Selbstfindungsprozess bei Tschechiens Sozialdemokraten
Während die Regierungsverhandlungen der neuen bürgerlichen Parlamentsmehrheit erste Konturen annehmen, befinden sich die tschechischen Sozialdemokraten, obwohl sie formell stimmenstärkste Partei sind, in einer Phase der Selbstfindung. Auf dem Programm steht nicht nur Ursachenforschung für das hinter den Erwartungen zurückgebliebene Ergebnis. Nach dem Rücktritt des Parteivorsitzenden Jiří Paroubek hat auch die Suche nach einem Nachfolger begonnen. Mehr über die Lage bei Tschechiens größter Oppositionspartei erfahren Sie von Robert Schuster in einer neuen Folge unserer Sendereihe Schauplatz.
Das unerwartet schlechte Abschneiden ihrer Partei, hinterließ viele tschechische Sozialdemokraten am Wahlabend völlig ratlos. Wie kann der gravierende Unterschied von bis zu zehn Prozent zwischen den Prognosen der Meinungsforschungsinstitute vor den Wahlen und dem eigentlichen Wahlergebnis erklärt werden?
Der noch am Wahlabend von seinem Amt zurückgetretene Parteichef Jiří Paroubek hat in den vergangenen Tagen seine Meinung diesbezüglich bereits kundgetan: In einem offenen Abschiedsbrief an die Parteibasis erklärte er, die mehrheitlich rechten tschechischen Medien wären für das schlechte Abschneiden seiner Partei verantwortlich, in dem sie die ganze Zeit ein schlechtes Bild der Partei zeichneten.Wie sieht das der Journalist Petr Holub von der Internetzeitung aktualne.cz? Fühlt er sich von dieser Kritik getroffen bzw. hält er sie für gerechtfertigt?
„Die Erklärung, dass die eigene Niederlage durch die Begleitumstände verschuldet war, wird zwar von Politikern in Tschechien relativ oft herangezogen, der wahre Einfluss der Medien wird allerdings stark überschätzt. Das Problem hängt aber mit etwas anderem zusammen und darin sehe ich den wahren Grund für die Niederlage der Sozialdemokraten: Es wurde nämlich ein Stil für die Kampagne gewählt, dessen Grundlage einfache Versprechen den Wählern gegenüber waren. So, wie die Sozialdemokraten vor zwei Jahren die Kreiswahlen dadurch gewonnen haben, dass sie die Aufhebung der Ambulanzgebühr in Höhe von 30 Kronen versprachen, wurde diesmal die Ausbezahlung einer Zusatzrente versprochen, was aber die Wähler gar nicht lockte. Gleichzeitig ließen sich die Sozialdemokraten auf keinerlei Diskussion ein. Als die Medien, die tatsächlich mehrheitlich liberal ausgerichtet sind, diese Themen kritisierten, beging Paroubek den Fehler, dass er gegen die meisten Medien einen Boykott verhängte. Wie sich zeigte, hat das die Partei nur beschädigt.“ Eine umfassende Analyse des Wahlergebnisses steht bei den Sozialdemokraten noch aus. Sie wird höchstwahrscheinlich auf dem vorgezogenen Parteitag präsentiert werden. Dennoch: Was sollte die Partei künftig anders machen – außer vielleicht bessere Beziehungen zu den Medien zu pflegen, will sie in vier Jahren bei den Wahlen besser abschneiden, wenn nicht gar gewinnen? Gibt es vielleicht ein Thema, welches die Sozialdemokraten bei ihrer Wahlwerbung völlig außer Acht ließen? Dazu meint der Journalist Petr Holub:„Aus meiner Sicht muss nicht alles anders gemacht werden. Letzten Endes haben die Sozialdemokraten die Wahlen gewonnen und im Vergleich zu 2006 sogar weniger Stimmen verloren, als die Bürgerdemokraten. Was der Partei fehlt, ist ein durchdachtes Programm und insbesondere Politiker, die im Stande wären dieses Programm den Wählern gegenüber zu vertreten. Die Methode den Wählern etwas derart einfach Gesticktes zu versprechen, wie zusätzliche Renten, die Regulierung der Strom- und Gaspreise, oder ein generelles Kündigungsverbot usw., scheint mir etwas altmodisch zu sein. Damit konnten sozialdemokratische Parteien vielleicht irgendwann im 19. Jahrhundert Erfolge feiern, aber nicht heutzutage. Die Bürgerdemokraten haben zwar verhältnismäßig weitaus mehr Stimmen eingebüßt als die Sozialdemokraten, sie waren aber im Stande auf deren viele Versprechen zu reagieren und die möglichen Konsequenzen aufzuzeigen. Für die Sozialdemokraten heißt das also, dass sie weitaus komplexer denken müssen, womit sie an Glaubwürdigkeit gewinnen können, und glaubwürdig zu sein ist vor Wahlen absolut unverzichtbar.“
Eine wichtige Frage ist jene nach dem neuen Parteivorsitzenden. Jiří Paroubek hat nach seinem abrupten Abgang am Wahlabend eine ziemliche Lücke hinterlassen. Wie es scheint, gibt es derzeit zwei ernste Bewerber um den Parteivorsitz – den früheren Finanzminister und Paroubeks ersten Stellvertreter an der Parteispitze, Bohuslav Sobotka und den jetzigen Kreishauptmann von Südmähren und früheren Fraktionschef Michal Hašek.Auch wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich noch weitere Interessenten melden werden, gelten Sobotka und Hašek zu den aussichtsreichsten Kandidaten. Wer von den beiden wäre in der jetzigen Situation für die Partei der Bessere Vorsitzende? Petr Holub von der Internetzeitung aktualne.cz:
„Es gibt da noch eine Frage, die eine wichtige Voraussetzung für die Frage darstellt, ob Hašek oder Sobotka der bessere Vorsitzende wäre, und zwar die im Herbst anstehenden Kommunal- und Senatswahlen. Es ist fraglich, ob es für eine Partei, wie die Sozialdemokraten, geschickt ist die Niederlage bei einer Wahl auf einem Parteitag öffentlich am Vorabend von weiteren Wahlen zu diskutieren? Das käme einem politischen Abenteuer gleich. Als seinerzeit die rechtsliberale ODS im Jahr 2002 die Wahlen verlor und Václav Klaus zurücktrat, hat man die Wahl des Nachfolgers bewusst auf die Zeit nach den auch damals anstehenden Herbstwahlen verlegt. Wenn die Sozialdemokraten nichts riskieren wollen, dann wäre es klug eine neue Führung erst im November zu wählen und bis dahin die Partei vom Tandem Sobotka-Hašek führen zu lassen. Jetzt wird es darum gehen genau abzuwägen, was besser ist – entweder schnell versuchen für klare Verhältnisse zu sorgen und rasch einen neuen Vorsitzenden zu wählen, oder ob es nicht besser wäre, wenn dieses politische Abenteuer eben jetzt nicht stattfinden würde.“ Für völlig gleichwertige Bewerber hält Bohuslav Sobotka und Michal Hašek auch der Politikwissenschaftler Zdeněk Zbořil von der Prager Karlsuniversität. Seiner Meinung nach wäre der Unterschied zum früheren sozialdemokratischen Vorsitzenden Jiří Paroubek schon auf den ersten Blick sichtbar:„Beide haben im Vergleich zum bisherigen Vorsitzenden Jiří Paroubek viele Vorzüge. Herr Sobotka hat mehr Regierungserfahrung, weil er Finanzminister war. Hašek ist wiederum ein erfahrener Parlamentarier und nicht nur Kreishauptmann in Südmähren, sondern auch Chef der informellen Kreishauptleute-Konferenz. Das bedeutet, dass er bestens vernetzt ist und sich sein Einfluss nicht nur auf Südmähren beschränkt. Beide Politiker können für ihre Partei von Vorteil sein und werden höchstwahrscheinlich den politischen Stil der Sozialdemokraten ändern. Das einzige Fragezeichen ist, wie Hašek oder Sobotka, die ja beide aus Mähren stammen, in Böhmen ankommen können. Der starke Kreis Ustí/Aussig, wo auch Jiří Paroubek kandidierte, könnte vielleicht eher für Sobotka stimmen, aber in den anderen böhmischen Kreisen ist das offen, weil die Sozialdemokraten dort nicht überlegen gewonnen haben.“
Die neue Personallösung für die sozialdemokratische Partei kann laut Zbořil nicht nur symbolisch, sondern auch faktisch einen neuen Aufbruch signalisieren. In erster Linie könnten zusammen mit Sobotka oder Hašek auch jüngere Politiker in die Führungsgremien der Partei aufrücken, wie der Politikwissenschaftler Zdeněk Zbořil abschließend hinzufügt:„Die Idee, dass entweder Bohuslav Sobotka oder Michal Hašek zu Vorsitzenden der sozialdemokratischen Partei gewählt werden könnten, ist ein wichtiger Ausgangspunkt für alle weiteren Änderungen. Beide sind eine politische Generation jünger als Paroubek und können somit die unvermeidliche Generationsänderung einleiten. Die Sozialdemokraten sind ja heute, statistisch gesehen und was das politische Spitzenpersonal angeht, sogar noch eine etwas ältere Partei, als die Kommunisten. Zum Vergleich: Die kommunistischen Funktionäre und Spitzenpolitiker sind im Schnitt fast fünf Jahre jünger. Eine weitere Voraussetzung für künftige Erfolge wäre ein stärkerer Akzent auf eine programmatische Ausrichtung der Partei. Ein klares Programm bietet einen gewissen Anker. Auch wenn programmatisch ausgerichtete Parteien heutzutage Mangelware sind, wird deren Zeit wieder kommen. Für die Sozialdemokraten würde das dann bedeuten, dass sie eine traditionelle Politik des gesellschaftlichen Ausgleichs betreiben müssten. Wenn sich die Partei schon als sozialdemokratisch bezeichnet, sollte sie auch so reden.“