Chefredakteur Gerald Schubert über das Jahr 2011 bei Radio Prag
Das Jahr 2011 war für Radio Prag nicht nur ein Jubiläumsjahr. Zwar feierte unser Sender sein 75-jähriges Bestehen, aber kurz zuvor mussten wir bei uns die Kurzwelle ausschalten. Was das alles mit sich gebracht hat, wie sich die Änderungen letztlich bei uns ausgewirkt haben und welches die Aussichten für 2012 sind, dazu Radio-Prag-Chefredakteur Gerald Schubert in einem bilanzierenden Interview zum Jahreswechsel.
„Ein einfaches Jahr war es sicher nicht. Wir hätten natürlich gerne die Kurzwelle behalten. Wir wissen, dass viele Hörerinnen und Hörer der Kurzwelle stets die Treue gehalten haben. Wir wissen auch, dass es Weltgegenden gibt, in die man einfach über die Kurzwelle immer noch am besten senden kann. Aber trotzdem muss man auch ehrlich sein: Die Entwicklung hat nicht nur eine finanzielle Seite, die Kurzwelle war vor allem ein dominantes Medium des Kalten Krieges, ein Propagandainstrument, über die Grenzen und den Eisernen Vorhang hinweg - und der Kalte Krieg ist glücklicherweise vorbei. Die Kurzwelle ist zudem ein Medium, das durch die Entwicklungen im Bereich der Computertechnik und vor allem durch das Internet extrem in die Defensive geraten ist. Viele Hörer sind da mit uns auch mitgegangen, haben sich mit einem, vielleicht auch zwei weinenden Augen von der Kurzwelle verabschiedet, wenigstens was Radio Prag betrifft, und verfolgen uns jetzt im Internet oder über andere Kanäle wie Satellit. Wir wissen das aus diversen Hörerreaktionen und aus Briefen, die wir glücklicherweise immer noch bekommen. Und dann gibt es auch immer neue Applikationen für Mobiltelefone, für alle Betriebssysteme. Das ist ja mittlerweile in diversen Ländern der Welt bereits gut finanzierbar: Mit einer Flatrate kann man relativ kostengünstig oder ohne finanziellen Mehraufwand die Sendungen von Radio Prag auch über diese mobilen Apps hören. Das ist durchaus ein Fortschritt in der Qualität. Schwierig war, um zu dem Begriff schwarzes Jahr zurückzukommen, sicher der Abschied von Kollegen. Das hat erstens eine menschliche Dimension, wenn man sich von Leuten verabschieden muss. Und natürlich gibt es auch erschwerte Bedingungen für unsere Arbeit: Den gewohnten Service mit viel weniger Mitarbeitern weiter zu bieten, das ist doch eine harte Nuss, und wir stoßen da schon an unsere Grenzen. Ich hoffe trotzdem, dass wir ein zufriedenstellendes Programm machen, und glaube auch, dass uns das gelungen ist.“
Unser Angebot verbreiten wir mittlerweile fast nur noch über das Internet. Wie sah in diesem Jahr die Entwicklung im Internet aus: Sind die Zahlen bei uns nach oben gegangen?„Eine der wichtigsten Zahlen ist wohl die der angeklickten Beiträge pro Monat. Wir erstellen diese Statistiken immer im Monatsrhythmus. Die Zahlen vom Dezember 2011 haben wir jetzt noch nicht, aber die Zahlen vom November 2011. Die kann man dann mit November 2010 vergleichen. Vergleichsmonate sind immer wichtig, weil das Nutzerverhalten im Dezember zum Beispiel wegen der Weihnachtsfeiertage ganz anders ist als im November. Die Novemberzahlen zeigen, dass sich zwischen 2010 und 2011 nichts geändert hat. Die Zahl der angeklickten Beiträge in allen sechs Sprachen lag da ziemlich stabil bei 1,6 Millionen pro Monat. Die deutsche Redaktion hat sich im selben Zeitraum ein bisschen verbessert: von 245.000 auf 260.000. Gleichzeitig muss ich sagen, dass nicht alles, was über das Internet passiert, mit dieser Methodik zu messen ist. Da gibt es zum Beispiel neue Formen des Streams. Der Tschechische Rundfunk, dem wir ja angehören, hat auf seiner Webseite www.rozhlas.cz einen neuen Live-Player, über den auch das Programm von Radio Prag zu hören ist. Über diesen Player des Rundfunks werden auch alle Handy-Apps, von denen ich vorher gesprochen habe, gespeist. Egal also über welches Betriebssystem, über welches Handy oder welchen Handytyp man nun Radio Prag hören würde, das läuft alles über diesen internen Player des Tschechischen Rundfunks. Und diese Zugriffe erfasst unsere Statistik gar nicht, weil wir nur die Klicks auf unseren Webseiten www.radio.cz messen. Es gibt da also so einen Graubereich. Und ich nehme mal an, dass es da eine positive Entwicklung gibt, denn der Player ist ja ganz neu.“
Wir werden immer wieder gefragt, ob Radio Prag nicht vielleicht doch irgendwann zur Kurzwelle zurückkehrt. Wie sieht zu Ende dieses Jahres die Lage aus? Gibt es ein Bedauern über die Einstellung der Kurzwelle, und gibt es eine Hoffnung auf eine Erneuerung. Oder sind die Zeiten definitiv vorbei?„Ich würde zunächst sagen, was Radio Prag betrifft, so hängt das in erster Linie von der Entwicklung des Budgets ab. Ob es solche Budget-Zuflüsse gibt, die uns ermöglichen würden, die Kurzwelle wieder aufzunehmen und neu finanzieren, das weiß ich nicht. Das müsste mit Zuwächsen im Budget einhergehen, die wohl bei der heutigen Wirtschaftslage nicht nur in Tschechien, sondern in ganz Europa und in weiten Teilen der Welt nicht wirklich wahrscheinlich sind. Technisch gesehen hängt das vom weiteren Schicksal des Senders in Litomyšl ab, über den wir immer gesendet haben. Der gehört einer Firma namens České radiokomunikace, und wir waren die einzigen, die über den Sender gesendet haben. Seitdem wir die Kurzwelle abgestellt haben, liegt der Sender dort brach. Und die Frage ist, ob die Firma České radiokomunikace überhaupt noch Willens und in der Lage ist, den Erhalt dieser Sendeanlage zu finanzieren. Die steht in der Landschaft herum, ist groß, muss gewartet werden, und es wäre nicht der Sender, der abgebaut würde, weil dies kostengünstiger wäre als ihn zu erhalten. Auf der anderen Seite ist die Kurzwelle aber noch nicht ganz gestorben aus unserer Sicht. Wir haben zum Beispiel noch Re-Broadcaster im Kurzwellenbereich. Da gibt es Radio Miami, das unser Programm täglich auf Englisch und auf Spanisch rebroadcasten – also das Programm vom Internet übernimmt und dort über ihre Kurzwellenfrequenzen für Nordamerika und Südamerika ausstrahlt. Ähnliches macht auch der Auslandssender des Spanischen Rundfunks, der wohl ein bisschen ein anderes Konzept hat als wir, weil Radio Prag ja eigentlich nur darüber sendet, was in Tschechien passiert. Der Auslandssender des Spanischen Rundfunks hat aber ein breiteres Programm, informiert unter anderem auch über Tschechien und übernimmt zum Beispiel über seine Kurzwellenfrequenz unsere russische Sendung. Das Schicksal der Kurzwelle ist aber auch ganz allgemein interessant, also nicht nur bei Radio Prag, sondern weltweit. In der Mediengeschichte gibt es Theorien, dass Medien nie sterben, sondern immer nur durch neue Medien modifiziert werden. Im Bereich der Kurzwelle ist die Frage, ob sie überhaupt ein Medium ist oder doch nur eine Verbreitungstechnologie. Ich glaube, die Antwort liegt irgendwo in der Mitte. Zwar ist die Kurzwelle in erster Linie eine Verbreitungstechnologie, aber sie hat durchaus Auswirkungen auf die Hörgewohnheiten. Der Kurzwellenhörer schaltet ja zu einer bestimmten Zeit ein, wenn er weiß, dass auf einer bestimmten Frequenz eine bestimmte Sprache aus einem bestimmten Land kommt. Das unterscheidet sich doch schon sehr von den klassischen Radiohörgewohnheiten, wenn beim Frühstück oder im Auto Popmusik, Verkehrsmeldungen, der Wetterbericht, Nachrichten und meinetwegen auch Features gehört werden. Dieses andere Nutzerverhalten dürfte wohl eher nicht von heute auf morgen sterben. Da ist das Interesse seitens vieler Hörer immer noch sehr groß.“
Wie steht es um die Zukunft von Radio Prag: Sind im kommenden Jahr neue Kürzungen im Budget zu befürchten?„Vermutlich nicht. Nach unseren bisherigen Informationen bleibt das Budget gleich. Das beinhaltet eine gute und eine schlechte Nachricht. Die schlechte Nachricht deswegen, weil wir uns erhofft haben, dass vielleicht sogar noch etwas dazukommt. Das dürfte nicht so sein, aber nachdem, was wir bisher gehört haben, wird auch nichts gestrichen. Und das ist die gute Nachricht: Ein stabiles Budget ist in Zeiten wie diesen schon einmal etwas. Da können wir zumindest mit einer stabilen Entwicklung für 2012 rechnen und auch dahingehend planen.“
Plant Radio Prag denn zum Beispiel Neuerungen im Jahr 2012?„Wenn die Entwicklung budgetär stabil bleibt, dann haben wir die Möglichkeit, uns auch wieder auf andere, auf inhaltliche Neuerungen zu konzentrieren. Da würde ich zum einen nennen, dass es die Neuerung bei den Rubriken, die es bei Radio Prag ja immer gegeben hat, auch weiterhin geben muss. Das ist jetzt ein bisschen anders geworden, denn durch den Wegfall der Kurzwelle ist das Problem mit Winter- und Sommerzeit nicht mehr so interessant, die halbjährlichen Programm-Flyer müssen nicht mehr herausgegeben und jedes halbe Jahr erneuert werden. Das war immer ein Impetus für uns, uns zu überlegen, ob wir manche Rubriken streichen und durch andere ersetzen wollen. Das müssen wir nun aber weiterhin tun, auch wenn es diesen Halbjahresrhythmus nicht mehr zwingend gibt. Außerdem haben wir in letzter Zeit mit Videoprojekten begonnen, also manche Interviews im Studio mit Video aufzunehmen. Damit experimentieren wir gerade ein bisschen, wir werden uns ansehen, wie das bei den Hörerinnen und Hörern oder bei den Besuchern unserer Webseite ankommt und vielleicht auch in dieser Richtung weitere Projekte entwickeln. Und nicht zuletzt: Vor einigen Jahren haben wir ja ein Hörspiel von Václav Havel in deutscher Sprache aufgenommen haben, das wir jetzt anlässlich des Todes von Havel wieder im Internet präsentiert haben. Später haben wir ein anderes Hörspiel produziert: „Weg“, auf Tschechisch „Pryč“ von Miroslav Bambušek, das die Vertreibung der deutschen Zivilbevölkerung aus der Tschechoslowakei nach dem Zweiten Weltkrieg zum Thema hat. Beide Hörspiele sind gut angekommen, wir haben sie auch immer wieder im Ausland präsentiert, nicht nur auf unseren Internetseiten und in unseren Sendungen, sondern auch in Tschechischen Zentren im deutschsprachigen Ausland, auf diversen Theaterfestivals und so. Und ich glaube, es ist Zeit, mal wieder etwas Neues zu machen. Wir werden uns überlegen, welche dramatische Produktion im Jahr 2012 unseren Hörerinnen und Hörern bieten können.“