Missbrauch von EU-Geld in Süd- und Westböhmen – viele Projekte bedroht
Den tschechischen Regionen stehen eigentlich mehrere Milliarden Euro aus EU-Fonds für vielfältige Projekte zur Verfügung. In Süd- und Westböhmen wurden jedoch schon im März alle Projekte vorläufig gestoppt. Der Grund: Die Polizei ermittelt wegen möglichen Betrugs bei der Verteilung der Gelder aus Brüssel. Vielen Gemeinden und Organisationen entstehen deshalb große finanzielle Schäden.
Vor etwa vier Jahren schrieben die tschechischen Zeitungen die Schlagzeile: „Der Republik ist es gelungen, die höchsten EU-Subventionen je Einwohner in ganz Europa auszuhandeln.“ Konkret bedeutet das, dass Tschechien für die Zeit bis 2012 Zuschüsse aus Brüssel in der Höhe von 750 Milliarden Kronen erhält (30 Milliarden Euro). Dieses Geld soll helfen, den Lebensstandard in Tschechien an den EU-Durchschnitt anzugleichen.
Umgerechnet rund 680 Millionen Euro aus dem Topf sollen in die Region Süd- und Westböhmen fließen. Die beiden zuständigen Kreisbehörden gründeten deshalb eine gemeinsame Verwaltungsanstalt mit dem Namen „Regionalrat Südwest“. Sie sollte die Geldverteilung lenken. Ihr Sitz wurde die südböhmische Stadt České Budějovice / Budweis und ihr Direktor der damals 28-jährige Jiří Trnka. Wie er 2007 sagte, seien die EU-Gelder eine einmalige Finanzierungsmöglichkeit für die Region.„Die Kreisbehörden haben der Verbesserung des Verkehrsnetzes die höchste Priorität gegeben. Das bedeutet konkret dem Um- und Ausbau von Straßen, der Erweiterung des öffentlichen Nahverkehrs und der Modernisierung des ehemaligen Militärflughafens nahe Budweis, um ihn für den internationalen Zivilbetrieb zu nutzen. Darüber hinaus wird alles unterstützt, was mit dem Fremdenverkehr verbunden ist: Kurgebäude, Hotels, kulturelle Sehenswürdigkeiten und weitere touristische Attraktionen. Die Gemeinden können zudem EU-Mittel für Projekte im sozialen Bereich, im Gesundheitswesen und im Schulwesen erhalten.“
Alles schien ganz einfach: Kommunen, Unternehmer oder Nichtregierungs-Organisationen erstellen ein Projekt und beantragen die Finanzierung beim Regionalrat. Dort werden die Projekte nach Punkten bewertet und nach dieser Einschätzung erhalten die Bewerber die Gelder. Schon bald aber kam es zu Komplikationen: Die meisten Antragsteller waren nicht in der Lage, ihr Projekt ohne Hilfe durch eine Beratungsfirma zu beantragen. Projekte wurden abgelehnt, aber den erfolglosen Antragstellern wurde nicht ermöglicht, ihre Projekte mit den erfolgreichen Eingaben zu vergleichen. Bei einigen Antragstellern kam so langsam der Verdacht auf, dass die Verteilung der Gelder durch Korruption beeinflusst sein könnte. Einige Bürgermeister formulierten ihren Verdacht in einem offenen Brief an die verantwortlichen Politiker. Auch Pavel Hroch, der Bürgermeister von Kovářov, hat den Brief unterschrieben:„Unsere Gemeinde hat bereits vier Projekte vorgelegt, aber keines von ihnen wurde angenommen. Alle damit verbundenen Mühe und Kosten waren sinnlos. Wir haben zum Beispiel die Renovierung und Wärmeisolierung des Kindergartengebäudes geplant. Dann haben wir 8,5 Millionen Kronen beantragt für die Sanierung der etwa 7,5 Kilometer Straßen im Ort, also rund eine Million Kronen je Kilometer Länge. Auch dieses Gesuch wurde abgewiesen. Ich weiß aber, dass eine andere Gemeinde 13 Millionen Kronen für 5,3 Kilometer beantragt hat und damit erfolgreich war. Wir waren wohl einfach zu bescheiden. Der nächste Versuch war die Renovierung der sanitären Anlagen auf dem Kinderspielplatz – auch der war vergeblich.“Die Projekte wurden alle nicht wegen formaler Mängel abgelehnt, sondern weil sie zu wenige Punkte erhalten hatten. Das heißt, die Gutachter haben sie nicht für dringend befunden.
„Alle unsere Projekte wurden meiner Meinung nach absichtlich gering bepunktet. Einer der Gutachter sagte mir, dass unser Projekt sehr gut geplant sei und vielleicht die nötige Punktzahl erreichen könnte, aber es fehle die Angabe, wie viele Rollstuhlfahrer die Straße benützen würden. Da weiß ich auch nicht, was ich denken soll. Ein anderer Kommentar lautete, unsere Region sei wirtschaftlich schwach, aber die Gemeinde habe relativ wenig Arbeitslosigkeit. Sollen wir also unsere Bewohner ermahnen, dass sie lieber nicht arbeiten gehen und sich stattdessen beim Arbeitsamt melden? Vielleicht bekämen wir ja dann Subventionen. Weil aber unsere Leute erwerbstätig sind und den Staat nichts kosten, sind wir nicht in der Lage, EU-Mittel zu erhalten“, so Bürgermeister Hroch. Der Protest der Bürgermeister klang nach einer gewissen Zeit scheinbar erst einmal wieder ab. Einer der erfolglosen Bewerber erhob jedoch Anklage gegen unbekannt. Damit kam erneut Bewegung in die Sache. Im vergangenen Jahr konfiszierte die Polizei bei einer Durchsuchung im Büro des Regionalrates einige wichtige Unterlagen. Kurz danach wurde der Direktor des regionalen EU-Programms „Südwest“, Jiří Trnka, verhaftet. Zweien seiner Mitarbeiter wurde zudem Amtsmissbrauch vorgeworfen. Das Finanzministerium reagierte mit einer Aufforderung an beide zuständigen Kreise, die Auszahlung jeglicher EU-Gelder vorläufig zu stoppen. Denn die Kreishauptfrau aus Plzeň / Pilsen, Milada Emmerová, ist Vorsitzende des Regionalrates und der Landeshauptmann aus Budweis, Jiří Zimola, ihr Vertreter. Der betonte, dass die polizeilichen Untersuchungen bisher keinen Fall von Korruption nachgewiesen haben.„Angeblich soll es zu einer Manipulation bei der Punktewertung gekommen sein, aber für Bestechung gibt es keine Indizien. Das hat mir die Polizei mehrmals bestätigt. Das System ist meiner Meinung nach grundsätzlich gut, aber es ermöglicht bestimmten Beteiligten, auf sonderbare Weise vorzugehen. Deswegen wird jetzt gegen sie ermittelt“, so Jiří Zimola.
Die Auszahlung europäischer Finanzmittel ist in Süd- und Westböhmen erst einmal nicht möglich, weil die Regionalpolitiker beschlossen haben, 177 Projekte aus der letzten Zeit erneut zu prüfen. Zuvor abgelehnte Bewerber freuen sich, die erfolgreichen sind wütend. So zum Beispiel die katholische Pfarrgemeinde Žihobce. Sie konnte im November vergangenen Jahres ihr Projekt zur Renovierung der Kirche durchsetzen. Die Bauarbeiten begannen in Februar, der Vertrag über die Zuschüsse wurde jedoch bisher nicht unterschrieben. Dies stellt die Pfarrgemeinde nun vor große Probleme, denn sie muss die Rechnungen der Baufirma zahlen. Deshalb hat sie eine Klage gegen den Regionalrat „Südwest“ eingereicht. Sie schreibt dort:„Der erfolgreiche Bewerber wird laut dem Gesetz automatisch Empfänger der Zuschüsse. In diesem Gesetz ist auch geregelt, dass das Verwaltungsorgan die Angelegenheiten unverzüglich regelt, damit niemandem Verluste entstehen. Da die Vorsitzende des Regionalrates entschieden hat, die Verträge mit den erfolgreichen Bewerbern erst einmal nicht zu unterschreiben, hat sie erheblich in die Rechte unserer Pfarrgemeinde eingegriffen. Wir sind deswegen gezwungen, die Banken um einen zusätzlichen Kredit zu ersuchen, was uns unerwartete Kosten verursacht.“In ähnlicher Situation befinden sich jetzt mehr als 200 Gemeinden und Organisationen, die für ihre Projekte bereits eine Zusage erhielten. Wahrscheinlich werden einige von ihnen sich der erwähnten Klage der Pfarrgemeinde Žihobce anschließen. Denn, wann das Geld aus Brüssel wieder freigegeben wird, das steht noch in den Sternen.