Die gesamte Geschichte von Theresienstadt: Interview mit der Buchautorin Uta Fischer

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Wer Theresienstadt oder Terezín hört, denkt zuerst an das Ghetto beziehungsweise an das KZ. Dieser traurigste Teil in der mehr als 200-jährigen Geschichte des Ortes reicht allein für eine eigene Darstellung. Die beiden Journalisten Uta Fischer und Roland Wildberg haben nun aber die gesamte Historie von Theresienstadt in einem Buch dargestellt – von der Gründung der Festung, die am Reißbrett entworfen wurde, bis zum Hochwasser im Jahr 2002. Es ist das erste Buch seiner Art auf Deutsch und heißt „Theresienstadt – eine Zeitreise“. Dazu ein Interview mit Uta Fischer.

Roland Wildberg und Uta Fischer  (Foto: Wildfisch)
Frau Fischer, Sie haben zusammen mit dem Journalisten Roland Wildberg ein Buch über Theresienstadt geschrieben. Sie konzentrieren sich dabei nicht ausschließlich auf die Nazi-Zeit, sondern stellen die gesamte Geschichte des Ortes bzw. der Festung dar. Wie sind Sie zu diesem Thema gekommen?

„Die Entstehung des Buchs hat eine lange Vorgeschichte. Vor ungefähr 14 Jahren habe ich als Studentin an einem Workshop für Stadtplaner teilgenommen. Die Begegnung mit dem Ort und seiner Geschichte war für mich sehr prägend und letztlich auch wegweisend. Ich habe mich dann zunächst im Rahmen meiner Diplomarbeit mit der Problematik der Konversion in Terezín beschäftigt, also der Umnutzung der militärischen Liegenschaften vor Ort. Und später habe ich dann im Auftrag Planungen für die Umnutzung von Kasernen in Terezín erarbeitet. Am Ende entstand dann die Idee zum Buch, das nun vorliegt.“

Und an wen richtet sich Ihr Buch?

„Natürlich an jeden, der sich grundsätzlich für die Geschichte Theresienstadts interessiert. Speziell würde ich aber sagen, ich empfehle es sehr Dozenten und Lehrern, die eine Reise oder eine Studienfahrt nach Terezín vorbereiten, aber auch für den Aufenthalt vor Ort. Das Buch hat zwei Aspekte. Das eine ist Geschichtsbeschreibung, und das andere ist das Herzstück des Buches: Es sind zwei Spurensuchen. Diese konzentrieren sich einmal auf die Geschichte der Festungszeit und zum anderen auf die Zeit des Ghettos. Mit den Kapiteln Spurensuche kann man dann vor Orte eine Menge entdecken und erfahren. Das geht über trockene Geschichtsberichterstattung hinaus, weil wir einen sehr großen Schwerpunkt darauf gelegt haben, dies so anschaulich wie möglich zu machen, damit man wirklich ein Gespür, eine Ahnung bekommt, wie das Leben dort war und was dort stattfand.“

Friedrich II.
Wenn wir chronologisch vorgehen: Theresienstadt war zuallererst eine Festung. Warum entstand sie und warum an diesem Ort in Böhmen?

„Ich muss dafür ein bisschen ausholen. 1740 kam in Preußen Friedrich II. an die Macht, und schon sechs Monate nach seiner Krönung annektierte er die österreichische Provinz Schlesien. Das war der erste von drei Kriegen um die Vorherrschaft. In diesen Schlesischen Kriegen hatten die Habsburger immer ein Problem: Sie konnten die Preußen an der Grenze nicht aufhalten. Die Preußen sind also jedes Mal jeweils auf den gleichen Wegen ins Landesinnere vorgedrungen und dann weiter nach Prag und Wien marschiert. Als dann 1762 Maria Theresia Schlesien abtreten musste, stand fest, dass etwas passieren musste. Nun war aber die Staatskasse leer, und es entbrannte zunächst ein langjähriger Federkrieg der Generäle darüber, wie man jetzt das Verteidigungssystem in Böhmen verbessern könnte. Irgendwann kam Josef II. mit ins Spiel, er war 1765 Mitregent geworden. Er setzte sich vehement für eine Reformierung auch des Verteidigungssystems im Habsburger Reich ein - und vor allem in Böhmen. Es wurde dann entschieden, die Festung Königgrätz zu modernisieren, aber auch zwei komplett neue Festungen zu bauen. Das war zu dieser Zeit einmalig, in Europa gibt es keine vergleichbare Entscheidung oder Realisierung solcher Neubauten. Eine der neuen Festungen war jedenfalls Theresienstadt. Ihr wurde eine spezielle strategische Bedeutung zuteil, weil sie nämlich direkt an der Fernstraße Dresden-Prag lag und außerdem noch an der Elbe-Eger-Schleife. Die Preußen haben damals die Fernstraße als bequeme Passage benutzt und haben zudem noch Munition und Kanonen als Nachschub auf der Elbe ins Landesinnere transportiert. Und das sollte sich nicht mehr wiederholen.“

Aber die Festung hat ja den Ernstfall nie erlebt. Warum sind die kriegerischen Auseinandersetzungen des 18. und 19. Jahrhunderts an Theresienstadt vorbeigegangen?

„Die Festung Theresienstadt, aber auch die anderen Festungen in Böhmen, waren 20 Jahre nach der Fertigstellung im Prinzip bereits veraltet. Die Waffentechnik und die Strategie hatten einfach gewaltige Fortschritte gemacht, und die kriegerischen Auseinandersetzungen spielten sich damals in der Regel bereits außerhalb von Festungen ab. 1866 gab es praktisch nur ein kleines Scharmützel, obwohl die Festung in den Verteidigungszustand gebracht wurde. Die Infrastruktur und die Straßen waren bereits so weit entwickelt, dass die Soldaten bereits über andere Wege an der Festung vorbeizogen.“

Festung Theresienstadt
Wie viel ist heute noch vom ursprünglichen Festungsbau noch zu sehen, und was macht die Festung besonders?

„Die Festung Theresienstadt ist ein Glücksfall, weil sie nahezu vollständig erhalten ist. Das gilt nicht nur für die Festung an sich, sondern auch für die in die Festung eingebettete spätbarocke Idealstadt. Es ist ein einzigartiges Beispiel für die Ingenieur-Baukunst des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Zu der Festung gehören zwei ganz besondere Elemente: ein unterirdisches Minensystem mit einer Gesamtlänge von 29 Kilometern als zusätzlicher Schutz und ein ausgetüfteltes Schleusensystem, das ungefähr zwei Drittel der Festung schützen sollte. Dafür war es notwendig, ein komplett neues Flussbett anzulegen. Wer heute in Terezín auf der Brücke über die neue Eger steht, der wird sich kaum vorstellen können, dass sie über ein vier Kilometer langes, völlig neu angelegtes Flussbett führt. In die neue Brücke wurde eine Hauptschleuse integriert, um das Wasser stauen zu können. Das gestaute Wasser ließ sich dann über ein kompliziertes Schleusensystem, das zum Teil unterirdisch ist, in die Gräben der Festung leiten. Aber auch große Flächen außerhalb der Festung konnten geflutet werden. Damit sollte der Feind schon weit außerhalb der Festung gestoppt werden. Nur auf der Seite, auf der sich das Wasser zu Verteidigungszwecken nicht einsetzen ließ, wurde ein unterirdisches Minensystem eingerichtet. Und das ist auch noch fast vollständig erhalten.“

Gavrilo Princip
Theresienstadt kennt man auch als Gefängnis, spätestens als die Gestapo es nutzte. Welche Personen wurden aber vor der NS-Zeit dort inhaftiert?

„Da fällt mir vor allem der berühmteste dortige Häftling ein: Gavrilo Princip, der ja verantwortlich gemacht wurde für das Attentat von Sarajevo. Er saß in Theresienstadt zusammen mit zwei weiteren Mittätern ein. Der Haft war ein Gerichtsverfahren vorausgegangen, in dem er praktisch zu 20 Jahren Festungshaft begnadigt wurde. Ursprünglich sollte er nämlich zum Tode verurteilt werden. Seine Zelle in Theresienstadt ist bekannt, es ist die Zelle Nummer drei. Man muss sich das vorstellen: Die Zelle war feucht, kalt und dunkel, und an seinem Fuß war eine 20 Kilogramm schwere Eisenkugel angebracht. Er konnte sich also auch überhaupt nicht bewegen. Unter diesen Bedingungen erkrankte er an Tuberkulose und starb dann auch. In dieser Zeit, dem Ersten Weltkrieg, war die kleine Festung aber auch ein Lager für Kriegsgefangene. Und die Geschichte des Gefängnisses setzt sich bis 1948 fort.“

Am häufigsten wird der Name Theresienstadt mit dem Ghetto verbunden, das die Nazis in dem Ort einrichten ließ. Im vergangenen Jahr war der 70. Jahrestag des ersten Transports von Juden aus Prag nach Theresienstadt. Sie haben sich dem Thema unter anderem auch mit Porträts von Opfern und Tätern genähert. Gibt es ein Schicksal, das Sie besonders bewegt hat?

„Ja und nein. Roland Wildberg und ich haben im Laufe der Recherche natürlich über viele Schicksale gelesen – und jedes für sich geht einem irgendwo nahe. Aber ich möchte jetzt kein spezielles herausheben. Besonders nahe geht mir aber eine Häftlingsgruppe: die Alten, die ab 1942 ins Ghetto kamen. Sie kamen in der Regel aus Österreich und Deutschland. Über ihr Schicksal ist nur wenig bekannt, es gibt kaum Aufzeichnungen, aber man weiß um die Lebensbedingungen vor Ort. Da das Ghetto damals ja ohnehin schon total überfüllt war, mussten sie notgedrungen auf den Dachböden untergebracht werden. Dort gab es keine Isolierung, keinen Schutz vor Kälte wie auch vor Sommerhitze, kein Licht, kein Wasser, es gab nicht einmal Matratzen. Dort lebten sie also zusammengepfercht, es gab Unmengen von Ungeziefer, die Krankheiten grassierten extrem schnell, und viele starben dort innerhalb kürzester Zeit. Man muss dazu sagen, dass diese Menschen ja eine Reise angetreten hatten, um in einen Kurort zu kommen. Viele hatten geglaubt, dass sie in Theresienstadt ohne Repressionen einen ruhigen Lebensabend verbringen können und waren dann umso schockierter, als sie wahrnehmen mussten, was dort wirklich los ist.“

Magdeburger Kaserne in Theresienstadt  (Foto: Hans Weingartz,  Creative Commons 2.0)
Sie haben, wie Sie gesagt haben, ja Spurensuche betrieben, und das macht auch einen wichtigen Teil Ihres Buches aus. Was kann man denn in Theresienstadt heutzutage noch aus der Zeit des Holocaust erkennen?

„Theresienstadt war ein besonderer Fall als Lager. Denn wir haben es ja nicht mit einer klassischen KZ-Architektur zu tun wie zum Beispiel in Sachsenhausen, wo ein neues Lager dafür errichtet wurde. Theresienstadt ist eine Stadt gewesen, die zwangsausgesiedelt und dann zu einem riesigen Gefängnis wurde. Diese Spuren sind alle noch da, weil die Stadt ja noch existiert. Das heißt, es gibt auch noch die Gebäude, in denen die Menschen lebten, in denen sie litten. Ich hatte das große Glück, dass ich in manche Gebäude gehen konnte, sowohl in Kasernen, als auch in Bürgerhäuser. Es ist unglaublich, was dort noch zu finden ist: Verschläge, Nägel, Porzellanisolatoren, ganz wunderbare Wandmalereien, die zum Teil offenbar von Künstlern stammen. Das bleibt natürlich ein gewisses Geheimnis, weil nicht jeder Besucher, der nach Theresienstadt kommt, diese Sachen sehen kann. Aber man sollte wissen, dass das alles noch da ist.“

Autor: Till Janzer
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