Martin Fučík: Lehr- und Wanderjahre eines tschechischen Kochs (Teil 1)

Martin Fučík

Bis zum Wendejahr 1989 war es überhaupt nicht leicht, aus der damaligen Tschechoslowakei in den Westen zu reisen. Doch gleich nach der Grenzöffnung haben viele Tschechen die Gelegenheit genützt, ihrer seit Jahrzehnten zwangsweise aufgestauten Reiselust gerecht zu werden. Sie pilgerten in Scharen zu unzähligen Zielen jenseits des nicht mehr existierenden Eisernen Vorhangs. Das waren keineswegs Luxusreisen, im Gegenteil, an Strapazen mangelte es nicht. Dass man einst nicht frei reisen durfte, ist für die Generation der heutigen Teenies hierzulande bereits unvorstellbar. In der nun folgenden Ausgabe der Sendereihe „Heute am Mikrophon“ stellt Ihnen Jitka Mládková einen jungen Mann vor, der auch Auslands-Reisen als etwas Normales kennen gelernt hat.

Martin Fučík, 25 Jahre alt, gebürtiger Prager, Koch von Beruf. Das sind die Eckdaten des jungen Mannes, den ich vor kurzem kennen gelernt habe. Er ist einer jener zig Tausend junger Tschechen, die nach der Wende nicht nur wegen der Sehnsucht nach fremden Ländern auf Reisen ginge. Stark ausgeprägt war bei ihm und anderen auch die Motivation, etwas Neues zu lernen.

Blicken wir zunächst ein paar Jahre zurück. Wussten Sie vielleicht schon als Kind, dass Sie Koch werden wollen?

„Mit 15 war ich mir darüber schon im Klaren, was ich machen werde. Etwa seit der zweiten Klasse wollte ich Koch werden. Zu Hause habe ich immer wieder gerne irgendeinen Mischmasch hergestellt. Das ließ sich damals noch kaum essen. Mit 15 Jahren wusste ich, dass ich nichts anderes machen will. In diesem Alter habe ich auch begonnen, richtig zu kochen. Aber eigentlich nur das, was ich von meiner Mutter abgeguckt habe. In diesem Metier muss man von der traditionellen Küche ausgehen, um sich weiter zu entwickeln. Das ist ein Fundament dafür, zu lernen, wie verschiedene Geschmäcke und Grundnahrungsmittel kombiniert werden. Erst dann kann man sich vervollkommnen und experimentieren.“

In mancher Familie funktioniert es so, dass ein Elternteil seinen Beruf an den Sohn oder die Tochter sozusagen vererbt oder zumindest gerne vererben will. Wie war es in Ihrer Familie?

„Ich stamme aus einer Metzgerfamilie. Mein Opa war Metzger, die Großmutter auch und ihre Kinder auch. Ich kann mich daran erinnern, dass es bei uns oft Schlachtfeste gab, jedes Jahr auf dem Lande. Wenn ich Zeit habe, fahre ich bis heute gerne hin.“

Nach der Grundschule sind Sie in die Lehre gegangen. Wie ging es dann weiter? War es leicht, einen guten Job als Koch zu finden?

„Da mein Wehrdienst bevorstand, war es sehr schwer. Damals habe ich mehrere Jobs gemacht. Die Arbeit war schlecht bezahlt, ich musste viele Überstunden machen. Es ging eigentlich darum, die Zeit tot zu schlagen. Kurz darauf wurde ich zum Militär bei der Burgwache eingezogen und es ist mir gelungen, als Koch engagiert zu werden. So habe ich den Wehrdienst ziemlich gut überstanden. Danach habe ich wieder ein paar Jobs gewechselt und arbeitete sogar als Kellner und Barkeeper. In dieser Branche kann man, wie man sagt, ´schnelles Geld´ verdienen, es ist aber viel Unfug dabei. Das ist keine Arbeit für mich.“

Damals haben Sie es dann, soviel ich weiß, vorgezogen zum ersten Mal ihre Berufslaufbahn hierzulande zu unterbrechen, und sind mit einem Freund vier Monate durch Europa gereist. Welche Länder haben Sie besucht und wie haben Sie dort eigentlich Ihr Brot verdient?

„Wir haben uns eine Interrail-Karte gekauft, ohne eine konkrete Route zu planen. Mit dem Zug sind wir völlig frei und unbefangen nach dem Motto gereist: ´heute hier, morgen dort´. Wir waren in Deutschland, Belgien, Luxemburg, Frankreich, Spanien und Portugal. Etwas Geld haben wir uns zum Beispiel als Jongleure und Feuerspucker verdient. Besonders gut war es in dieser Hinsicht am Meer in Spanien. Mit dieser Tätigkeit konnte man dort zwar keine Karriere machen, aber verhungern musste man auch nicht.“

„Wir lebten acht Monate in Torrevieja, das ist zwischen Alicante und Cartagena, am Meer. Dort habe ich in mehreren Restaurants gearbeitet. Wegen der Sprachbarriere konnte ich aber nur Hilfsarbeit machen, angefangen vom Geschirrspülen bis zur Zubereitung einfacher Salate, nichts Kompliziertes also. Nach acht Monaten, das war im Dezember, kehrte ich nach Prag zurück, aber wieder für kurze Zeit. Bereits im Frühjahr, im Mai oder Juni, genau weiß ich es nicht mehr, habe ich mich wieder auf Reisen begeben, erneut nach Spanien, jedoch allein.“

Ihr dritter Spanien-Aufenthalt dauerte dann länger. Zwei Jahre sind Sie dort geblieben. Wo sind Sie gelandet?

„Eine Zeitlang verbrachte ich zunächst in Denía. Das ist die nächstgelegene Hafenstadt vor Ibiza - eine Stadt mit alter Geschichte und regem Tourismus. Dort arbeitete ich in dem Restaurant einer Pension, aber es hat mir nicht sonderlich Spaß gemacht. Eines Tages sagte ich mir, dass ich den Standort wechseln will. Ich wollte etwas Neues sehen. Spanien, das Festland also, das ich bereits bei den früheren Aufenthalten viel bereist hatte, hat mich nicht mehr gelockt. Und so bin ich auf die Inseln aufgebrochen, konkret nach Santa Cruz auf der Kanareninsel Teneriffa. Und dort habe ich in ein paar Hotels gearbeitet.“

Wie war es mit der Sprachbarriere? Ist es Ihnen gelungen, diese im Laufe der Zeit allmählich abzubauen?

„Am wichtigsten waren vielleicht die ersten Tage, als ich noch überhaupt nichts sagen konnte. In einer solchen Situation ist man auf audiovisuelle Wahnehmungen angewiesen, die man nicht versteht, aber zu verstehen versucht - zum Beispiel bei Vorstellungen des Straßentheaters, das in Spanien viel gespielt wird. Oder ich habe oft beobachtet, wie eine Mutter ihrem kleinen Kind etwas gründlich und mit einfachen Worten erläutert. Ich war nämlich in einer ähnlichen Position wie das Kind, das auch vieles nicht versteht und kaum etwas sagen kann. Wenn man sich auf derartige Dialoge konzentriert, prägt man sich immer mehr Vokabeln ein und fängt langsam an etwas zu verstehen. Dabei ist es sehr wichtig, keine Hemmungen zu haben und zu sprechen, ohne zu fürchten, dass jemand über einen lachen wird.“

Sie haben sich im Laufe der Zeit, nehme ich an, immer besser auf Spanisch verständigen können. Hat das Ihnen auch geholfen, einen besseren Job zu finden?

„Bei mir lief dies irgendwie parallel zu den stufenweise besser werdenden Sprachkenntnissen. Es fing an beim Geschirrspülen, später ging ich zum Gemüseputzen über, und dann irgendwann zur Vorbereitung von Fischspeisen und so weiter. Bei Letzteren habe ich dann viel Neues gelernt, denn Fisch wird bei uns in Tschechien nicht so viel gegessen wie in den Mittelmeerländern. Bei der Arbeit muss man mit seinem Umfeld kommunizieren. Wenn man also beauftragt wird, einen Fisch zu bearbeiten, den man bisher nicht gesehen hat, muss man fragen, wie es gemacht wird. Ob mit solch einem Messer oder einem anderen oder ob es reicht, die Hand zu nehmen und so weiter. Vom leitenden Koch bekommt man Anweisungen, aber der Rest liegt an mir – wie geschickt ich bin, um Vertrauen zu gewinnen. Natürlich kann man auch beim Geschirrspülen bleiben, warum nicht. Wenn man aber etwas erreichen will, muss man sich schon Mühe geben.“

Sie haben sich in Spanien mehrmals um einen Job beworben. Wie haben Sie dies gemeistert?

„Zu Anfang gab es jeweils einen Vorstellungstermin und als Erstes hat man meine Kommunikationsfähigkeit geprüft. Dabei wurde bereits Interesse an dem geäußert, was ich so alles könne. Und dann lag es nur noch an mir, in der Probezeit eine gute Figur abzugeben. Zunächst hatte ich Angst, dass man mich als Ausländer aus dem Osten abstufen wird. Etwa nach dem Motto: ´Das ist nur ein Tscheche, dem kann mal alles auf den Buckel laden, er wird´s schon schaffen.´ Es war aber völlig anders. Ich war interessant für die Arbeitnehmer. Die Spanier sind nicht besonders geil auf Arbeit und wir Tschechen sind hingegen bereit, etwas mehr zu schuften. Die Angst, dass man von mir denkt, na ja, das ist nur ein dummer Tscheche, bin ich schnell losgeworden, denn ich wurde von den Leuten sehr gut aufgenommen, als ob ich einer von ihnen wäre. Nur mein Spanisch war ein bisschen anders.“

Soweit für heute unser Treffen mit Martin Fučík. Wie sein Spanien-Aufenthalt dazu beigetragen hat, dass er heute als Chefkoch in einem lateinamerikanischen Restaurant in Prag arbeitet, können Sie von ihm bei einem neuen Treffen heute in zwei Wochen erfahren.