„Prag ist kein Palermo“: 2000 Menschen protestierten gegen Rathauskoalition
Die Verhandlungen über die Bildung einer Koalition im Prager Rathaus haben sich einige Wochen lang hingezogen. In der Nacht auf Dienstag fiel die Entscheidung darüber, wer in den nächsten vier Jahren in der tschechischen Hauptstadt regieren wird: Die Bürgerdemokraten (ODS) schlossen eine Koalition mit den Sozialdemokraten (ČSSD) und der Wahlsieger, die neue konservative Partei Top 09, war plötzlich aus dem Rennen. Mit ihr hatten die Wähler die Hoffnung verbunden, dass sie sich für mehr Transparenz im Prager Magistrat einsetzen würde. Mehr als 2000 unzufriedene Prager haben am Mittwochnachmittag gegen die tags zuvor in einer Nacht-und-Nebel-Aktion geschlossene Koalition auf dem Prager Wenzelsplatz demonstriert.
„Auch wenn jemand ganz anderer die Kommunalwahlen gewonnen hat, und zwar mit einem deutlichen Vorsprung, auch wenn die Chefs der beiden Parteien diese Koalition ablehnen, teilen uns die Prager Politiker lächelnd über die Medien mit: Alles sei legal gewesen. Wir Bürger sind Zeugen eines Betrugs, der sich im Rahmen der Gesetze abgespielt hat.“
Aus dem Publikum erklangen Pfiffe und laute Protestrufe: „Schande! Schande!“ skandierten Leute an die Adresse der neuen Koalition im Prager Rathaus. Es erklangen aber auch andere Sprüche:Mit dem Hinweis „Prag ist kein Palermo!“ machten die Demonstranten die Prager Kommunalpolitiker darauf aufmerksam, dass sie sich nicht damit abfinden wollen, dass der Prager Magistrat auch weiterhin von Politikern geleitet wird, die gute Verbindungen zu den so genannten „Paten“ haben.
Mehr als 2000 Menschen folgten dem Aufruf der Bürgerinitiative, die die Demonstration im sozialen Netzwerk Facebook innerhalb von einigen Stunden organisiert hatte. Unter den Protestierenden waren jedoch bei Weitem nicht nur junge Menschen:„Ich war schockiert über die Entstehung dieser Koalition. Zudem haben sie das auf eine so erschütternde Weise gemacht: Sie trafen sich geheim in der Nacht irgendwo in einem Leichenhaus in einer Klinik. Meine Tochter hat auf Facebook über die Demo gelesen. Ich bin froh, dass so viele Menschen und vor allem Leute verschiedenen Alters hier sind. Ich habe ein gutes Gefühl.“ Sagt eine Demonstrantin.
Unter die Demonstranten gemischt hatte sich auch der Parteichef der Grünen, Ondřej Liška. Seine Partei hat nach der Kommunalwahl Beschwerde gegen die Neuaufteilung der Wahlbezirke in Prag eingebracht. Das Prager Stadtgericht hat die Wahlrechtsänderung, die den kleinen Parteien den Weg ins Rathaus versperrt hat, allerdings für in Ordnung befunden. Die Grünen werden sich deshalb demnächst ans Verfassungsgericht wenden, sagt Liška:„Die Verfassungsexperten sind der Meinung, dass unsere Chancen mit der Klage beim Verfassungsgericht höher als beim Stadtgericht sind. Denn das Stadtgericht hat nicht alle unsere Argumente richtig wahrgenommen. Es wäre schon ein Erfolg, wenn das Verfassungsgericht sagen würde, dass das Wahlsystem in Prag nicht legitim war. Es war zwar legal, aber nicht legitim und es muss geändert werden. Es geht nicht um den Gewinn der Mandate, sondern um einen gerechten Zugang zum Wahlrecht, und dies wurde in Prag verletzt. Ich bin sehr froh, dass ich hier auf der Demo so viele Leute gesehen habe und dass sie Energie und Enthusiasmus zeigen, dass sie bereit sind, etwas zu tun. Ich hoffe, dass sich das auch bei den nächsten Wahlen zeigen wird.“ Doch die Demonstranten zeigten nicht nur Energie, sondern auch Sinn für Humor: So schlugen einige, inspiriert durch ihre Prager Vorfahren, einen Fenstersturz der Ratsherren vor. Sarkastisch kommentierte auch Sänger Tomáš Klus das Prager Tauziehen ums Regieren in seinem neuesten Lied: Durch die hierzulande beliebte Verzögerungstaktik seien im Pager Rathaus weitere vier Jahre im Eimer, heißt es im Refrain.
Fotos: Autorin