Vor großen europäischen Herausforderungen: der tschechische EU-Ratsvorsitz
Zu Jahresbeginn hat die Tschechische Republik offiziell zum ersten Mal den Vorsitz im Rat der Europäischen Union übernommen. Damit geht eine turbulente Vorbereitungszeit zu Ende. Doch im kommenden halben Jahr während des Vorsitzes wird es nicht einfacher: Die EU-Staaten kämpfen mit den Folgen der Finanzkrise und um die Rettung des Reformvertrags von Lissabon – und die tschechische Regierung noch zusätzlich um innenpolitische Stabilität.
„Nehmen Sie nur all jene Worte, die in der letzten Zeit in London, Paris oder Bonn erklungen sind: Wir sind vorbereitet und werden Ernst genommen.“
Insgesamt rund zwei Dutzend hochrangige EU-Treffen sowie bis zu 300 Fachkonferenzen wird Tschechien im kommenden halben Jahr ausrichten. Die Schwerpunkte lauten dabei Wirtschaft, Energie sowie Europa und der Rest der Welt. An den Details wurde bis zuletzt gefeilt. Unter anderem wollte die Regierung in Prag die Beschlüsse des Brüsseler EU-Gipfels von Anfang Dezember abwarten. Bereits vor der offiziellen Bekanntgabe im Januar ließ Alexandr Vondra die neuen Gewichtungen durchblicken:
„Nicht nur der EU-Gipfel, sondern die letzten Monate haben einiges verändert. Es wird deutlich mehr Wert auf die Wirtschaft gelegt, denn wir befinden uns eben in der Finanzmarktkrise und müssen darauf reagieren. Das wird das große Thema für die drei, vier ersten Monate des tschechischen Ratsvorsitzes.“Bei der Energie will Tschechien die Frage der Versorgungssicherheit ganz oben anstellen. Zudem müssen die Außenbeziehungen der EU neu justiert werden: In den Vereinigten Staaten tritt im Januar Barack Obama als neuer Präsident an. Zudem will der tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg die Partnerschaft mit Osteuropa und dem Balkan vorantreiben. Und dann könnte Tschechien auch den überhaupt ersten EU-Israel-Gipfel ausrichten, möglicherweise unter Einbeziehung der Palästinenser. Karel Schwarzenberg:
„Das ist unser Ziel, das leugne ich nicht. Wir werden aber noch sehen müssen, ob alle zustimmen und ob wir all das, was dazu nötig ist, zu Ende bringen können. Dieser Gipfel ist das Sahnehäubchen auf der Torte, aber zuerst müssen wir die Torte überhaupt backen.“
Tschechien hat sich für die sechs Monate an der Spitze der EU vorgenommen, viel zu vermitteln. Die Rolle des Hans Dampf in allen Gassen wie Frankreich mit Nicolas Sarkozy an der Spitze kann und will man nicht spielen. Alexandr Vondra:
„Der tschechische Vorsitz wird eher moderat sein. Wir werden versuchen Kompromisse zu finden, in denen sich alle wieder finden können und sich gut fühlen. Es wird keine Zeit des großen Muskelspiels werden.“Doch der EU-Vorsitz könnte schwerer werden, als Vondra und dem Ratsvorsitzenden, Ministerpräsident Mirek Topolánek lieb ist. Innenpolitisch stakst die Regierung auf brüchigen Stelzen durchs Gelände. Die drei Koalitionsparteien haben keine eigene Mehrheit im tschechischen Abgeordnetenhaus und sind zudem noch in einigen Grundsatzfragen zerstritten. Dazu gehören auch Angelegenheiten der EU. Vor allem sinddie konservativen Bürgerdemokraten von Topolánek wankelmütig bei der Ratifizierung des EU-Reformvertrags, der Premier muss sich nicht nur vor den Regierungspartnern verantworten, sondern auch vor den oppositionellen, europafreundlichen Sozialdemokraten. Deswegen wurde auch die Ratifizierung von „Lissabon“ durch das tschechische Parlament auf Anfang Februar verschoben. Ist das eine Belastung für die Ratspräsidentschaft? Dazu Michal Mocek, politischer Redakteur der tschechischen Tageszeitung „Právo“:
„Ich denke, alle erwarten, dass Tschechien im Februar oder im März den Vertrag annehmen wird. Erst wenn das nicht geschieht, erwarte ich einen größeren Druck von den tschechischen Partnern in der Europäischen Union. Nicht von Beginn, aber später kann dies zur Komplikation werden.“
Rudolf Hermann, Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung in Prag und früher langjähriger Leiter der deutschen Redaktion von Radio Prag, sieht noch weitere Schwierigkeiten:„Wenn der Vertrag nicht verabschiedet wird, dann wird das zu einem Problem. Das größere Problem sehe ich in der innenpolitischen Instabilität. Man weiß nicht wie lange diese Regierung durchhält, ob sie die ganze Zeit durchhält oder es zwischendrin zu einem Wechsel kommt.“
Das Gezerre um den Lissabon-Vertrag und die eigene schwache Position sind für die Regierung zwar Probleme, aber zumindest berechenbar. Schwieriger ist es da mit Václav Klaus. Die EU-kritischen Äußerungen des tschechischen Staatspräsidenten lassen so manchem in Brüssel einen kalten Schauer über den Rücken laufen. Vor allem aber ist er ein richtiger Unsicherheitsfaktor.
„Er kann sehr erfolgreich die Stimmung beeinflussen. Und es gibt einen engen Zusammenhang zwischen der Stimmung und der Politik des Staates. Auf diese Weise kann Klaus auch auf die tschechische Europapolitik während der Präsidentschaft Einfluss nehmen“, meint Michal Mocek von der Tageszeitung „Právo“.
Dennoch möchte die Regierung zumindest eine Aufgabe während der Ratspräsidentschaft an Klaus überantworten. Das hat mit der Sonderstellung des tschechischen Präsidenten zu tun. Zwar gewährt die Verfassung dem Staatsoberhaupt fast nur repräsentative Funktionen, aber es gibt eine Art Gewohnheitsrecht, demnach der Präsident international den tschechischen Staat auch politisch vertreten kann. Wie Vizepremier Vondra vor Weihnachten ankündigte, könnte Klaus die Leitung des EU-Russland-Gipfels übertragen werden. Ein Treffen, bei dem keine Beschlüsse gefasst werden, wie Vondra betonte. Doch der erste Auftritt von Václav Klaus auf europäischer Bühne wird im Februar eine Rede im Europäischen Parlament sein. Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering hatte Klaus trotz weltanschaulicher Differenzen nach Straßburg eingeladen:
„Unsere Erwartung ist natürlich auch, dass er dort eine Rede hält, die uns allen dient und der Stärke der Europäischen Union“, so Pöttering.
Und spätestens nach seiner Rede wird man wissen, ob Präsident Klaus während der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft ein Unsicherheitsfaktor wird oder nicht.