Festivalhöhepunkt: Filme über sowjetische Terrorherrschaft in Lettland und Litauen

Das einwöchige Festival „Mene Tekel“ wird in der Regel um den 25. Februar herum veranstaltet, denn am 25. Februar 1948 hatten die Kommunisten die Macht in der Tschechoslowakei ergriffen. Dieses Jahr entschieden sich die Festivalveranstalter jedoch, nicht nur über die kommunistische Vergangenheit Tschechiens, sondern auch über die Verbrechen des Kommunismus in einigen anderen Ländern zu berichten. Neben dem Tag Kroatiens und Sloweniens erlebten die Festivalbesucher den Tag Litauens und Lettlands. Schon seine Eröffnung war ein Volltreffer.

Als der Dokumentarfilm „Soviet story“ des jungen lettischen Regisseurs und Historikers Edvīn Šnore zu Ende ging und im Kinosaal wieder Licht gemacht wurde, herrschte zuerst einige Sekunden lang Schweigen. Dann erst begannen die Zuschauer zu klatschen und der Beifall hielt sehr lange an. Der Regisseur wollte sich, wie aus den Unterlagen zum Film hervorgeht, vor allem an Westeuropäer wenden, die von der sowjetischen Terrorherrschaft wenig wissen – oder auch oft wenig wissen wollen. Der Zuschauer wird in dem Film mit Leichenbergen konfrontiert. Stalin ließ in den 30er Jahren beispielsweise mehrere Millionen Ukrainer gezielt verhungern. Diese sowie einige weitere Aufnahmen erinnern an Dokumentarfilme über den Holocaust. Auch die Stalinisten begingen Massenmord, heißt es im Streifen.

Dem Initiator des Festivals gegen Totalitarismus, Jan Řeřicha, zufolge zeigt der Historiker und Regisseur Šnore die Gleichartigkeit der beiden totalitären Regime – des Nationalsozialismus und des Kommunismus. Die Propagandaplakate der beiden Regime werden gegenübergestellt, und es scheint, sie sehen fast genauso aus. Řeřicha macht aber auf einen weiteren Aspekt aufmerksam, der für ihn sowie für andere Zuschauer wichtig war:

Jan Řeřicha  (Foto: Autorin)
„In dem hervorragenden lettischen Film ´Soviet story´, der von der EU unterstützt wurde, wird angedeutet, dass es einst eine stille Vereinbarung gegeben haben musste, die Verbrechen des Kommunismus zu tolerieren. In Dokumentaraufzeichnungen, die vom sowjetischen Geheimdienst gemacht wurden und die Bestandteil des Films sind, sind Nazi-Generäle zu sehen, wie sie an den Massenhinrichtungen der Regimegegner in Russland teilnahmen. Die Behauptungen, dass die Nazis von Stalin gelernt haben, werden im Film von den authentischen Aufnahmen bestätigt.“

Regisseur Edvīn Šnore konnte an der Filmvorstellung in Prag nicht teilnehmen. Die Zuschauer konnten aber mit der lettischen Filmemacherin Dzintra Geka diskutieren. „Soviet story“ sei, so Geka, ein Film, den man gebraucht habe:

„Der Film ist einzigartig. Meinem guten Freund Edvīn Šnore ist es gelungen, so vieles in einem Werk zu zeigen. Am Ende heißt es in dem Film, dass der Totalitarismus immer noch nicht zu Ende sei. In Russland wird alles geheim gehalten und vertuscht. Ich reise jedes Jahr nach Sibirien und sehe dort viele kommunistische Denkmäler. Leider ist es auch weiterhin so, dass der große Bruder immer das kleinere Volk zu vernichten versucht. Es reicht in diesem Zusammenhang, an Tschetschenien zu erinnern. Die Entstehung eines solchen Films war notwendig. Denn die Welt muss wissen, was sich unter dem kommunistischen Regime abgespielt hat. Wir wissen es sehr gut.“

Dzintra Geka stellte in Prag auch ihren eigenen Film vor, mit dem Titel „Es war einmal Sibirien“. Darin beschreibt sie das Schicksal einiger der fast 15.500 lettischen Bürger, die 1941 von den Russen nach Sibirien deportiert wurden.

Neben den beiden lettischen Filmen wurde beim Festival „Mene Tekel“ auch der litauische Film „Völlig allein“ von Regisseur Jonas Vaitkus gezeigt. Für die meisten Festivalbesucher bot der Streifen wahrscheinlich die erste Möglichkeit, eine wichtige Etappe der litauischen Geschichte kennen zu lernen – die Zeit des Partisanenkriegs gegen die Kommunisten.

Osvaldas Čiukšys  (Foto: Autorin)
An der Partisanenbewegung, die 1944 in Litauen begann, nahmen 30.000 bis 40.000 Menschen teil, sagt Osvaldas Čiukšys. Er ist litauischer Botschafter in Prag,. Auch die Familie von Osvaldas Čiukšys war am Widerstandskampf in den 40er und 50er Jahren beteiligt:

„Ich weiß von meinem Opa, der in der Armee des unabhängigen Litauens gedient hat, dass die litauische Armee damals imstande war, bis zu 100.000 Soldaten zu mobilisieren. Jetzt ist die Zeit gekommen, in der man endlich die Geschichte neu betrachten und auswerten kann. Ich meine, dass es ein langer Prozess sein wird, in dem Historiker, Diplomaten und Zeitzeugen eine Aufklärerrolle haben. Die Geschichte wurde bislang von jedem Historiker auf eine andere Weise interpretiert, einschließlich der Historiker im Westen, die von den Ereignissen im Baltikum nicht unmittelbar betroffen waren.“

Botschafter Čiukšys lobt in diesem Zusammenhang das Festival „Mene Tekel“. Gibt es in seiner Heimat Litauen ein ähnliches Forum, das sich mit den Verbrechen des Kommunismus beschäftigt?

„In Litauen gibt es mehrere Veranstaltungen dieser Art. Es wurden auch zahlreiche Filme, nicht nur Dokumentarfilme, zu diesem Thema gedreht - wie beispielsweise der neue Film ´Die Partisanen´ von Vytaustas Landsbergis Junior. Ein solcher Film ist vor allem für junge Leute wichtig, damit sie die Geschichte ihres Landes kennen lernen. In der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit könnte Litauen meiner Meinung nach fast als ein Beispiel für andere Länder dienen. Wir bemühen uns vor allem in den letzten Jahren, die Ereignisse aus der Zeit des Totalitarismus zu dokumentieren und sie durch authentische Aussagen der Zeitzeugen zu ergänzen. Die Litauer versuchen, die wenig bekannten Kapitel aus ihrer Geschichte auch im Ausland vorzustellen - wie beispielsweise den zehn Jahre dauernden Kampf der litauischen Partisanen gegen die Kommunisten. Diese Aufklärungsarbeit muss langfristig und konsequent sein. Natürlich kann man nicht erwarten, dass die Leute den noch vor kurzem verschwiegenen Teil der Geschichte gleich begreifen werden.“