Die Tschechoslowakei gerät unter Druck der Warschauer Paktstaaten
Der 1. Mai 1968, Tag der Arbeit. In Prag findet der traditionelle Umzug statt, er ist aber anders als gewohnt. Auf der Tribüne ist diesmal das Quartett der Staats- und Parteispitze zu sehen: Dubček, Černík, Smrkovský, Svoboda. Nach einer offiziellen Ansprache schaltet Dubček im informellen Tonfall auf Tschechisch um, und wenn nötig, kommt auch Nachhilfe aus dem Publikum. In den spontanen Reaktionen des jubelnden Prager Volkes widerspiegeln sich zweifelsohne auch die hohen Erwartungen und Hoffnungen der ganzen Nation schlechthin auf weitere Änderungen im Lande.
Ende Mai findet die Plenartagung des ZK der KPTsch statt und es gibt neue Töne zu hören. Dubček spricht von rechtsorientierten Tendenzen in der Gesellschaft und warnt vor sich aktivierenden „gescheiterten bourgeoisen Politikern“ aus der Zeit vor 1948. Wenn es so weiter gehe, so Parlamentschef Smrkovský in einem Interview, ende es mit Panzern. Doch es bleibt bei der Rhetorik. Es liegt nicht in der Macht der Parteiführung, etwas an dieser Situation radikal zu ändern.
Am 27. Juni erscheint das „Manifest der 2000 Worte“, das auf andauernde Unzulänglichkeiten auf verschiedensten Ebenen der Gesellschaftsstrukturen verwies und massenhaft von der Bevölkerung unterstützt wurde. Das Fass scheint am Überlaufen zu sein, die Druckausübung von außen eskaliert.
In einem Brief der Warschauer-Pakt-Staaten vom 4. Juli wurde die KPTsch-Führung von den Bruderparteien zu einem Treffen in die polnische Hauptstadt geladen, um Bericht über die innenpolitische Lage zu erstatten. Doch das Warschauer Treffen kommt am 15. und 16. Juli ohne die KPTsch-Delegation zustande.
Am 17. Juli informierte Alexander Dubček im Fernsehen über die Antwort auf das in Warschau beschlossene Dokument, das anschließend nach Prag geschickt wurde: Er versichert den Genossen in den Warschauer-Pakt-Staaten, die sozialistische Tschechoslowakei bleibe unverändert den kommunistischen Idealen und der internationalen Arbeiterbewegung treu. Man sei gleichzeitig davon überzeugt, dass der Sozialismus immer mehr an menschlichem Antlitz gewinne. Trotz beruhigender Worte von Spitzenpolitikern steigert sich die Spannung in der Gesellschaft wie auch die Angst vor einer Militärintervention. Schließlich spielt sich vieles vor dem Hintergrund einer großen Militärübung der Warschauer-Pakt-Armeen im Böhmerwald ab.
29. Juli: Die tschechoslowakische Delegation reist in unveränderter Besetzung nach Čierna nad Tisou in der Ostslowakei zu viertägigen Verhandlungen mit den Sowjets, geleitet von Leonid Breschnew. Josef Smrkovský versichert vor der Abreise in Rundfunk und Fernsehen, „die ganze Zeit an all die Millionen zu denken, die im Geiste mit uns bleiben.“ Die Verhandlungen sind schwierig, gezeichnet von tiefer Nervosität und ständig am Rande des Scheiterns. Die tschechoslowakische Delegation ist nicht einheitlich, Vasil Bilak identifiziert sich unverhohlen mit der Position der Russen. Letztendlich wird ein Kompromiss ausgehandelt, zumindest offiziell. In Prag findet jeden Tag eine spontane Kundgebung zu Dubčeks Unterstützung statt, mancherorts werden bis in die frühen Morgenstunden Diskussionen geführt. „Wir sind mit euch, bleibt mit uns“ war der oft skandierte Slogan jener Tage.Am 3. August trafen sich in Bratislava die Spitzenvertreter der Sowjetunion, der DDR, Ungarns, Polens und Bulgariens, um gemeinsam in einer Vereinbarung dem Marxismus-Leninismus und dem proletarischen Internationalismus ihre unerschütterliche Treue zu schwören. Josef Smrkovský hat dann vor Bürgern in Bratislava seine Danksagung vor allem an den Genossen Breschnew und die Sowjetunion gerichtet.
Am 18. August informierte der KPdSU-Generalsekretär in Moskau seine Kollegen aus den Bruderparteien - außer der KPTsch - über den Beschluss des sowjetischen Politbüros. Er hieß Invasion in die Tschechoslowakei.