Barbara Maria Willi: Zweite Heimat in Tschechien gefunden
Seit der Grenzöffnung nach dem Wendejahr 1989 sind mehrere hunderttausend Ausländer nach Tschechien gekommen, um hierzulande zu leben und zu arbeiten. Allein im ersten Halbjahr 2008 sind 32.000 neue ausländische Arbeitnehmer verzeichnet worden. Viele Ausländer kommen allein, ein Teil von ihnen auch mit ihrer Familie. Einige sind inzwischen wieder in ihre Herkunftsländer zurückgekehrt, einige wollen noch lange bleiben und einige haben in Tschechien offenbar sogar ihre zweite Heimat gefunden. Zu den letzteren gehört Barbara Maria Willi, Dozentin an der Musikhochschule im südmährischen Brno, international anerkannte Cembalo-Spielerin und nicht zuletzt auch Begründerin geschätzter Ensembles, die alte Musik spielen. Mit ihr sprach Jitka Mládková für die neue Ausgabe von „Heute am Mikrophon“.
Im Jahr 1991 haben Sie in Brno ihr Domizil gefunden. In einem Interview sagten Sie mal, Sie hätten damals nicht geahnt, auf welches geistige und materielle Potenzial Sie hierzulande stoßen würden. Trotzdem haben Sie den Schritt gewagt. Warum?
„Es war also meine Abenteuerlust, die mich bewegt hat, ein Stück der Landkarte zu gehen, das ich wirklich nicht kannte. Brno war für mich nur ein Wort, und dann gab es auch einen persönlichen Kontakt mit meinem ersten Cembalo-Professor Stanislav Heller, der 40 Jahre lang im Freiburg im Exil gelebt hat. Noch vor 1989 hat er mir gesagt, Tschechisch brauchst du im Leben niemals. Schon damals hatte ich Lust, eine slawische Sprache zu lernen. Er war kein guter Prophet, wie man sehen kann, aber ein guter Cembalist. Durch ihn ist auch der Kontakt nach Brno entstanden.“
Sie sind also durch ihn nach Brno gekommen?
„Es war so, dass er nach 1989 Cembalokurse an der Musikhochschule in Brno gehalten hat und das Echo war so groß, dass die Rektorin sich entschlossen hat, eine Cembalo-Klasse an der Musikhochschule zu gründen. Mein Professor war damals schon zu alt dafür und hat mich angerufen. Ich war gerade frische Absolventin des Salzburger Mozarteums. Für mich war das natürlich interessant, sofort an einer Hochschule arbeiten zu können.“
War das veilleicht die allererste Cembalo-Klasse an der Brünner Janacek-Akademie der Musischen Künste?
„In Brno ja. In Prag gab es schon die Klasse von Zuzana Růžičková.“
Sie haben an mehreren Hochschulen das Fach Cembalospiel studiert – zum Beispiel in Freiburg, Straßburg oder Salzburg. Sie haben auch mehrere internationale Preise gewonnen und an der Brünner Musikhochschule haben Sie auch Ihren Doktorhut erhalten. Ihr Fahrwasser sozusagen ist alte Musik, namentlich die Barockmusik. In welchem Zustand haben Sie die Pflege um diesen Musikbereich hierzulande vorgefunden? Sie haben ja den Vergleich zu anderen Ländern.
„Die Entwicklung von alter Musik – damals in der Tschechoslowakei, jetzt in Tschechien – ist äußerst spannend. Das muss ich sagen. Als ich kam, gab es hier ein ziemlich renommiertes Ensemble, nämlich Musica Antiqua Praha von Pavel Klikar. Pavel Klikar hat aus persönlichen Gründen eine sehr seltsame Lebenswendung genommen. Das Ensemble ist leider nicht mehr aktiv, aber es sind aus dem Umkreis von Pavel Klikar sehr viele Persönlichkeiten hervorgegangen wie zum Beispiel Marek Strencl, Jana Hlavenková und weitere. Die haben natürlich ihre eigenen Ensembles gegründet. Man kann sagen, in den 90er Jahren ist hierzulande eine Gründungswelle vorgegangen. Was ich jetzt mit Freude beobachte ist, dass in den letzten sieben oder fünf Jahren eine unglaubliche qualitative Entwicklung sttafindet. Jetzt kann man sagen, dass die alte Musik in Tschechien auf wirklich europäischem Niveau ist. Als ich nach Brno kam, hatten wir keine Cembali, keine Notenausstattung und auch die ganze Ideenwelt der neuesten Erkenntnisse, die man in Amerika, in England oder in Frankreich hatte, war hier noch nicht so richtig ins Musikleben eingedrungen. Ich denke, das ist jetzt in den letzten neunzehn Jahren wirklich sehr intensiv passiert. Ich hoffe, wir werden auch noch erleben, dass die neuen Entwicklungen auch im Schulsystem integriert wird.“
Wie gesagt, Sie haben also Ihr neues Domizil in Tschechien, genauer gesagt in Südmähren gefunden. Fühlen Sie sich hier auch schon wie zu Hause?
„Meistens träume ich schon in Tschechisch und es passiert mir auch, wenn ich nach Deutschland zurückkomme, dass ich Leute auf der Straße tschechisch grüße und immer ganz überrascht bin, wenn sie mich erstaunt anschauen. Mähren ist also meine zweite Heimat geworden, ohne dass ich die erste, die in Südbaden liegt, verleugnen will. Sie sehen, Südbaden und Südmähren, beides hat mit ´südlich´zu tun!“
Sie sprechen hervorragend Tschechisch. Wie viel Mühe und Energie hat Sie das gekostet, bis Sie diesen hohen Grad der Tschechisch-Kenntnisse erreicht haben?
„Es war ein langsamer Prozess. Langsamer, als ich es von anderen Sprachen gewohnt war, weil ich vorher keine andere slawische Sprache gesprochen habe. Es war aber eine schöne Entdeckungsreise, auf der mich viele begleitet haben, die unendliche Geduld mit meinen furchtbaren Fehlern des Anfangs und mit meiner schrecklichen Aussprache hatten. Ich habe in etwa zwei Jahre gebraucht, bis ich angefangen habe, einigermaßen fließend Tschechisch zu sprechen. Ich bin ein auditiver Typ, das heißt, ich habe es wie ein Kind gelernt, indem ich zugehört und das Gehörte imitiert habe.“
Glauben Sie, ist es wichtig, wenn man in einem fremden Land lebt, auch seine Sprache zu lernen?
„Es ist sicher leichter, die Sprache direkt im Land zu lernen. Ich bin auch so ein Typ, der nicht so gerne nach abstrakten Regeln lernt. Hätte ich eine Fremdsprache nach einem Pseudo- und ´militärischen´ System lernen müssen, wie man früher unterrichtet hat, weiß ich nicht, ob ich dann nicht irgendwann aufgegeben hätte!“
Ich habe mehrere Zeitungsartikel über Sie gelesen. Hoffentlich sind Sie mir nicht böse, wenn ich sage, dass Sie ständig sozusagen auf Achse sind und von Brno aus irgendwohin pendeln, darunter auch ins Ausland. Haben Sie eigentlich auch freie Zeit für sich selbst, in der Sie nicht am Cemballo sitzen oder kein Notenwerk einstudieren müssen?
„Ich brauche die Freizeit wie jeder andere Mensch natürlich. Sie haben recht, ein bisschen spalte ich mich auf in diesen verschiedenen Rollen: als Cembalistin, Cembalopädagogin, manchmal als Musikwissenschaftlerin und auch als Dramaturgin. Da ist die private Barbara Maria Willi ein bisschen unglücklich darüber, aber ich achte wirklich darauf, auch Freizeit zu haben. Ich gehe sehr gerne ins Kino, fahre das Rad, zwar zu wenig, doch immerhin, und ich genieße auch die sportlichen Angebote, die es in Brno und in der Umgebung gibt. Eines der Motive in Brno zu wohnen, ist eben die wunderschöne Umgebung und die Tatsache, dass man in einer halben Stunde schon in einer Hügellandschaft ist und absolut nichts von der Stadt sieht. Das finde ich ganz wunderbar.“
Zu Südmähren gehört auch der Wein. Hat Sie vielleicht auch der südmährische Wein angesprochen?
„Sicherlich. Ehrlich gesagt, es ist ziemlich wichtig für mich. Nicht etwa, dass ich so sehr Wein trinken würde, aber weil der Wein ein kulturelles Phänomen ist, das ich von Kindheit an kenne. Ich bin in einem kleinen Dorf bei Staufen in Breisgau aufgewachsen. Wir wohnten inmitten von Weinbergen, wo es die typische Atmosphäre und auch diese Winzerkultur gibt. Es gibt immer noch Menschen, für die es wichtig ist, gut zu essen und zu trinken, aber auch etwas Schönes zu hören und eine gewisse Ästhetik zu pflegen. Das finde ich schön, dass es so etwas auch in Südmähren gibt. Letzte Woche haben wir ein Konzert mit dem Visegrad… Orchestra gespielt, das vom Fernsehen aufgenommen wurde. Wir haben in Mikulov gewohnt und geprobt und das war wunderbar, einfach Italien in Mähren, inmitten von Weinbergen. Das war schon ein kleines Paradies!“
Stichwort: mährische Küche?
„Da bin ich schon etwas zögernder. Mit ´knedliky´ habe ich mich nicht anfreunden können. Vielleicht mit den hausgemachten schon, aber die Knödel, die man in Restaurants kriegt, das ist nicht ganz meine Sache. Und auch das ganze Niveau der Bedienung ist auch noch nicht so, dass ich begeistert wäre. Aber ab und zu, zum Beispiel die ´svíčková´ (Lendenbraten mit Rahmsoße), ohne die könnte ich auch nicht mehr existieren!“
Vielen Dank für das Gespräch!