Ein Lied wird zum Symbol der Samtenen Revolution

Marta Kubišová en 1968

Am 17. November 1989, genau vor 20 Jahren, erlebten die Tschechen den Beginn ihrer Samtenen Revolution gegen das kommunistische Regime. Besonders ein Lied ist es, das in den Tagen des Umbruchs den Ton angibt: „Das Gebet“ - gesungen von Marta Kubišová. Marta Kubišová selbst gehörte viele Jahre zu den Dissidenten. Für die meisten Tschechen ist der Augenblick, als sie im November ´89 vor die Massen tritt, bis heute unvergessen. Denn ihr Lied hatte eine lange Geschichte, die schon in den dramatischen Ereignissen des Jahres 1968 begann.

„Auf dass der Friede weiter mit diesem Land sei Missgunst, Neid, Hass und Angst Sie sollen vergehen, endlich vergehen.“

Dieses Lied von Marta Kubišová ist eigentlich für eine TV-Unterhaltungsserie gedacht. In kürzester Zeit wird es jedoch Ende August 1968 zur tschechischen Hymne für den Widerstand gegen den Kommunismus. Gerade haben die Truppen des Warschauer Paktes mit Panzern und Kalaschnikows den Reformen des Prager Frühlings ein Ende gesetzt. Im Chaos schmuggelt Marta Kubišová die neue Aufnahme in die letzten freien Sendungen des Tschechoslowakischen Rundfunks, das Friedenslied spielt sich in die Herzen der Menschen.

Damals glaubte Marta Kubišová wie die meisten anderen, dass die Russen innerhalb von zwei Jahren wieder abziehen.

„Das dauerte dann zehn Mal länger als ich geahnt hatte. Aber ich bedauere nicht, wie das damals mit meiner Karriere lief. Denn ich hätte mir nicht vorstellen können, dass ich bei irgendjemandem betteln gehe, um in irgendeiner Bar zu singen.“

Marta Kubišová war Ende der 60er Jahre ein Star gewesen. Anders als Karel Gott arrangierte sie sich nach der Invasion jedoch nicht mit dem System. Die Antwort der Kommunisten war Rufmord. Kubišová soll, so die absurde Kampagne, mit dem abgesetzten Reformer Alexandr Dubček Pornoaufnahmen gemacht haben. Die Sängerin erhält Auftrittsverbot.

„Am Anfang habe ich zu Hause Plastiktüten für Spielwaren geklebt. Eine andere Arbeit erlaubte mir das Regime nicht. Später war ich Schreibkraft im Amt, das für die Plattenbausiedlungen zuständig war.“

Dennoch ist Marta Kubišová in den 70er Jahren im Visier des Geheimdienstes. Sie steht in Kontakt mit den Dissidenten um den Schriftsteller und späteren Präsidenten Václav Havel. Sie gehört zu den Unterzeichnern der Protestnote Charta 77. Die Verhöre verschärfen sich; eine Rückkehr auf die Bühne hat Kubišová für immer abgeschrieben.

„Ich habe mich dann einfach mit der Situation abgefunden, habe mir die Zeit bis zur Rente ausgerechnet. Und dann – plötzlich - war die Samtene Revolution da. Ich weiß nicht, ob irgendjemand damit gerechnet hatte. Ich ganz sicher nicht.“

Schicksalstag ist der 17. November 1989. Studenten erinnern mit einem genehmigten Gedenkmarsch an die Schließung der Hochschulen und die Ermordung des Studenten Jan Opletal 1939 durch die Nazis. Aber der Gedenkmarsch gerät zu einem friedlichen Protestmarsch gegen das kommunistische Regime. Die Sicherheitsdienste schlagen brutal zu.

Und dann - ging alles sehr schnell. Unbefristete Studentenstreiks, Demonstrationen und schließlich Massenkundgebungen mit Václav Havel auf dem Wenzelsplatz. Am 21. November lässt er die frühere Sängerin auf einem Balkon vor die Massen treten. Marta soll singen, wie damals, vor über 21 Jahren.

„Als ich den Wenzelsplatz sah, übervoll mit Menschen, da hab ich gedacht, so ein Comeback das hat noch nie eine Sängerin auf der Welt gehabt.“

Für Marta Kubišová begann mit dem Schicksalsjahr 1989 eine zweite Karriere.