Sprachenlernen raffiniert: Kinder schreiben Geschichten auf Deutsch
Dass in Prag seit 15 Jahren jeweils im Herbst das Theaterfestival deutscher Sprache stattfindet, ist wohl allgemein bekannt. Kaum bekannt hingegen ist, dass gerade dieses deutschsprachige „Theaterfest“ zur Inspiration für die Gründung eines Bürgervereins in Prag wurde. Genau vor fünf Jahren wurde während des Festivals beschlossen, an der Grundschule der deutsch-tschechischen Verständigung und dem Thomas Mann Gymnasium den „Jo-Yo Bürgerverein“ zu gründen. Dieser nahm sich vor, Freizeitaktivitäten für deutschsprachig aufwachsende oder intensiv Deutsch lernende Kinder zu organisieren. Inzwischen arbeitet der Verein auch mit anderen Schulen in Prag zusammen. „Geschichten aus aller Welt“ war der Titel des jüngsten Jo-Yo-Projektes. Seine Ergebnisse wurden bei einer feierlichen Veranstaltung in der deutschen Botschaft kundgegeben.
So klingt es in der zweiten Strophe der „Jo-Yo-Vereinshymne“. Riesenspaß schien auch ein Großteil der Mädchen und Jungs zu haben, die an einem Novembernachmittag in die deutsche Botschaft in Prag geladen waren. Kein Wunder. Alle waren die Gewinner des literarischen Schülerwettbewerbs „Geschichten aus aller Welt“, die aus ganz Tschechien in die Hauptstadt kamen.
Mit lobenden Worten an die Adresse der jungen Künstler hatte die Gastgeberin Regina Haindl, Ehefrau des deutschen Botschafters Johannes Haindl, die Veranstaltung eröffnet. Hana Nápravníková vom Jo-Yo-Verein erläutert die Einzelheiten des Wettbewerbs:„Seit fünf Jahren arbeiten wir sehr eng mit der Bürgerinitiative ´Mehrweg Leipzig´ zusammen. Ihre Mitarbeiter kamen als erste mit dem Projekt eines Kinderbuchs. In diesem erschienen die besten Geschichten, die Kinder schreiben und dazu auch Bilder aus Knete kreieren sollten. Unser Jo-Yo-Verband hat beim ersten und zweiten Buchprojekt mitgemacht und anschließend selbst die Initiative übernommen. Das dritte Kinderbuchprojekt wurde bereits in Prag umgesetzt. Es ging um Kochgeschichten, nach denen Kinder auch gekocht haben.“
In diesem Jahr waren es also Weltgeschichten verbunden mit Kleidungs- und Bildinspirationen. Und wo haben die Kinder diesmal ihre Inspirationen gesucht?„Die Inspirationen haben sie sich von allen Kontinenten der Welt geholt. Es ging um Menschen, Tiere oder Dinge, die eine Geschichte erzählten, oder um Phantasien von Kindern, die den Traum haben, in die Welt zu reisen. Der gemeinsame Nenner war die Multikultur. Voriges Jahr gab es insgesamt rund 180 und dieses Jahr schon über 320 Geschichten. Das ist einfach toll!“
Aus diesen Geschichten hat eine Jury die 40 besten ausgewählt, die in einem Buch abgedruckt wurden. Bei der Veranstaltung lasen die Preisgekrönten jeweils ein Stück aus ihrer „Weltgeschichte“ vor. So beginnt zum Beispiel die Geschiche „Über den klugen Pinguin“ von Marek Dousa:„Es war einmal ein Pinguin. Aber er war nicht wie die anderen Pinguine. Er konnte lesen und sprechen. Eines Tages sagte er: ´Ich gehe in die Welt´. Er geht nach Europa. Und was sah er da...“
Das wollen wir an dieser Stelle natürlich nicht verraten. Den 11-jährigen Autor Marek Dousa habe ich trotzdem um ein kurzes Interview gebeten:„Ich heiße Marek Dousa, besuche die Schule der tschechisch-deutschen Verständigung und bin in der 5. Klasse.“
Seit wann lernst du Deutsch?
„Ich lerne das vierte Jahr Deutsch.“
Ist es eine schwere Sprache?„Ein bisschen, aber jetzt geht es schon leichter.“
Macht es dir Spaß, Deutsch zu lernen?
„Die ersten zwei Jahre waren schwer, aber jetzt macht es Spaß.“
Du hast an dem literarischen Wettbewerb „Geschichten aus aller Welt“ teilgenommen. Sind etwa Pinguine deine Lieblingstiere?
„Ja.“Wie lang war deine Geschichte? Wie viele Seiten hast du geschrieben?
„Nur eine Seite.“
Im Wettbewerb warst du erfolgreich. Freust du dich darüber?
„Ja, es freut mich.“
Den Schülern etwas anderes als nur das übliche Büffeln und Pauken anzubieten und damit die deutsche Sprache attraktiver zu machen: auch das ist das Ziel der Kinderbuchprojekte. In jüngster Zeit stößt nämlich Deutsch als Fremdsprache auf nachlassendes Interesse bei den tschechischen Schülern. Das bestätigt auch die Deutsch-Lehrerin Alexandra Páclová vom Gymnasium im nordostmährischen Frýdek-Místek, die sechs Schülerinnen und Schüler nach Prag begleitet hat:
„Unsere Schüler haben wenige Gelegenheiten, an so einem Projekt teilzunehmen. Die Informationen über den Wettbewerb fand ich im Internet und sagte mir, dass wir es versuchen könnten.“
Wie viele Schüler konnten Sie für die Teilnahme gewinnen?
„Es war anfangs eine ganze Klasse mit 15 Schülerinnen und Schülern, und jeder von ihnen hat etwas geschrieben. Nur sechs sind heute da.“Wie haben Sie und die Schüler auf die Nachricht reagiert, dass ihre Texte im Wettbewerb erfolgreich waren?
„Wir waren sehr glücklich. Die Kinder freuten sich sehr und konnten vor der Abreise nach Prag kaum schlafen.“
Welche Bedeutung hat es ihrer Meinung nach für die Mädchen und Jungs?
„Wir sind eine kleine Schule in Frýdek-Místek mit nur 250 Schülern. Die Konkurrenz unter den Fremdsprachen ist aber groß. Neben Englisch, das als Pflichtsprache gilt, wird bei uns auch Französisch, Spanisch, Russisch und Deutsch unterrichtet. Was aber keine Pflichtsprache ist, lernen die Schüler lieber nicht. Und Deutsch gehört nicht zu den bevorzugten Sprachen.“Warum kommt die deutsche Sprache bei den Schülern nicht so gut an?
„Den Grund muss man auch in der jüngeren Vergangenheit suchen. Nach dem Wendejahr 1989 musste man vor allem Deutsch lernen. Vorher war Russisch die Pflichtsprache. Das nachlassende Interesse geht meiner Meinung nach von der Generation der Eltern meiner Schüler aus, für die Deutsch die Sprache Nummer eins war. Wir Lehrer müssen etwas dagegen tun.“
Ob Schülerinnen und Schüler mal auch von Englisch „die Nase voll“ haben werden? Momentan sieht es nicht danach aus. Hier ein Beweis: Eva Klaudová und Tereza Přidalová vom Gymnasium in Frýdek-Místek lernen erst im zweiten Jahr Deutsch, doch nach notwendigen Korrekturen war ihr Gedicht über eine Afrika-Reise auch erfolgreich im Prager Wettbewerb. Doch Englisch lernen sie lieber. Es sei leichter:„Wir haben das Gedicht ausgewählt, das für uns wahrscheinlich das beste war. Deutsch ist eine schwere Sprache. Am schwersten ist es, sich die Artikel der Substantive zu merken.“
Auf die Frage, warum die beiden Mädchen lieber Englisch lernen, lautete die Antwort: „This is einfacher.“
Leseprojekte, Kinderbuchprojekte, Feriencamps, Musicals, Adventskonzerte oder Schüleraustausch. Das alles und noch viel mehr findet man im Programm des Jo-Yo-Bürgervereins. An dem diesjährigen Kinderbuchprojekt waren auch Schüler von einer Partnerschule in Heilsbronn bei Nürnberg beteiligt. Christl Oppelt, Lehrerin:
„Wir waren fünf Tage da. Die Kinder waren in tschechischen Familien und haben sich sehr gut verstanden. Sie haben auch sehr gute Freundschaften geschlossen.“Worin sehen Sie persönlich die Bedeutung eines solchen Projektes?
„Die Bedeutung liegt darin, dass die Kinder die Möglichkeit haben, kreativ etwas zu tun. Also nicht immer das ihnen Vorgegebene nachzuplappern und aufzuarbeiten, sondern wirklich eigene Ideen zu bringen. Im Schulsystem in Deutschland kommt dies oft zu kurz. Dieses eigene Denken, eigenes Schaffen und auch das Zutrauen zu sich: ´Ich kann es´.“
Das Kinderbuchprojekt 2010 ist also zu Ende. Doch Hana Nápravníková kündigt schon jetzt eine Fortsetzung an:„Wir machen mit dem Kinderbuchprojekt bestimmt weiter. Es ist viel Arbeit damit, aber es macht Spaß und wir sehen, dass es eigentlich Sinn hat und die Kinder sind daran interessiert.“