Beuron in Prag: Die Geschichte der Benediktinerinnen von St. Gabriel

Kirche St. Gabriel (Foto: Kristýna Maková)

Die tschechische Hauptstadt Prag ist durch unzählige Baudenkmäler aus verschiedenen Epochen bekannt geworden. Eine Sonderstellung hat dabei die Kirche St. Gabriel im Stadtteil Smíchov. Sie wurde gemäß der so genannten „Beuroner Kunstschule“ in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gestaltet und gehört zu den wertvollsten Sehenswürdigkeiten in Europa im Beuroner Stil.

Kirche St. Gabriel  (Foto: Kristýna Maková)
Die Klosterkirche St. Gabriel ist vollständig im Stil des schwäbischen Klosters Beuron ausgemalt. Diesen Stil brachten die Beuroner Benediktiner nach Prag mit, die vor Bismarcks Kulturkampf geflohen waren und ein neues Zuhause im Kloster Emmaus gefunden hatten. Die Benediktinerinnen der Beuroner Kongregation, die aus Salzburg kamen, ließen sich in Smíchov nieder. Ihr dortiges Klosterareal St. Gabriel wurde vor 120 Jahren geweiht. Kurz nach der Entstehung der Tschechoslowakei im Jahr 1918 verkauften die Benediktinerinnen das Kloster an den neuen tschechoslowakischen Staat unter der Bedingung, dass die Klosterkirche weiter zu kirchlichen Zwecken genutzt wird. Die Nonnen siedelten damals aus Prag nach Bertholdstein in Österreich um. Ende September wurde aus Anlass des 120. Jahrestags der Klosterweihe in St. Gabriel ein Buch über die dortigen Benediktinerinnen vorgestellt. Bei dieser Gelegenheit entstand das folgende Interview mit der Buchautorin, der österreichischen Theologin Ulrike-Johanna Wagner-Höher:

Ulrike-Johanna Wagner-Höher  (Foto: SPBU)
Frau Wagner-Höher, wie ist das Buch entstanden? Was hat Sie dazu angeregt, ein Buch über die Benediktinerinnen von St. Gabriel zu schreiben?

„Ich habe die Benediktinerinnen während meines Theologiestudiums bei einer Exkursion nach Bertholdstein in der Steiermark kennen gelernt. Ich habe damals sofort bemerkt, dass es außergewöhnliche Frauen waren. Nach der Beendigung meines Theologiestudiums - da kannte ich die Schwestern schon besser, denn ich habe sie immer wieder besucht - war mir schon klar, dass sie eine faszinierende Geschichte haben, aber rein materiell selbst nicht mehr in der Lage sind, sie selbst aufzuschreiben und zu erforschen. Denn sie sind alle schon in dem Alter, wo sie keine langen und weiten Reisen zu irgendwelchen Archiven machen können. Zudem sind sie mit ihrem Alltag und dem Gottesdienst so ausgelastet, dass es gar nicht möglich ist.“

Kirche St. Gabriel  (Foto: SPBU)
Da haben Sie diese Aufgabe übernommen, sich mit der Geschichte des Konvents zu befassen? Haben Sie auch in den Archiven in Böhmen gearbeitet?

„Ich habe vor allem im Archiv von St. Gabriel gearbeitet, aber ich habe natürlich auch in allen anderen Beuroner Archiven gearbeitet. Auch im Staatsarchiv in Prag habe ich geforscht. Und dann habe ich es bearbeitet.“

Wie kam es zur Gründung des Konvents? Verdienste um den Bau des Klosters in Prag hatte damals angeblich vor allem eine adelige Dame.

„Ja, es war Gabriele Sweerts-Sporck, die von der Beuroner Liturgie sehr angetan war. Sie wollte, dass auch Frauen einen Konvent haben können und hat ihr Eigentum zur Verfügung gestellt, damit ein Kloster erbaut werden konnte. Sie wollte, dass hier Frauen nach den Beuroner Konstitutionen leben. Das war Ausschlag gebend. Ihre Mutter und ihre Schwester haben das nach ihrem Tod mit sehr viel Energie durchgesetzt, denn die Beuroner Mönche waren mit dieser Aufgabe überfordert.“

Kirche St. Gabriel  (Foto: SPBU)
Wann wurde der Konvent erbaut, und wer war der Architekt?

Die Grundsteinlegung war am 16. Oktober 1888. Der Architekt war Gislen Béthun, ein Mönch von Emmaus. Er wurde aber von Gräfin Nostitz, der Mutter der Stifterin, empfohlen. Sie hat sehr viel auf seine Art gehalten und wollte, dass er die Pläne macht und die Bauleitung übernimmt. Und so ist es auch geschehen.“

Wann wurde der Bau des Klosters beendet?

„Die Nonnen sind aus Salzburg gekommen, und zwar sehr früh. Da war das Kloster noch nicht fertig. Sie haben zuerst im Winter in einem Nebenbau – in einer alten Villa - gelebt, die jedoch eine Sommerresidenz war. Die Kirchweihe war erst 1891. Da waren schon die Kirche und das Hauptgebäude fertig. Aber es fehlte immer noch der Nordtrakt. Dieser ist erst viel später gebaut worden. Die Nonnen haben jedenfalls hier mit sehr viel Energie begonnen: das Gotteslob, die sehr aufwendige und feierliche Liturgie – das war ihr Hauptanliegen. Sie haben etwas ganz Besonderes in ihrer Kirche getan: Sie haben den Altar zum Volk gewendet. Das war damals völlig unüblich. Aber die Nonnen haben gesagt: ´Wir kennen die Liturgie sowieso. Wenn wir das nur von der Seite aus unserem Nonnenchor mitverfolgen können, dann ist uns das Recht. Das Volk soll sehen uns soll mitfeiern können. ´ Deshalb ist damals schon – was heute natürlich gang und gäbe ist – der Altar zum Volk gewendet worden.“

Foto: SPBU
Dies ist sehr erstaunlich und aus unserer Sicht auch fortschrittlich. Denn da war der Altar zum Volk zig Jahre vor dem II. Vaticanum schon gewendet worden.

„Ja. Es ist auch so, dass die Beuroner Klöster an der Liturgiereform später bedeutend beteiligt waren. Hier in Prag ist damals etwas ganz Neues entstanden.“

Kann man sich die hiesigen Benediktinerinnen als Künstlerinnen vorstellen, die gemalt, gestickt, gedichtet haben?

„Ja, aber all das – das Malen, das Dichten, das Sticken – bezog sich auf die Liturgie. Gestickt wurden Paramente, gestickt wurden Altartücher. Die Nonnen beschäftigten sich hauptsächlich mit dem Studium und mit dem gregorianischen Choral, den sie nach und nach von den Beuroner Mönchen gelernt haben. Später haben sie das ganze Offizium im gregorianischen Choral gesungen. Ich fand beispielsweise in einem alten Visitationsbericht die Erwähnung, man würde nirgendwo Frauen finden, die auf diesem Niveau singen und Liturgie zelebrieren.“

Foto: SPBU
Gibt es Berichte darüber, wie die Benediktinerinnen damals hier empfangen wurden?

„Empfangen wurden sie zuerst von den Beuroner Mönchen. Die waren glücklich, dass sie gekommen sind. Die Reaktion des Bischofs war mittelmäßig, sein Vorgänger hatte noch nach Salzburg geschrieben, er habe schon genug Nonnen und Mönche in seiner Diözese. Er war also schon weniger glücklich. Und die Bevölkerung wusste mit dieser Kommunität nichts anzufangen. Denn sie sprachen deutsch und dann fingen sie an lateinisch zu singen. Das war für das normale Volk ganz unverständlich. Und zu diesen Gottesdiensten kamen hochadelige Herrschaften. Die Kluft zwischen der Bevölkerung und den Nonnen war also von Anfang an gegeben.“

Foto: SPBU
Diese Tatsache führte wahrscheinlich später dazu, dass sich die Nonnen entschieden, Prag zu verlassen. Hing es auch mit der Entstehung der Tschechoslowakei zusammen?

„Schon vor dem Kriegsende wurde klar, dass das Bleiben der Nonnen nicht möglich war. Sie haben sich dann umgesehen, wohin sie gehen sollen. Das war sehr schwierig. Aber schließlich hat der junge tschechoslowakische Staat ihnen geholfen. Sie konnten im Januar 1919 das Kloster verkaufen. Es wird heutzutage vom tschechischen Staat für die Post verwendet. Die Nonnen konnten das ganze Inventar mitnehmen, sie konnten sogar Gitter und Lampen abmontieren. Alles, was sie irgendwie brauchen konnten, durften sie mitnehmen – sogar ihr Vieh und ihre Lebensmittelvorräte. Der tschechoslowakische Staat hat sich da sehr großzügig verhalten.“

Kirche St. Gabriel  (Foto: SPBU)
Viele Teile der Einrichtung wurden aber jetzt - nach etwa 90 Jahren - der Kirche wieder zurückgegeben. Wie kam es dazu?

„Das ist jetzt möglich geworden, weil die Kommunität in Bertholdstein aus der Beuroner Kongregation ausgetreten ist. Aber nicht nur das – sie hat auch das aus dem Mittelalter stammende Schloss verlassen und ist in ein kleines Klösterchen gezogen, wo die Nonnen jetzt sehr glücklich sind. Bei dieser Gelegenheit haben sie Kunstschätze und viele Originaldinge nach Prag zurückgegeben. Ich finde es wunderbar, dass ich heute hier einen Christus sehen konnte, den ich schon in Bertholdstein kannte, dass ich ein wunderschön restauriertes Gitter gesehen habe, das ich in Bertholdstein oft zugemacht habe. Oder die Kniebank, auf der ich gekniet bin, auf der ich meditiert habe und auf der ich auch gesessen bin, die steht jetzt in St. Gabriel. Das war für mich ein sehr schöner Augenblick, das zu bemerken.“


Kloster Emmaus in Prag
Wie wir erwähnten, haben sich die Beuroner Benediktiner im 19. Jahrhundert in Prag im Kloster Emmaus niedergelassen. Falls Sie wissen, wo sich dieses Kloster in Prag befindet, können Sie es uns schreiben. Denn so lautet die heutige Quizfrage, für deren Beantwortung Sie ein Buch über Prag gewinnen können. Ihre Zuschriften richten Sie bitte an Radio Prag, Vinohradská 12, PLZ 120 99 Prag 2 oder an die Adresse: [email protected].

In der September-Ausgabe der Sendereihe Spaziergang durch Prag, wo wir Ihnen die alten Prager Straßenbahnen T3 vorstellten, haben wir Sie aufgefordert, uns Ihre eigenen Erinnerungen an die Prager Straßenbahn T3 beziehungsweise Fotos der Bahn an uns zu schicken. Wir haben einige der zugeschickten Fotos sowie Ihre Erinnerungen bereits auf unserer Webseite im Rahmen des Hörerforums veröffentlicht. Wir bedanken uns bei allen, die uns geschrieben haben. Ein Buch gewonnen hat Marí Bohley aus Dresden.