Markéta Pilátová: „Wir müssen uns irgendwie ähnlich sein“
Zweimal im 20. Jahrhundert wurde Brasilien Ziel von Auswanderungswellen aus Tschechien. Nach der Besetzung der Böhmens und Mährens durch Deutschland 1939 und nach der Machtergreifung der Kommunisten im Jahre 1948. Diese Flüchtlinge und ihre Lebensgeschichten, aber auch die Identitätssuche ihrer Nachkommen sind das Thema des Debütromans von Markéta Pilátová „Wir müssen uns irgendwie ähnlich sein“. Er wurde in Tschechien sowohl von Kritikern als auch von der Leserschaft hoch gelobt. Die Rede war sogar von einem Sensationserfolg.
„Ja, im tschechischen Original erschien ´Wir müssen uns irgendwie ähnlich sein´ zwar schon 2007. Die deutsche Übersetzung kam aber erst in diesem Jahr heraus.“
Die Autorin Markéta Pilátová ist noch recht jung. Erzähl vielleicht zunächst ein bisschen was über sie…
„Pilátová wurde 1973 geboren und ihre Biographie ist so etwas wie der Schlüssel zu ihrem Erstlingswerk. Zurzeit lebt sie in Argentinien und berichtet unter anderem für die Wochenzeitschrift Respekt aus Südamerika. Sie ist nämlich eine gelernte Hispanistin und hat nach ihrem Studium zunächst zwei Jahre im spanischen Granada am dortigen Institut für Slawistik gearbeitet. 2005 zog sie weiter nach Brasilien. In São Paulo hat sie Nachkommen tschechischer Auswanderer Unterricht in der Sprache ihrer Ahnen gegeben. Und damit sind wir auch schon bei Pilátovás Roman „Wir müssen uns irgendwie ähnlich sein“, denn das Buch beschäftigt sich mit diesen tschechischstämmigen Brasilianern, aber auch mit den ‚Daheimgebliebenen’ und pendelt gewissermaßen hin und her zwischen São Paulo und Prag.“
Kannst du die Handlung kurz zusammenfassen?„Pilátovás Buch hat unheimlich viele Facetten. Verbindendes Element und treibender Motor ist eine Liebesgeschichte. Im Mittelpunkt steht Jaromír, ein ehemaliger jüdischer Widerstandskämpfer und KZ-Häftling. Er ist 1948 vor den Kommunisten nach Brasilien geflohen und arbeitet später als kleiner Doppelagent. In Brasilien hat er Luiza, die Tochter deutscher Auswanderer geheiratet. Aus dem Exil aber schickt Jaromír seiner Jugendleidenschaft Maruška über Jahrzehnte glühende Liebesbriefe in die Tschechoslowakei. Die Korrespondenz bleibt auch seiner Ehefrau Luiza nicht verborgen und weckt deren Eifersucht. Nach dem Tod Jaromírs fährt Luiza nach Prag, sucht die vereinsamte und verbitterte Maruška auf und konfrontiert sie mit dem Satz ‚Wir müssen uns irgendwie ähnlich sein, wo er uns doch beide geliebt hat‘.“
Aha, daher also der Titel des Buches.
„Genau. Maruška und Luiza freunden sich an, es dolmetschen für sie zwei junge brasilianische Frauen, die wegen eigener Lebenskrisen nach Prag gekommen sind und sich dort – im Rückgriff auf ihre tschechischen Familienwurzeln – die Lösung ihrer Probleme erhoffen. Eine von beiden ist Maruškas Psychiatriepflegerin. So kommt also die Verbindung zustande, die sich für alle vier Frauen als schicksalhaft erweist.“
Könnte man „Wir müssen uns irgendwie ähnlich sein“ als „Frauen-Roman“ bezeichnen?
„Das liegt zunächst nahe, denn es dominieren eindeutig die weiblichen Sichtweisen. Aber über Briefauszüge und Tagebuchnotizen kommt auch die Perspektive des Mannes, des geheimnisvollen Jaromír, zur Geltung. Das Buch von Markéta Pilátová handelt aber nicht nur von Geschlechterrollen. Es handelt auch von einem Clash der Kulturen zwischen böhmischer Heimattümelei und brasilianischer Exotik. Es handelt auch von einem Clash der Generationen. Es gibt eine Prise Pathos, etwas Melancholie, eine gewisse Tragik, aber auch einen erfrischenden subtilen Humor. ‚Wir müssen uns irgendwie ähnlich sein’ vereinigt sozusagen verschiedene Strömungen der tschechischen Literaturgeschichte, von Hašek bis Kundera. Es sollte also für jeden etwas dabei sein.“
Du würdest den Roman also zum Lesen empfehlen…?!
„Ja, ich habe mich gut unterhalten gefühlt.“
„Wir müssen uns irgendwie ähnlich sein“ ist erschienen im Residenz Verlag St. Pölten / Salzburg und kostet 19,90 Euro.