lockout nicht gäbe. Da der Tarifstreit in der besten Eishockeyliga der Welt noch nicht beigelegt ist, spielt Jágr derzeit in der tschechischen Extraliga für seinen eigenen Verein Rytíři Kladno. Aber auch hier macht der Superstar und Clubbesitzer von sich reden.
„Mich hat überrascht, was er gesagt hat. Wenn wir uns über die Schiedsrichter äußern, bekommen wir eine Geldstrafe… Ich weiß, dass Jágr in Vítkovice in Manndeckung genommen wurde, darüber ist man auch schon mal frustriert. Doch die Referees werden sich hier kaum ändern, damit muss man leben. Ich habe im TV-Bericht auch gesehen, wie er in Litvínov gefoult wurde. Vielleicht hätte man da auch einen Penalty pfeifen können. Solchen Attacken muss ich mich fast in jedem Spiel erwehren, ein Penalty wurde mir aber dafür schon seit drei Jahren nicht mehr zugesprochen.“
Nur wenige Minuten zuvor hatte Ton mit seinem Treffer zum 4:2 das Siegtor zum 6:3-Erfolg seiner Mannschaft über das Jágr-Team aus Kladno erzielt. Es war ein mitreißendes mittelböhmisches Derby, zu dem auch zwei gute Schiedsrichter beigetragen hatten. So jedenfalls sah es Marek Hovorka, der zweifache Torschütze vom Gastgeber aus Prag:„Wir wussten nicht, wie die Referees die Partie meistern würden, nachdem Jágr mit ihnen über die Medien ins Gericht gegangen ist. Ich denke aber, dass sie heute eine gute Figur gemacht haben.“
Weniger erfreut über den Spielausgang war natürlich Jaromír Jágr. Sein Team hatte gerade das dritte Spiel in Folge verloren und in einer Auswärtsbegegnung sogar die sechste Pleite in Serie kassiert. Als fairer Sportsmann suchte er aber gar nicht erst nach faulen Ausreden, sondern wurde deutlich:„Klar ärgert mich die Niederlage schon ein wenig. Aber das liegt an uns, wir haben sie selbst verschuldet. Wir begehen die Fouls, weil wir zu langsam sind. Den Schiedsrichtern habe ich heute nichts vorzuwerfen, denn alle fünf Zeitstrafen, die wir im ersten Drittel bekommen haben, waren berechtigt. Wir haben sie erhalten, weil wir uns schlechter bewegt haben als der Gegner.“
War die Kritik an den Referees nach dem Match in Vítkovice also nur ein Sturm im Wasserglas? Mitnichten. Jágr wollte mit seiner Aussage den Anstoß geben, darüber nachzudenken, wie man – analog zur NHL – gewisse Spielsituationen strenger ahnden sollte, um das Eishockeyspiel noch attraktiver zu machen. Mit anderen Worten: Mehr Freiraum für eine offensive Spielweise und konsequentere Bestrafung von Akteuren, die den Spielfluss mit Hilfe von vielen kleinen, versteckten Fouls unterbinden wollen. Vor den Prager Journalisten konkretisierte Jágr dann auch seine Meinung:„Es geht darum, dass einige Sachen gepfiffen werden, andere aber nicht. Ich will damit nicht sagen, dass die Regeln immer wieder anders ausgelegt werden, doch zu einigen Ungereimtheiten tragen auch die Spieler selbst bei. Ein paar von ihnen wissen sich oft nur durch Fouls zu helfen. Doch dann gibt es auch eine Gruppe von Spielern, die bei jeder Körperberührung gleich abhebt und filmreif zu Boden geht. Bei der Schnelligkeit unseres Spiels können diese Situationen aber oft nicht von den Schiedsrichtern eindeutig beurteilt werden. Ihnen steht keine Zeitlupe zur Verfügung, um schnell und klar zu entscheiden, ob das nun ein Foul war oder nicht. Für sie ist es schwer, doch das liegt an diesen Spielern. Sie wissen nämlich nur allzu gut, wenn sie hinfallen, dann pfeifen die Zuschauer und die Schiedsrichter werden dadurch beeinflusst. Es braucht also gegenseitigen Respekt, doch der fehlt leider ziemlich oft.“
Vor jeder Saison geloben die Spieler der Extraliga, dass sie trotz aller Härte und Unnachgiebigkeit im Punktekampf stets das Fairplay beachten werden. Dazu unterzeichnen sie symbolisch eine entsprechende Charta. Nach seinen mittlerweile wieder in der Extraliga gewonnenen Erfahrungen aber zweifelt Jágr daran, dass wirklich alle Spieler diese Charta auch ernst nehmen:„Ich weiß nicht, warum einige Spieler die Fairplay-Charta unterzeichnen, wenn sie dann in den Spielen häufig abheben und sich fallen lassen. Das ist doch überflüssig. Darin sehe ich das Hauptproblem.“
Knapp drei Monate spielt Jaromír Jágr aufgrund des NHL-Lockouts nun in der tschechischen Extraliga. Zeit genug also, um sich mit eigenen Augen ein Bild davon zu machen, wie es in der heimischen Liga zugeht, wo die Stärken und Schwächen des Wettbewerbs liegen und was man verbessern könnte. Und der 40-Jährige, der über reichliche Erfahrungen aus den internationalen Top-Ligen (NHL, KHL) verfügt, hält dann auch nicht mit seiner Meinung hinterm Berg. Im Gegenteil, auch im Wissen darum, dass seine Worte Gewicht haben, spricht er offen aus, was ihn bewegt. Andererseits aber betont er nochmals:
„Ich habe das alles nicht gesagt, um mir selbst zu helfen. Ich habe es gesagt, weil manches in der Liga bisweilen schon komisch ist. Doch das ist Sache der Liga und deren Leitung, dagegen werde ich nicht einschreiten. Manchmal ist es traurig, hier zu spielen, doch da kann man nichts machen.“Vielleicht schon, denn Jágrs Worte sind bereits auf Gehör gestoßen, sowohl bei Ligachef Josef Řezníček als auch bei Pavel Halas, dem Chef der Schiedsrichterkommission. Und Halas hat bereits angekündigt, dass er Jágrs Hinweise zu den Fouls gegen Spieler, die den Puck nicht führen, aufgreifen und in den Schiedsrichterlehrgang im Dezember einbringen werde. Řezníček wiederum gab bekannt, dass man Jágrs kritische Worte gegen die Schiedsrichter nicht mit einer Geldbuße belegen werde. Die Begründung: Jágr habe nicht gegen die Leistung von konkreten Referees in einem Spiel gewettert, sondern sich allgemein zur Situation geäußert. Und dabei habe er lediglich die Wettbewerbe in Nordamerika und Tschechien miteinander verglichen.
Die nordamerikanische NHL indes hat ihren Saisonstart noch immer nicht vollzogen. Für den Altstar, der bereits 18 Saisons in dieser Liga absolviert hat, ist das kein wirkliches Problem. Als Eigner und Spieler des Clubs Rytíři Kladno hat er stets eine Alternative. Dennoch würde Jágr gern noch sein Debüt bei den Dallas Stars geben, bei denen er im Sommer einen Ein-Jahres-Vertrag unterschrieben hat. Zum weiterhin ungelösten Streit der NHL-Clubbesitzer und der Spielergewerkschaft (NHLPA) sagte Jágr:
„Bei den Verhandlungen geht es vor allem darum, das die Eigner und die Spieler im übertragenen Sinne nicht aufeinander einhauen, sondern ihr Ego beiseite legen, um sich irgendwie zu einigen. Wir wissen aber selbst nur allzu gut, dass solch ein Streit kein Einzelfall ist, sondern im Leben immer wieder vorkommt. Zum Beispiel in einer Ehe, wenn sich beide Partner streiten über ein vergleichsweise kleines Problem, sich aber darauf nicht verständigen können. Und dasselbe passiert jetzt gerade in der NHL.“
Es ist der dritte Lockout in der ruhmreichen Liga binnen 18 Jahren. Alle drei hat Jágr mitgemacht. Ob die diesjährige Aussperrung doch noch ein gutes Ende nimmt, ist weiter ungewiss. Am Montag hat die NHL-Kommission erst einmal weitere Spiele abgesagt, und zwar bis zum 30. Dezember des Jahres. Das ist für die Betroffenen eine schlechte Nachricht, für die Fans der Extraliga jedoch nicht. Denn sie können sich darüber freuen, dass ihr Idol Jaromír Jágr auch über die Weihnachtsfeiertage hinaus noch in Tschechien seine Kreise ziehen wird.