Premier Nečas am EU-Gipfel: „Ja zu schärferen Sanktionen für Defizit-Sünder, nein zu Vertragsänderungen“
Ganz unter dem Eindruck der Wirtschaftskrise und des gerade noch abgewendeten Zusammenbruchs einiger Euro-Länder – Stichwort: Griechenland – stand der EU-Gipfel, der Ende vergangener Woche in Brüssel über die Bühne gegangen ist. Die 27 EU-Mitgliedsstaaten sind sich grundsätzlich darüber einig, in Zukunft härter gegen jene Länder vorgehen zu wollen, deren Haushalt aus dem Ruder läuft. Über die konkrete Form der Sanktionen gibt es aber nach wie vor höchst unterschiedliche Ansichten. Tschechien tritt etwa für ein möglichst striktes Vorgehen gegen Defizitsünder ein, zeigt sich aber gleichzeitig sehr skeptisch gegenüber einer möglichen Änderung der EU-Verträge.
„Wir haben wichtige Entscheidungen getroffen, um den Euro zu stärken. Mit der Billigung des Arbeitsgruppen-Reports und der Entscheidung, den Krisenmechanismus für die Eurozone voranzutreiben, hat der Europäische Rat einen soliden Pakt zur Stärkung des Euro geschlossen. Das ist eine der wichtigsten Entscheidungen, die wir in den vergangenen Monaten getroffen haben.“
Durch die Billigung des Berichts der Arbeitsgruppe „Wirtschaftspolitische Steuerung“ sei es etwa in Zukunft möglich, „die Finanzdisziplin zu stärken, die Überwachung der Wirtschaftspolitik auszuweiten, die Koordinierung zu vertiefen und einen soliden Rahmen für das Krisenmanagement sowie stärkere Institutionen zu schaffen“. Außerdem soll ein „ständiger Krisenmechanismus zur Wahrung der Finanzmarktstabilität im gesamten Euro-Währungsgebiet“ eingerichtet werden, so die 27 EU-Mitgliedsländer in ihrer gemeinsamen Abschlusserklärung. Bis zum Sommer 2011 sollen sich der Europäische Rat und das Europäische Parlament über die dazu von der Europäischen Kommission eingebrachten Gesetzesvorschläge einigen. Bis es soweit ist, gibt es aber noch einige Hindernisse aus dem Weg zu räumen. So ist zum Beispiel nicht klar, wie die neuen, verschärften Spielregeln für die Eurozone im europäischen Recht verankert werden sollen. Deutschland etwa kann sich dazu auch eine Änderung der grundlegenden EU-Verträge vorstellen, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel am Rande des Gipfels bekräftigte:„Alle waren sich einig, dass es einen dauerhaften Krisenmechanismus geben muss. Und alle waren sich einig, dass dies ein Mechanismus ist, der durch die Mitgliedsstaaten gestaltet wird. Und alle waren sich einig, dass dafür eine begrenzte Vertragsänderung notwendig ist. Wir haben noch einmal festgehalten, dass das ‚Bail-Out-Verbot’, also dass ein Land nicht für die Schulden eines anderen eintritt, erhalten bleibt. Der Artikel 125 des Allgemeinen EU-Vertrages wird nicht geändert, sondern der Krisenmechanismus gilt nur für den Fall, dass die Stabilität des Euro als Ganzes in Gefahr ist. Es wird jetzt bis Dezember sowohl über den Krisenmechanismus beraten, als auch über die dazu notwendige Vertragsänderung.“
Tschechien hat sich bereits vor dem Gipfel klar für schärfere Maßnahmen zur europaweiten Haushaltsdisziplin ausgesprochen. Sowohl Staatspräsident Václav Klaus als auch Premierminister Petr Nečas haben sich aber sehr skeptisch gegenüber einer möglichen Vertragsänderung geäußert. Und die von der Europäischen Kommission geforderte Überprüfung der Haushaltsentwürfe der einzelnen Mitgliedsstaaten noch vor dem Beschluss in den nationalen Parlamenten lehnt Tschechien ebenso strikt ab wie Frankreich oder Schweden. Über derart konkrete Maßnahmen sei aber Ende der vergangenen Woche auf dem Brüsseler Gipfel noch gar nicht diskutiert worden, sagte der tschechische Regierungschef Nečas im Gespräch mit dem Tschechischen Rundfunk:„Ich muss sagen, die Einigung sieht im Moment sehr einfach aus: Man hat beschlossen, eine Debatte über die genaue Ausgestaltung dieser Stabilitätsmechanismen zu beginnen. Das bedeutet, dass im Moment niemand weiß, wie sie genau aussehen sollen, niemand kennt die konkreten Maßnahmen. Sehr einfach ausgedrückt: Das ist eine Diskussion über ein Tier, von dem man weiß, dass es vier Beine hat und im Wald lebt. Aber bis jetzt weiß noch niemand, ob es eine Katze, ein Hund, ein Hirsch, ein Wolf oder ein Pferd ist.“Bis zum Jahresende geben sich die EU-Mitgliedsstaaten nun Zeit, mehr Klarheit über die Ausgestaltung der konkreten Sanktionen gegen Defizit-Sünder zu erzielen, wie der geschäftsführende Finanzminister des derzeitigen EU-Vorsitzlandes Belgien, der frankophone Liberale Didier Reynders, erläutert:
„Ich bin mit mehreren Mitgliedsstaaten übereingekommen, dass wir bis zum Ende dieses Jahres einen Sondergipfel der Finanz- und Wirtschaftsminister (Ecofin) organisieren sollten. Einerseits, um schärfere Regeln für die Rating-Agenturen zu beschließen. Und andererseits, um zu versuchen, eine Einigung über die konkrete Umsetzung der Stabilitäts-Vorschläge der Europäischen Kommission zu erzielen. Bis jetzt haben wir lediglich den Bericht der Stabilitäts-Arbeitsgruppe gebilligt und uns darüber verständigt, dass man über gewisse Elemente der EU-Verträge zu diskutieren bereit ist. Aber es war auch nicht das Ziel dieses Gipfels, sich auf eine einzige mögliche Variante von Sanktionen zu einigen, etwa durch die Einschränkung der Stimmrechte der Länder mit zu hohem Defizit. Darüber gibt es bis jetzt keinen Konsens.“Tschechiens Premier Nečas sagte gegenüber dem Tschechischen Rundfunk, eine der zurzeit diskutierten Varianten sei, zu hoch verschuldete Länder einfach bankrott gehen zu lassen:
„In der Diplomatensprache heißt das ‚Schuldenrestrukturalisierung’. Der richtige Ausdruck dafür ist Staatsbankrott. Das heißt, so ein Staat bekäme kein Geld und keine Garantien für seine Schulden. Sondern er würde, so wie jeder überschuldete Privathaushalt oder jede Firma, die ihre Schulden nicht mehr zahlen kann, einfach bankrott gehen.“
Noch sei aber nichts entschieden, die EU-27 stünden erst ganz am Anfang der Debatte über konkrete Maßnahmen zur langfristigen Stabilisierung des Euro. Tschechien sehe in einem kontrollierten Bankrott überschuldeter Mitgliedsstaaten aber eindeutig den besseren Weg, als in der Unterstützung von notorischen Haushalts-Sündern durch Hunderte Milliarden Euro aus den Budgets jener Staaten, die verantwortungsvoll mit ihren Mitteln umgehen, so der tschechische Premier:
„Ich möchte betonen, dass wir großes Interesse an einem stabilen Euro haben, auch wenn wir selbst nicht Mitglied der Euro-Zone sind. Der überwiegende Teil unseres Exportes geht in die Euro-Länder. Ob der Euro eine stabile Währung ist oder nicht, darf uns also nicht egal sein. Wirtschaftlich sind wir mit der Euro-Zone extrem stark verflochten.“Dennoch, einer Änderung der EU-Verträge zur rechtlichen Absicherung der Maßnahmen zur Stabilisierung des Euro stehe Tschechien sehr reserviert gegenüber, so Petr Nečas. Sieht Tschechiens Regierungschef da gar schon wieder eine innen- und außenpolitische Endlos-Debatte über die Ratifizierung von EU-Verträgen heranziehen? Schließlich war es Tschechien, das wegen der ablehnenden Haltung von Staatspräsident Klaus als letztes der 27 Mitgliedsländer den EU-Vertrag von Lissabon ratifiziert hat. Dazu sagte Premier Nečas:
„Ganz abgesehen von der Haltung des Herrn Staatspräsidenten stehe ich einer möglichen Änderung des Lissabon-Vertrages sehr skeptisch gegenüber. Ich halte sie im Moment nicht für unbedingt erforderlich. Aber wenn sich herausstellen sollte, dass eine Vertragsänderung für die Umsetzung der Maßnahmen zur Stabilisierung des Euro absolut notwendig ist, dann wäre eine Diskussion darüber mehr als angebracht.“Der bereits beschlossene und in Kraft gesetzte Rettungsmechanismus für Griechenland läuft noch bis zum Jahr 2013. Spätestens bis dahin müssen sich die 27 oder dann vielleicht schon 28 EU-Mitgliedsstaaten also auf eine Strategie zur Stabilisierung des Euro geeinigt haben. Wegen der Gefahr, dass in der Zwischenzeit weitere Staaten in ernste finanzielle Schwierigkeiten geraten könnten, will sich in Brüssel aber niemand so lange Zeit lassen. Mehr Klarheit über den genauen Zeitplan soll der nächste EU-Gipfel im Dezember bringen.