Sven Regener: „Ich bin nicht Frank… - und der Sänger von U2 kann mich mal“
Sven Regener ist lange Zeit nur als Musiker bekannt gewesen, als Texter, Sänger und Trompeter der mittlerweile schon legendären Band Element of Crime. Die Poesie seiner Songtexte bewegt sich zwischen Melancholie, gepflegtem Phlegmatismus und bissigem Humor. Das sind auch wesentliche Eigenschaften seines 80er-Jahre-Romanhelden Herr Lehmann. Die Trilogie um den Berliner aus Bremen wurde zu einem Bestseller des Jahrzehnts. Der erste Teil erschien vor kurzem auf Tschechisch. Der Autor Sven Regener ist in diesem Jahr Gast auf der Prager Buchmesse, eingeladen vom Goethe-Institut Prag im Rahmen des Projektes „Das Buch“. Christian Rühmkorf hat Sven Regener vor das Mikrofon gebeten.
Herr Regener, Sie sind der deutschsprachige Stargast auf der Prager Buchmesse. Kennen Sie diese Stadt und dieses Land ein wenig?
„Ich war ein Mal in Prag. Das war vor sechs, sieben Jahren. Das war so eine Tagung, die vom Literarischen Kolloquium Berlin aus organisiert war. Da trafen wir uns mit irgendwelchen Übersetzern, mit verschiedenen Literaten. Das war so eine Art Schulausflug. Gruselig. Und wir haben denen unsere Bücher vorgestellt, um ihr Interesse für Übersetzungen zu wecken. Das hatte damals nicht so viel gebracht. Aber jetzt ist das Buch herausgekommen, „Herr Lehmann“, und das ist natürlich super. Ich meine, da muss man auch etwas für tun. So eine Übersetzung ist ja auch ein Risiko für den Verlag. Und da sollte man dann nicht scheu sein. Aber im Grunde genommen, war es das einzige Mal, dass ich hier war. Und es ist eigentlich eine Schande, dass man ein Land, das ja auch so nah ist - vor allem von Berlin aus - dass man das so selten sieht.“
Einen Bezug habe ich doch bei Ihnen gefunden. Ihre erste Band in Berlin hieß Zatopek. Wie sind Sie gerade auf den berühmten tschechischen Langstreckenläufer als Namensgeber gekommen, auf die „Lokomotive“, wie Emil Zátopek genannt wurde?„Ich war an dem Prozess nicht beteiligt, ich kam erst später zu der Band dazu, als sie schon existierte, aber auch schon einen Plattenvertrag hatte. Das war eine ganz interessante Band für damals. Das war 1981 und ich bin 1982 dazu gekommen. Ich glaube, die haben das immer damit begründet, dass der Zátopek immer gewonnen hat, obwohl er so einen unmöglichen Laufstil hatte. Und so hat sich die Band selber auch gesehen. Das hat aber leider nur für eine Platte gereicht. Aber im Grunde genommen war da was dran, denn die Band war tatsächlich ziemlich unmöglich, aber auf eine lustige Weise.“
Ihr Bestseller Herr Lehmann ist vor kurzem auch auf Tschechisch erschienen Die tschechische Ausgabe heißt übersetzt: „Noch eins, Herr Lehmann!“ Das ist schon nicht mehr so hübsch-trocken wie der Originaltitel: Herr Lehmann. Wie sehr haben Sie Einfluss auf die Übersetzungen?„Ach, ich nehme da eigentlich keinen Einfluss, ich bin da nicht so sehr Kontroll-Freak. Ich denke, das ist letztendlich ohnehin schon ein großes Geschenk, wenn in einem anderen Land, in einer anderen Sprache sich jemand die Mühe macht und ein Verlag das Risiko eingeht, so etwas zu unternehmen. Dann sollte man dem auch nicht im Wege stehen. Ich würde nicht die Verantwortung dafür übernehmen wollen zu sagen: ´Leute, so geht das nicht´. Und dann muss man auch ein bisschen Respekt haben und auch mal Fünfe gerade sein lassen.“
Wie ihr Roman-Held Herr Lehmann sind auch Sie von Bremen nach Berlin gegangen, 1982. Warum nach Berlin? War das cooler als Bremen oder Hamburg?„Bei mir war das ein bisschen anders als bei Frank Lehmann. Der ist ja wegen seines Bruders oder vielmehr weil er in Bremen gescheitert ist, nach Berlin gegangen. Ich bin eigentlich als Student nach Westberlin gekommen, damals wegen einer Frau. Ich habe in Hamburg angefangen zu studieren, aber fand das auch nicht so toll. Ich habe dann eine Freundin gehabt, und die ging dann nach Berlin. Ich bin dann ein Jahr später hinterher gezogen, weil mir das zu blöd war immer hin und her zu fahren. Ich habe es nie bereut, nach Westberlin gezogen zu sein. Da ging das für mich eigentlich alles richtig los, auch mit der Musik. Man konnte gleich mitmachen. Westberlin oder generell Berlin ist eine Stadt, wo jeder, der kommt, gleich mitmachen kann. Im Gegensatz zu Hamburg, wo man immer das Gefühl hat, man muss sich erstmal rechtfertigen, wer man ist, warum man da ist. Man muss erstmal fünf Jahre dort wohnen, bevor man quasi geduzt wird. Und das ist in Berlin nicht so gewesen, weil Berlin - glaube ich - so eine Art von Einwandererstadt ist. Nach fünf Minuten ist jeder dabei.“
Herr Lehmann taucht in eine ihm völlig fremde Welt ein, in Berlin Kreuzberg, wo sich Künstler und Pseudokünstler tummeln, fernab vom Westen. Lehmann ist völlig ambitionslos, will einfach nur Barmann sein. Was ist das Thema der Figur Lehmann?„Dass jemand darum kämpft, dass seine Existenz auch dann eine Würde hat, wenn sie nicht sehr glamourös ist. Also allein schon so etwas wie ´ambitionslos´ zu sagen, ist ja eigentlich ein negatives Etikett, nämlich dass ihm eine Eigenschaft abgeht. Und niemand fragt sich: Was heißt denn Ambition in diesem Zusammenhang? Was ist denn sein Fehler? Dass er nichts anderes machen will, als Barmann zu sein? Ist das wirklich ein Fehler oder ist das nicht ein Ausdruck davon, dass jemand einen Weg gefunden hat, wie er sich ernährt, wie er eine Arbeit gefunden hat, die er gerne und gut macht? Darum muss er ja kämpfen. Das ist ja der Punkt, dass er selbst in dieser Freak-Umgebung in Kreuzberg - wo alle anderen, die was Ähnliches machen wie er, eigentlich Künstler sind oder so etwas - dass er der Einzige ist, der sagt: ´Ne, ich will nur an der Bar arbeiten. Das interessiert mich, das macht mir Spaß, das find ich gut´. Und er kämpft darum, er kämpft um die Würde seiner Existenz. Und das macht ihn zum interessanten Helden. Das ist der Grundkonflikt bei diesem Buch. Der Versuch eine würdige und selbständige Existenz zu führen.
Wie nah sind sich da gerade in dieser Frage Herr Lehmann und Sven Regener?„Also bei mir ist das ja eher umgekehrt. Ich bin ja eigentlich eher eine von diesen Randfiguren, der ganzen Leute, die zwar auch diese Jobs machen, die aber eigentlich Künstler sind, die also so eine Art Karriere verfolgen. Ich habe Frank deshalb auch immer bewundert, weil er anders ist als ich. Ich fand auch immer interessant, wie es ist, wenn man sozusagen mit einem anderen Prinzip diese Dinge macht. Alle reden immer davon, im Hier und Jetzt zu leben. Frank Lehmann tut es, und alle sagen ihm, das geht nicht. Ich bin nicht Frank. Das hat es mir auch leichter gemacht, die Bücher zu schreiben. Denn ich glaube, mein eigenes Leben wollte ich auch nicht erzählen. Das ist mir dann zu langweilig. Das habe ich alles schon mal erlebt. Das kannte ich schon.“
Ein Teil der Geschichte, eben „Herr Lehmann“, der jetzt hier in Tschechien herausgekommen ist, spielt in Berlin, im Kreuzberg der 80er Jahre. Eine ganz besondere Zeit. Glauben Sie, dass Tschechen, die nun wirklich einen ganz anderen Erfahrungshintergrund haben - nicht dieses Ost-West, diese Spaltung usw. - dass die etwas mit Herrn Lehmann anfangen können, mit diesem Lebensgefühl?„Na ja, also erstmal hat das Buch auch ein paar gute Witze. Also es hat eine Menge guter, lustiger Stellen. Es ergibt sich eine Menge Komik aus der ganzen Geschichte. Gleichzeitig ist es so, dass wir ja alle auch gerne Bücher aus anderen Ländern lesen, weil wir nicht nur uns selber im Spiegel wiedersehen wollen, sondern in den Büchern auch etwas über die anderen Leute erfahren wollen. Natürlich war das Leben dort in Westberlin speziell sowieso einzigartig. Eine Enklave des Westens mitten im Ostblock mit dieser Mauer drum rum und dieser ganzen Paranoia, die damit einher ging, mit diesem Besatzungsstatus und all diesen Sachen. Eine sterbende Stadt eigentlich mit ganz vielen alten Leuten und ganz vielen Freaks, die diesen Status ausnutzen, um da billig leben zu können, wodurch auch ihre eigene Existenz etwas Bedeutendes bekommt. Und das ist ein Teil dieses großen Liedes, das hier gesungen wird. Aber das Universelle an der Figur selbst, das ist was anderes. Das ist das, was ich eben gesagt habe: Ich glaube, dass es - für Frank jedenfalls - um die Frage geht, ob es möglich ist, ein selbstbestimmtes Leben zu führen auch dann, wenn die Umwelt diese Art von Leben missbilligt, obwohl sie dazu gar kein Recht hat. Aber er lässt sich nicht beirren, und das finde ich sehr bewundernswert. Ich habe den immer sehr geliebt, obwohl mein Leben auch nicht so verlaufen ist. Und tatsächlich habe ich auch in Deutschland die Erfahrung gemacht: Auch in München wird das Buch goutiert. Also man muss nicht da gelebt haben, man muss darüber auch nicht viel wissen, weil es im Grundkonflikt ja vor allem darum geht: Wie behaupte ich mich selbst?"
Sie waren mal ein politisch engagierter Mensch, im Kommunistischen Bund Westdeutschlands organisiert. Wenn man Sie heute in Interviews reden hört, dann wirken Sie eher unpolitisch. Stimmt der Eindruck?„Ich gebe nicht gerne politische Interviews, weil ich da keinen Zusammenhang sehe. Interviewt werde ich als Künstler. Und die Verquickung von Kunst und Politik halte ich auch für etwas sehr Problematisches. Weil die Kunst ja eigentlich für das Gefühl zuständig ist und sich an das Gefühl richtet, und die Verbindung von Politik und Gefühl halte ich für sehr gefährlich und problematisch. Also: So wenig wie ich ein Interesse daran habe, ein Interview mit Angela Merkel zu lesen, wo es darum geht, wie sie Schubert, Mozart und Brahms findet, so wenig interessiert mich die politische Einstellung von dem Sänger von U2. Der kann mich mal! Das interessiert mich nicht. Ich mag entweder die Musik oder ich mag sie nicht. Und ich sehe keine spezielle Verbindung dazwischen, denn das wäre ja sehr problematisch: Nehmen wir mal an, ich mag seine Musik nicht. Muss ich dann auch das ablehnen, was er politisch sagt, oder wie ist das? Darum tut man gut daran - wenn man für die Vernunft ist und für die Aufklärung - dass man die beiden Sachen voneinander trennt. Ja, ich muss nicht zu jedem Quatsch meinen Senf zugeben und die Welt braucht es auch nicht. Und ich will auch nicht, dass am Ende der gewählt wird, der am schönsten singt.“
Ich weiß, dass Herr Lehmann und Sven Regener nicht identisch sind. Dennoch vielleicht die Frage: War das Romane-Schreiben für Sie eine Möglichkeit Distanz zu gewinnen zu ihrer eigenen Vergangenheit, zu ihrem eigenen Leben, oder standen Sie immer schon über den Dingen, ein bisschen wie Herr Lehmann?„Ich glaube gar nicht, dass Herr Lehmann über den Dingen steht, und ich tue es auch nicht. Und letztlich ist jeder Mensch bestrebt, Distanz zu seiner Vergangenheit zu finden oder zumindest einen Überblick zu bekommen oder überhaupt zu begreifen, was da mit ihm passiert ist. Und das ist ein sehr rätselhafter Prozess. Ich hatte einfach eine Idee für diese Romane und dann habe ich die geschrieben, weil ich daran interessiert war, dass diese Romane in die Welt kommen. Und ich war an dieser Figur interessiert. Die ist mir quasi irgendwann einfach zugelaufen. Ich hatte die Idee für das Buch zum ersten Mal so Anfang der 90er Jahre, also ungefähr acht, neun Jahre früher, als ich es dann tatsächlich begonnen habe. Ich habe erst Anfang 2000 begonnen zu schreiben. Und ich glaube, diese zeitliche Distanz war auch wichtig - dass das Jahr 1989 dann auch schon zehn, elf Jahre zurück lag und man in der Erinnerung die Sachen auch ganz neu und noch mal mit anderen Augen sehen kann. Also dass man die Distanz gewonnen hat zu der eigenen Vergangenheit, war wichtig, um das Buch zu schreiben. Nicht so sehr, dass man das Buch schrieb, um die Distanz zu gewinnen.“
Während viele Leute im fortgeschrittenen Alter immer häufiger das Wort „damals“ in den Mund nehmen und dabei oft glänzenden Auge kriegen, scheinen Sie einen recht unprätentiösen Umgang mit Ihrer Vergangenheit zu haben oder zu pflegen. Ist das eine Frage der Persönlichkeit, ihrer reifen Persönlichkeit, oder beruht das auf Erkenntnis?„Na ja, weder noch. Ich glaube, das ist einfach eine Frage der Mentalität, also wie man so drauf ist. Ich glaube, das hat vielleicht auch was damit zu tun, dass ich – wie vielleicht jeder Mensch – zur Melancholie neige. Und die wird ja vor allem ausgelöst durch diesen Rückblick in die Vergangenheit. Gleichzeitig will ich das aber auch nicht unbedingt. Das wird mir dann zu stark. Und deshalb versuche ich auch, das einigermaßen pragmatisch hinter mich zu bringen, das pragmatischer zu sehen. Also je älter ich werde, desto leichter fällt mir das – dass man einen entspannteren Umgang mit dem pflegt, was früher war. Ich habe aber mit Nostalgie immer ein Problem, weil sie immer was Verklärendes hat. Es gibt den schönen Satz: ´Nostalgie ist die Erinnerung an eine Zeit, die es niemals gab, an eine Welt, die es niemals gab´. Und so ist es ungefähr. Das ist immer so ein verklärender Blick. Man muss da jedenfalls aufpassen.“