Mikronesien, ein böhmisches Kohlekraftwerk und der Kampf gegen Klimawandel

Die tschechische Regierung wackelt. Die Grünen haben die Unterstützung für das Übergangskabinett aufgekündigt, seit dem Wochenende drohen die Bürgerdemokraten mit einem Boykott durch die von ihnen nominierten Minister, und Premier Fischer versucht zu beschwichtigen. Eine Regierungskrise mag zwar knapp zwei Monate vor den Wahlen keine wirkliche Bedrohung für politische Stabilität in Tschechien sein, aber die Erschütterung ist durchaus groß. Hintergrund all dessen ist der Streit um das Kohlekraftwerk Prunéřov II am Rande des Erzgebirges. Wegen des Kraftwerks war der von den Grünen nominierte Umweltminister Dusík zurückgetreten und am Montag aus Loyalität auch noch Michael Kocáb als zweiter von den Grünen nominierter Minister. Doch worum geht es beim Streit um das Kohlekraftwerk Prunéřov?

Leise branden Wellen an die Küste von Mikronesien. Doch die Idylle trügt: Der kleine Inselstaat im Westpazifik droht so langsam im Meer zu versinken. Der Meeresspiegel dort steigt, Wissenschaftler halten dies für eine Folge des Klimawandels. Die größten Verursacher des Klimawandels sind die Industriestaaten der Welt, unter ihnen Tschechien.

Prunéřov  (Foto: Petr Štefek,  Wikimedia)
Szenenwechsel: 13.000 Kilometer von Mikronesien entfernt, auf dem Schornstein des Kohlekraftwerks Prunéřov II in Nordböhmen. Zugig ist es auf dem 300 Meter hohen Bau, aber Aktivisten von Greenpeace kämpfen auch dort oben gegen den Untergang Mikronesiens. Denn das Südseeatoll hat Tschechien Ende vergangenen Jahres offiziell gebeten, bei der Modernisierung des Kraftwerks modernere Technik einzusetzen, als geplant. Mit dieser moderneren Technik ausgerüstet, könnte das Kohlekraftwerk noch einmal fünf Prozent weniger Kohlendioxid ausstoßen. Jan Rovenský von Greenpeace erläuterte Anfang vergangener Woche vom Schornstein aus per Funkverbindung dem Tschechischen Rundfunk:

Jan Rovenský
„Das mag zwar wenig klingen, aber im Jahr würden 200.000 Tonnen weniger Kohlendioxid emittiert. Auf die Gesamtlaufzeit des Kraftwerks gerechnet sind das über sechs Millionen Tonnen. Über eine solche Zahl zu reden macht Sinn. Wenn man das auch noch mit Mikronesien vergleicht, das sich in die Umweltverträglichkeitsprüfung für Prunéřov eingeschaltet hat, dann entspricht diese Menge genau den jährlichen Kohlendioxid-Emissionen des gesamten Inselstaates.“

Doch wie kommt das Südseeatoll eigentlich dazu, sich in ein Kraftwerksprojekt einzumischen, das am anderen Ende der Welt liegt? Mikronesien hat sich ganz einfach das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung in Tschechien zunutze gemacht. Bei solch einer Prüfung können auch Einwände aus dem Ausland berücksichtigt werden. Allerdings haben dies bisher praktisch nur Nachbarstaaten wie Österreich oder Deutschland getan. Beim tschechischen Umweltministerium herrschte daher über das Gesuch aus der Südsee Verwunderung und Verständnis zugleich:

„Mit einem ähnlichen Antrag habe ich bis heute noch nicht zu tun gehabt. Auf der anderen Seite gibt es eine Liste der weltweit größten Umweltverschmutzer, das sind verschiedene Firmen und Kraftwerke, die unterschiedliche Emissionen ausstoßen. Und Prunéřov taucht in dieser Liste immer wieder mal auf, weil es im europäischen wie im weltweiten Maßstab eine der größten Schadstoffquellen ist. Aus dieser Sicht geht es also nicht um irgendein Kraftwerk und deswegen, glaube ich, hat sich Mikronesien an uns gewandt“, so Pavel Zámyslický, Leiter der Abteilung Klimaschutz im Umweltministerium.

Aber natürlich ist das nicht die ganze Wahrheit. Denn Mikronesien wird von Greenpeace unterstützt und mit Informationen über das böhmische Kohlekraftwerk versorgt. Es sind auch ursprünglich gerade Greenpeace und weitere Umweltverbände in Tschechien, die darauf drängen, dass die Anlage aus den 60er Jahren die allermodernste Technik erhält.

Prunéřov  (Foto: Petr Štefek,  Wikimedia)
Der Kraftwerksbetreiber, der Energiekonzern ČEZ, stimmt einer Modernisierung allgemein zu. Umgerechnet fast eine Milliarde Euro will das Unternehmen investieren, um eine bessere Energieumwandlung in Prunéřov II zu erreichen. Bisher wurde dort Braunkohle nur mit 32 Prozent Wirkungsgrad verfeuert. Die tschechischen Umweltverbände wollen, dass in Zukunft die EU-Empfehlung von mindestens 42 Prozent Wirkungsgrad erreicht wird. ČEZ behauptet, das Modernisierungsprojekt leiste genau dies. Doch die Umweltschützer zweifeln daran und auch das Umweltministerium in Prag. Das Ministerium hat deswegen das Projekt im Januar noch einmal von einer unabhängigen norwegischen Beraterfirma beurteilen lassen. Auch bei Jan Rovenský von Greenpeace landete die Studie der Norweger auf dem Tisch:

„Die Studie sagt ganz eindeutig: Das Projekt erreicht nicht den minimalen Wirkungsgrad von 42 Prozent, es sind zwei bis drei Prozent weniger.“

Zwei Prozent weniger Wirkungsgrad, das entspricht fünf Prozent mehr CO2-Emissionen. Eben jenen fünf Prozent, die dem Jahresausstoß von Mikronesien entsprechen.

Martin Kocourek
Doch ČEZ will nicht mehr Geld als geplant in die Technologie investieren. Zusätzliche Investitionen würden sich bei Prunéřov II nicht mehr rechnen, heißt es aus der Führungsetage der Firma. Eine Modernisierung rüstet das Kraftwerk für weitere 40 Jahre Laufzeit, doch die Kohlevorräte im nordböhmischen Becken würden bereits in 25 Jahren zu Ende gehen. Der ČEZ-Aufsichtsratsvorsitzende Martin Kocourek hält es daher für fatal, weitere Milliarden Kronen für noch modernere Technik auszugeben und hat vorgeschlagen, an anderer Stelle zu kompensieren:

„Wenn man zehn Milliarden Kronen verschwendet, dann muss sich das irgendwo negativ auswirken. Wahrscheinlich steigen dann die Strompreise und ČEZ würde auf diese Art seine Konkurrenzfähigkeit verlieren. Es ist also eine Frage der Abwägung, denn die Senkung von Emissionen lässt sich auch mit anderen Projekten erreichen. Das heißt, die ökologische Erneuerung aller Kraftwerke muss im Gesamtzusammenhang gesehen werden.“

Zehn Milliarden Kronen sind im Übrigen rund 380 Millionen Euro, also mehr als ein Drittel der bisher geschätzten Kosten zusätzlich. Umweltverbände bezweifeln hingegen die Summe. Und auch Umweltminister Dusík konnte in den Unterlagen zur Umweltverträglichkeitsprüfung keinen Vergleich zwischen der teureren Variante mit modernster Technik und der ursprünglichen Variante finden. Genau dies bemängelt auch die Studie aus Norwegen, die der Umweltminister vor etwa zwei Wochen erhielt. Kurz darauf traf Dusík mit Premier Fischer zusammen. Der Minister verlangte, dass ČEZ entweder eine neue Variante für die Modernisierung ausarbeite oder konkrete Kompensationsmaßnahmen nenne. Doch Fischer forderte von Dusík, die Entscheidung über Prunéřov II nicht weiter hinauszuzögern. Weil der Umweltminister sich unter Druck gesetzt fühlte, trat er zurück. Und so nahmen die Wirren um die Übergangsregierung ihren Anfang.

Nun wird Landwirtschaftsminister Šebesta als kommissarischer Umweltminister entscheiden müssen. Ob er das aber in der von Fischer geforderten Geschwindigkeit kann, das bleibt abzuwarten. Er wird sich in die komplexe Materie erstmal einarbeiten müssen. Und in weniger als zwei Monaten wird in Tschechien ein neues Parlament gewählt.