Alles oder Nichts: Kampf unter den führenden Staatsanwälten Tschechiens
Das tschechische Justizwesen befindet seit langem in einer tiefen Krise. Das ist hinlänglich bekannt. Doch wohl nichts zeigte die Tiefe der Abgründe besser, als der jüngste, öffentlich ausgetragene Streit an der Spitze der Staatsanwaltschaft.
Wenige Stunden später lud auch der Oberste Staatsanwalt des Landes, Pavel Zeman, zu einer Pressekonferenz und warf wiederum Rampula vor, mit seinem Gang an die Öffentlichkeit laufende polizeiliche Ermittlungen gefährdet zu haben:
„Ich befürchte, dass Herr Rampula zum erwähnten Zeitpunkt seine persönlichen Interessen, wie zum Beispiel weiterhin die Oberstaatsanwaltschaft leiten zu können, über jene der Staatsanwaltschaft als Ganzes gestellt hat. Das Gleiche betrifft auch das Interesse, die Gerechtigkeit in diesem Land zu bewahren und zudem jene Prinzipien, auf denen das System der Staatsanwaltschaft und generell der Ermittlungsbehörden aufgebaut sind.“Kritisch äußerte sich auch die Präsidentin der Union der Staatsanwälte, Lenka Bradáčová, die insbesondere auf das schiefe Bild verwies, das der Skandal in der breiten Öffentlichkeit produzieren könnte:
„Diese ganze Situation ist natürlich sehr unangenehm. Ich bin mir dessen bewusst, dass das in der breiten Öffentlichkeit für uns einen Gesichtsverlust darstellen könnte. Das gilt auch für unsere Partner, wie die Gerichte und die Polizei, für die wir sehr unglaubwürdig wirken dürften. Dafür ausschlaggebend sind jedoch Schritte von Einzelpersonen, in diesem Fall von Herrn Rampula. Ich bin fest davon überzeugt, dass ein Staatsanwalt solch schwerwiegende Vorwürfe normalerweise nicht öffentlich präsentieren sollte, um somit laufende Ermittlungen nicht in Gefahr zu bringen. Ich meine auch, dass man in einer vergleichbar hohen Funktion natürlich Instrumente zur Verfügung hat, mit denen man rechtzeitig an wichtige Informationen herankommen kann – egal, um welche Person es sich dabei konkret handelt.“
Der Konflikt zwischen Rampula und Zeman begann bereits kurz nach der Ernennung Zemans zum neuen Obersten Staatsanwalts des Landes, Anfang vergangenen Jahres. Damals bezeichnete Zeman es als seine wichtigste Aufgabe, die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft zu wahren, die in der Vergangenheit in mehreren Fällen nicht die notwendige Distanz zur Politik gewahrt hatte. Zu den bekanntesten Fällen gehört der Fall des einstigen tschechischen Vizepremiers Jiří Čunek, der unter Korruptionsverdacht stand. Die Ermittlungen gegen ihn gefährdeten damals den Fortbestand der Minderheitsregierung von Premier Mirek Topolánek. Die Vorgängerin Zemans entzog den Fall dem zuständigen Staatsanwalt, der willens war, den Fall bis zur Erhebung einer Anklage zu Ende zu führen, und ließ die ganze Angelegenheit einfach an einen anderen Staatsanwalt übermitteln. Kurze Zeit später entschied dieser dann, die Ermittlungen einzustellen. Zu den in der Vergangenheit kritisierten Staatsanwälten gehörte auch der Prager Oberstaatsanwalt Vlastimil Rampula. Er wird für Verzögerungen bei Fällen verantwortlich gemacht, die aus politischer Sicht als heikel galten, weil sie nicht zuletzt auch die Frage nach der politischen Verantwortlichkeit stellten. Zeman beantragte bereits im Frühjahr vergangenen Jahres Rampulas Suspendierung, die der zuständige Justizminister Jiří Pospíšil nach anfänglichem Zögern auch vollzog. Rampula legte allerdings Berufung gegen diese Entscheidung ein, bekam vergangene Woche Recht und konnte in sein Amt zurückkehren.Die öffentliche Eskalation des Konflikts am vergangenen Freitag bildete somit einen vorübergehenden Höhepunkt des Streits an der Spitze der tschechischen Staatsanwaltschaft. Längst hat natürlich der Streit innerhalb der Justizbehörden des Landes auch eine politische Dimension erhalten. Besonders unter Druck steht dabei Justizminister Jiří Pospíšil. Einerseits wird ihm vorgeworfen, die Suspendierung Rampulas nicht ausreichend genug begründet zu haben und somit dessen Erfolg bei der Berufungsinstanz ermöglicht zu haben. Zum anderen gibt es aber auch Kreise innerhalb Pospíšils Partei, der Demokratischen Bürgerpartei (ODS), die befürchten, der neue Wind in der Staatsanwaltschaft und das Aufrollen alter Fälle, wo Vetternwirtschaft und Korruption im Spiel waren, könnte ihre eigene Position gefährden. Es wird sogar spekuliert, Premier Petr Nečas könnte aus Gründen der Parteiraison versuchen, Pospíšil als Minister zu entlassen.
Die Kommentatoren der tschechischen Medien gehen mit den Zuständen im Bereich des Justizressorts hart ins Gericht. Der Publizist Jan Urban gegenüber dem Tschechischen Rundfunk:
„Diese ganze Komödie ist der Tiefpunkt im langsamen Niedergang des Prestiges und der Qualität der tschechischen Justiz. Die Oberstaatsanwaltschaft in Prag ist schon seit vielen Jahren das schwächste Glied im ganzen System, und selbst wenn man in vielerlei Hinsicht Justizminister Pospíšil kritisieren kann: In dieser Frage hat er Recht.“
Für die allzu enge Verbindung zwischen einigen Vertretern der Justiz und hochrangigen Politikern des Landes wird seit Jahren der Terminus „Justizmafia“ gebraucht. Diesen Begriff führte die frühere Oberste Staatsanwältin Marie Benešová ein, die von den betroffenen Staatsanwälten und Richtern einst sofort wegen Ehrenbeleidigung verklagt wurde. Ein Gericht gab ihr jedoch später recht. Diese informelle Gruppe hat es laut Jan Urban nach wie vor in der Hand, ob sich die Situation im Justizwesen in absehbarer Zeit zu einem Besseren wenden wird oder nicht:
„Die Frage ist, ob die Justizmafia immer noch stark genug ist und volle politische Unterstützung genießt, um die Veränderungen zu stoppen, die der Oberste Staatsanwalt Zeman mit der Unterstützung von Minister Pospíšil eingeleitet hat.“