Bunte Galerie der tschechischen Nationalheiligen

Der Statistik nach stehen Tschechen Religion eher skeptisch gegenüber. Trotzdem ist ihr „Pantheon“ der Nationalheiligen überraschend bunt. Für jede Gelegenheiten gibt es den passenden Schutzpatron. Über die Besonderheiten der tschechischen Heiligenverehrung berichtet Jakub Šiška.

Die Hauptfigur unter den tschechischen Nationalheiligen ist Sankt Wenzel. Über sein Leben stehen uns nur wenige Informationen zur Verfügung: sicher ist nur dass er als Fürst aus dem Přemysliden-Geschlecht Böhmen regierte und dass er 935 von seinem Bruder Boleslav ermordet wurde. Alles andere sind Legenden, die nach seinem Tod entstanden. Sie schildern Wenzel als vorbildlichen christlichen Herrscher, der die Galgen abschaffte, die Sklaverei abschaffte, die Kranken gesund machte und dabei bescheiden als Mönch lebte. Was bemerkenswert ist: Zu diesen Legenden gab der Mörder und ebenso Nachfolger von Wenzel, Boleslav, selbst Anlass, sagt Historiker Vít Vlnas.

Vít Vlnas
„Die Tatsache, dass aus dem Přemysliden-Geschlecht ein Heiliger und Märtyrer hervorging, war im damaligen christlichen Mitteleuropa sehr wichtig. Sie legitimierte die herrschende Dynastie. Die Přemysliden hatten außerdem eine Vorstellung, die bei anderen Völkern kaum zu finden ist: der heilige Wenzel sei ein idealer ewiger himmlischer Herrscher. Er leihe seine Macht nur vorübergehend dem jeweiligen irdischen Herrscher. Das war auch später auf den böhmischen Münzen zu lesen: Frieden dem Fürst ... in den Händen des heiligen Wenzel.“

Dieser Glaube setzte sich bei den Tschechen fest und beeinflusste später auch den tschechischen Nationalismus. Wenzels mythisierte Eigenschaften wurden immer wieder der politischen Situation angepasst und leider auch missbraucht, ergänzt Historiker Jiří Rak.

„Wenzel wurde zunächst auf dem Thron als Mönch wahrgenommen. Aber bereits Anfang des 12. Jahrhunderts bekam er Züge eines Kämpfers. Zum Beispiel 1126 in der Schlacht bei Chlumec zwischen dem böhmischen Fürsten Soběslav und dem deutschen König Lothar III. Die böhmischen Truppen trugen zu ihrem Schutz Fahnen mit dem Abbild von Sankt Wenzel. Später wurde der Heilige auch Bewahrer der Sprache. Graf Leopold Thun beklagte sich im 19. Jahrhundert, dass die Tschechen sangen: „Treib die Deutschen aus, Sankt Wenzel!“ Die tschechischen Nationalisten beklagten aber paradoxerweise ebenso, dass Sankt Wenzel gegenüber den Deutschen zu offen war. Dieser Widerspruch erreichte während des so genannten Protektorats Böhmen und Mähren seinen Höhepunkt, als die deutschen Okkupanten tschechischen Kollaborateuren Medaillen von Sankt Wenzel verliehen. In den Augen der Tschechen diskreditierten die Deutschen damit den Heiligen.“

Seinen Platz in den tschechischen Legenden hat auch der Heilige Johann von Nepomuk. Der Generalvikar des Prager Erzbischofs starb 1393 als Märtyrer. Seine Verehrung verbreitete sich vor allem in der Barockzeit. Während der Kult um Wenzel den Tschechen half, ihren Staat durchzusetzen, verbesserte die Anerkennung Nepomuks ihre Lage in der österreichischen Monarchie. Deshalb findet man seine Statuen bis heute in aller Welt, so Vít Vlnas.

Johann von Nepomuk
„Johann von Nepomuk war damals eine faszinierende Person für alle gesellschaftlichen Schichten. Die Legende, dass er sich lieber ermorden ließ, als das Beichtgeheimnis zu verraten, erfreute sich großer Beliebtheit. Da er von der Prager Karlsbrücke in die Moldau gestürzt wurde, wurde er zum Patron aller, die etwas mit Wasser zu tun haben: Flößer, Müller, Menschen, die von Hochwasser bedroht sind. Die erste Nepomuk-Statue wurde auf der Prager Karlsbrücke aufgestellt. Man kann sagen, der heilige Johann war der bekannteste Tscheche des 18. Jahrhunderts.“

Das 19. Jahrhundert war die Zeit der tschechischen nationalen Wiedergeburt. Man besann sich auf seine nationalen Eigenheiten und die tschechische Sprache. Zu dieser Zeit wurde jedoch der Heilige Johann von Nepomuk plötzlich anders betrachtet. Viele Intellektuelle beschuldigten die katholische Kirche, sich mit den Habsburgern gegen die Tschechen zu vereinigen. Die Verehrung von Sankt Johann sollte - ihrer Behauptung nach – die Verehrung des kirchlichen Reformators Jan Hus ersetzen. Man sagte sogar, die Statuen von Nepomuk seien absichtlich an Orten aufgestellt worden, wo früher Statuen von Jan Hus zu finden waren. Historiker Rak lehnt diese Deutung ab.

Jan Hus
„Hätten die Jesuiten einen katholischen Heiligen ´erzeugen´ wollen, hätten sie einen Märtyrer aus der Hussiten-Zeit hervorheben können. Was Jan Hus betrifft: Die katholische Kirche wollte nicht mehr an ihn erinnern. Später haben die Historiker diese Sache neu erforscht und das Resultat ist klar: Die Zweifel am Kult um den heiligen Nepomuk waren unberechtigt. Es ging nicht darum, den Leuten Jan Hus wegzunehmen und ihn durch Johann Nepomuk ersetzen.“

Revolution 1989
Diese Streitigkeiten, die früher auch andere tschechische Heiligen begleiteten, haben bis heute Konsequenzen. Sie trugen dazu bei, dass die Tschechen wenig religiös sind und dass kirchliche Institutionen sich nur geringer Beliebtheit erfreuen. Das Fest vom Heiligen Wenzel am 28. September ist zwar offiziell als Staatsfeiertag anerkannt, aber die meisten Leute sind nur froh, dass sie nicht zur Arbeit müssen. Jiří Rak:

„In unserem Land hat sich keine integrierende Tradition entwickelt. Die politischen Regime wechselten oft und das Neue vertrieb immer das zuvor entstandene. Dieses Dilemma haben wir immer noch im Blut: Wenn wir den hussitischen Kämpfer Jan Žižka ehren wollen, muss Sankt Wenzel weg. Oder: Neben einer Jan-Hus-Statue, darf keine von Johann Nepomuk stehen. Den letzten Ausschlag gaben die Kommunisten. Sie erklärten sich zum ´Träger der großen Traditionen der tschechischen Nation´, womit sie alle Heiligen diskreditierten. Deshalb befinden wir uns jetzt in einem Vakuum und haben nichts. Ich kann zum Beispiel nicht begreifen, warum der Heilige Johann von Nepomuk für den tschechischen EU-Vorsitz nicht genutzt wurde. Er ist einer der bekanntesten Tschechen in Europa, seine Statuen stehen in fast allen Ländern.“

Nicht alle Leute sehen die Situation jedoch so skeptisch. Vor allem Sankt Wenzel sei die Person, die in schwierigen Momenten der tschechischen Geschichte auflebt – zum letzten Mal in der Zeit der samtenen Revolution 1989. Dass er heute nicht mehr angebetet wird, kann man auch positiv betrachten: die Tschechen brauchen keinen Beistand, ihnen geht es einfach gut.